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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Einführungsschreiben des Königs. Aufnahme in Wien.
gehabt hat, und er hat diese Dinge und das Treiben daselbst mit
scharfem und richtigem Blick betrachtet. Ich habe ihm befohlen,
jede darauf gerichtete Frage Ew. Majestät und Ihrer Minister so
zu beantworten, als hätte ich sie selbst an ihn gerichtet. Sollte es
Ew. Majestät gefallen, von ihm Aufklärung über meine Auffassung
und meine Behandlung der Zollvereins-Angelegenheit zu verlangen,
so lebe ich der Gewißheit, daß mein Betragen in diesen Dingen,
wenn auch vielleicht nicht das Glück Ihres Beifalls, doch sicher
Ihrer Achtung erringen wird. Die Anwesenheit des theuren herr¬
lichen Kaisers Nicolaus ist mir eine wahre Herzstärkung gewesen.
Die gewisse Bestätigung meiner alten und starken Hoffnung, daß
Ew. Majestät und ich vollkommen einig in der Wahrheit sind: daß
unsre dreifache, unerschütterliche, gläubige und thatkräftige Ein¬
tracht allein Europa und das unartige und doch so geliebte
Teutsche Vaterland aus der jetzigen Krise retten könne, erfüllt mich
mit Dank gegen Gott und steigert meine alte treue Liebe zu
Ew. Majestät. Bewahren auch Sie, mein theuerster Freund, mir
Ihre Liebe aus den fabelhaften Tagen von Tegernsee, und stärken
Sie Ihr Vertrauen und Ihre so wichtige und so mächtige, dem
gemeinsamen Vaterlande so unentbehrliche Freundschaft zu mir!
Dieser Freundschaft empfehle ich mich aus der Tiefe meines Herzens,
allertheuerster Freund, als Ew. Kaiserlichen Majestät treu und innigst
ergebenster Onkel, Bruder und Freund."

Ich fand in Wien das "einsylbige" Ministerium Buol, Bach,
Bruck etc., keine Preußenfreunde, aber liebenswürdig für mich, in
dem Glauben an meine Empfänglichkeit für hohes Wohlwollen
und meine Gegenleistung dafür auf geschäftlichem Gebiete. Ich
wurde äußerlich ehrenvoller, als ich erwarten konnte, aufgenommen;
aber geschäftlich, d. h. bezüglich der Zollsachen, blieb meine Mis¬
sion erfolglos. Oestreich hatte schon damals die Zolleinigung mit
uns im Auge, und ich hielt es weder damals noch später für
rathsam, diesem Streben entgegenzukommen. Zu den nothwen¬
digen Unterlagen einer Zollgemeinschaft gehört ein gewisser Grad

Einführungsſchreiben des Königs. Aufnahme in Wien.
gehabt hat, und er hat dieſe Dinge und das Treiben daſelbſt mit
ſcharfem und richtigem Blick betrachtet. Ich habe ihm befohlen,
jede darauf gerichtete Frage Ew. Majeſtät und Ihrer Miniſter ſo
zu beantworten, als hätte ich ſie ſelbſt an ihn gerichtet. Sollte es
Ew. Majeſtät gefallen, von ihm Aufklärung über meine Auffaſſung
und meine Behandlung der Zollvereins-Angelegenheit zu verlangen,
ſo lebe ich der Gewißheit, daß mein Betragen in dieſen Dingen,
wenn auch vielleicht nicht das Glück Ihres Beifalls, doch ſicher
Ihrer Achtung erringen wird. Die Anweſenheit des theuren herr¬
lichen Kaiſers Nicolaus iſt mir eine wahre Herzſtärkung geweſen.
Die gewiſſe Beſtätigung meiner alten und ſtarken Hoffnung, daß
Ew. Majeſtät und ich vollkommen einig in der Wahrheit ſind: daß
unſre dreifache, unerſchütterliche, gläubige und thatkräftige Ein¬
tracht allein Europa und das unartige und doch ſo geliebte
Teutſche Vaterland aus der jetzigen Kriſe retten könne, erfüllt mich
mit Dank gegen Gott und ſteigert meine alte treue Liebe zu
Ew. Majeſtät. Bewahren auch Sie, mein theuerſter Freund, mir
Ihre Liebe aus den fabelhaften Tagen von Tegernſee, und ſtärken
Sie Ihr Vertrauen und Ihre ſo wichtige und ſo mächtige, dem
gemeinſamen Vaterlande ſo unentbehrliche Freundſchaft zu mir!
Dieſer Freundſchaft empfehle ich mich aus der Tiefe meines Herzens,
allertheuerſter Freund, als Ew. Kaiſerlichen Majeſtät treu und innigſt
ergebenſter Onkel, Bruder und Freund.“

