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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Abneigung gegen den Wiener Posten und die Ministerstellung. Bei Georg V.
ausgetretenen Minister Bacmeister sondirt, ob ich Minister des
Königs Georg werden wolle. Ich sprach mich dahin aus, daß ich
in der auswärtigen Politik Hanover nur dienen könne, wenn der
König vollständig Hand in Hand mit Preußen gehn wolle; ich könnte
mein Preußenthum nicht ausziehn wie einen Rock. Auf dem Wege
zu den Meinigen nach Villeneuve am Genfer See, den ich von
Norderney über Hanover nahm, hatte ich mehre Conferenzen mit
dem Könige. Eine derselben fand statt in einem, zwischen seinem
Schlafzimmer und dem der Königin gelegnen Cabinet im Erd¬
geschoß des Schlosses. Der König wollte, daß die Thatsache unsrer
Besprechung nicht bekannt werde, hatte mich aber um fünf Uhr zur
Tafel befohlen. Er kam auf die Frage, ob ich sein Minister werden
wolle, nicht zurück, sondern verlangte nur von mir als Sachkundigem
in bundestäglichen Geschäften einen Vortrag über die Art und
Weise, wie die Verfassung von 1848 mit Hülfe von Bundes¬
beschlüssen revidirt werden könne. Nachdem ich meine Ansicht ent¬
wickelt hatte, verlangte er eine schriftliche Redaction derselben und
zwar auf der Stelle. Ich schrieb also in der ungeduldigen Nach¬
barschaft des an demselben Tische sitzenden Königs die Hauptzüge
des Operationsplans nieder unter den erschwerenden Umständen,
die ein selten gebrauchtes Schreibzeug bereitete: Tinte dick, Feder
schlecht, Papier rauh, Löschblatt nicht vorhanden; die von mir ge¬
lieferte vier Seiten lange Staatsschrift mit ihren Tintenflecken war
nicht als ein kanzleimäßiges Mundum anzusehn. Der König schrieb
überhaupt nur seine Unterschrift, und auch diese schwerlich in dem
Gemach, in welchem er des Geheimnisses wegen mich empfangen
hatte. Das Geheimniß wurde freilich dadurch durchbrochen, daß
es darüber sechs Uhr geworden war und der auf fünf befohlenen
Tischgesellschaft die Ursache der Verspätung nicht entgehn konnte.
Als die hinter dem Könige stehende Uhr schlug, sprang er auf und
ging wortlos und mit einer bei seiner Blindheit überraschenden
Schnelligkeit und Sicherheit durch das mit Möbeln besetzte Gemach
in das benachbarte Schlaf- oder Ankleidezimmer. Ich blieb allein,

Abneigung gegen den Wiener Poſten und die Miniſterſtellung. Bei Georg V.
ausgetretenen Miniſter Bacmeiſter ſondirt, ob ich Miniſter des
Königs Georg werden wolle. Ich ſprach mich dahin aus, daß ich
in der auswärtigen Politik Hanover nur dienen könne, wenn der
König vollſtändig Hand in Hand mit Preußen gehn wolle; ich könnte
mein Preußenthum nicht ausziehn wie einen Rock. Auf dem Wege
zu den Meinigen nach Villeneuve am Genfer See, den ich von
Norderney über Hanover nahm, hatte ich mehre Conferenzen mit
dem Könige. Eine derſelben fand ſtatt in einem, zwiſchen ſeinem
Schlafzimmer und dem der Königin gelegnen Cabinet im Erd¬
geſchoß des Schloſſes. Der König wollte, daß die Thatſache unſrer
Beſprechung nicht bekannt werde, hatte mich aber um fünf Uhr zur
Tafel befohlen. Er kam auf die Frage, ob ich ſein Miniſter werden
wolle, nicht zurück, ſondern verlangte nur von mir als Sachkundigem
in bundestäglichen Geſchäften einen Vortrag über die Art und
Weiſe, wie die Verfaſſung von 1848 mit Hülfe von Bundes¬
beſchlüſſen revidirt werden könne. Nachdem ich meine Anſicht ent¬
wickelt hatte, verlangte er eine ſchriftliche Redaction derſelben und
zwar auf der Stelle. Ich ſchrieb alſo in der ungeduldigen Nach¬
barſchaft des an demſelben Tiſche ſitzenden Königs die Hauptzüge
des Operationsplans nieder unter den erſchwerenden Umſtänden,
die ein ſelten gebrauchtes Schreibzeug bereitete: Tinte dick, Feder
ſchlecht, Papier rauh, Löſchblatt nicht vorhanden; die von mir ge¬
lieferte vier Seiten lange Staatsſchrift mit ihren Tintenflecken war
nicht als ein kanzleimäßiges Mundum anzuſehn. Der König ſchrieb
überhaupt nur ſeine Unterſchrift, und auch dieſe ſchwerlich in dem
Gemach, in welchem er des Geheimniſſes wegen mich empfangen
hatte. Das Geheimniß wurde freilich dadurch durchbrochen, daß
es darüber ſechs Uhr geworden war und der auf fünf befohlenen
Tiſchgeſellſchaft die Urſache der Verſpätung nicht entgehn konnte.
Als die hinter dem Könige ſtehende Uhr ſchlug, ſprang er auf und
ging wortlos und mit einer bei ſeiner Blindheit überraſchenden
Schnelligkeit und Sicherheit durch das mit Möbeln beſetzte Gemach
in das benachbarte Schlaf- oder Ankleidezimmer. Ich blieb allein,

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[89/0116] Abneigung gegen den Wiener Poſten und die Miniſterſtellung. Bei Georg V. ausgetretenen Miniſter Bacmeiſter ſondirt, ob ich Miniſter des Königs Georg werden wolle. Ich ſprach mich dahin aus, daß ich in der auswärtigen Politik Hanover nur dienen könne, wenn der König vollſtändig Hand in Hand mit Preußen gehn wolle; ich könnte mein Preußenthum nicht ausziehn wie einen Rock. Auf dem Wege zu den Meinigen nach Villeneuve am Genfer See, den ich von Norderney über Hanover nahm, hatte ich mehre Conferenzen mit dem Könige. Eine derſelben fand ſtatt in einem, zwiſchen ſeinem Schlafzimmer und dem der Königin gelegnen Cabinet im Erd¬ geſchoß des Schloſſes. Der König wollte, daß die Thatſache unſrer Beſprechung nicht bekannt werde, hatte mich aber um fünf Uhr zur Tafel befohlen. Er kam auf die Frage, ob ich ſein Miniſter werden wolle, nicht zurück, ſondern verlangte nur von mir als Sachkundigem in bundestäglichen Geſchäften einen Vortrag über die Art und Weiſe, wie die Verfaſſung von 1848 mit Hülfe von Bundes¬ beſchlüſſen revidirt werden könne. Nachdem ich meine Anſicht ent¬ wickelt hatte, verlangte er eine ſchriftliche Redaction derſelben und zwar auf der Stelle. Ich ſchrieb alſo in der ungeduldigen Nach¬ barſchaft des an demſelben Tiſche ſitzenden Königs die Hauptzüge des Operationsplans nieder unter den erſchwerenden Umſtänden, die ein ſelten gebrauchtes