Ich fand in Wien das „einſylbige“ Miniſterium Buol, Bach,
Bruck ꝛc., keine Preußenfreunde, aber liebenswürdig für mich, in
dem Glauben an meine Empfänglichkeit für hohes Wohlwollen
und meine Gegenleiſtung dafür auf geſchäftlichem Gebiete. Ich
wurde äußerlich ehrenvoller, als ich erwarten konnte, aufgenommen;
aber geſchäftlich, d. h. bezüglich der Zollſachen, blieb meine Miſ¬
ſion erfolglos. Oeſtreich hatte ſchon damals die Zolleinigung mit
uns im Auge, und ich hielt es weder damals noch ſpäter für
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[85/0112] Einführungsſchreiben des Königs. Aufnahme in Wien. gehabt hat, und er hat dieſe Dinge und das Treiben daſelbſt mit ſcharfem und richtigem Blick betrachtet. Ich habe ihm befohlen, jede darauf gerichtete Frage Ew. Majeſtät und Ihrer Miniſter ſo zu beantworten, als hätte ich ſie ſelbſt an ihn gerichtet. Sollte es Ew. Majeſtät gefallen, von ihm Aufklärung über meine Auffaſſung und meine Behandlung der Zollvereins-Angelegenheit zu verlangen, ſo lebe ich der Gewißheit, daß mein Betragen in dieſen Dingen, wenn auch vielleicht nicht das Glück Ihres Beifalls, doch ſicher Ihrer Achtung erringen wird. Die Anweſenheit des theuren herr¬ lichen Kaiſers Nicolaus iſt mir eine wahre Herzſtärkung geweſen. Die gewiſſe Beſtätigung meiner alten und ſtarken Hoffnung, daß Ew. Majeſtät und ich vollkommen einig in der Wahrheit ſind: daß unſre dreifache, unerſchütterliche, gläubige und thatkräftige Ein¬ tracht allein Europa und das unartige und doch ſo geliebte Teutſche Vaterland aus der jetzigen Kriſe retten könne, erfüllt mich mit Dank gegen Gott und ſteigert meine alte treue Liebe zu Ew. Majeſtät. Bewahren auch Sie, mein theuerſter Freund, mir Ihre Liebe aus den fabelhaften Tagen von Tegernſee, und ſtärken Sie Ihr Vertrauen und Ihre ſo wichtige und ſo mächtige, dem gemeinſamen Vaterlande ſo unentbehrliche Freundſchaft zu mir! Dieſer Freundſchaft empfehle ich mich aus der Tiefe meines Herzens, allertheuerſter Freund, als Ew. Kaiſerlichen Majeſtät treu und innigſt ergebenſter Onkel, Bruder und Freund.“ Ich fand in Wien das „einſylbige“ Miniſterium Buol, Bach, Bruck ꝛc., keine Preußenfreunde, aber liebenswürdig für mich, in dem Glauben an meine Empfänglichkeit für hohes Wohlwollen und meine Gegenleiſtung dafür auf geſchäftlichem Gebiete. Ich wurde äußerlich ehrenvoller, als ich erwarten konnte, aufgenommen; aber geſchäftlich, d. h. bezüglich der Zollſachen, blieb meine Miſ¬ ſion erfolglos. Oeſtreich hatte ſchon damals die Zolleinigung mit uns im Auge, und ich hielt es weder damals noch ſpäter für rathſam, dieſem Streben entgegenzukommen. Zu den nothwen¬ digen Unterlagen einer Zollgemeinſchaft gehört ein gewiſſer Grad

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/112>, abgerufen am 23.11.2024.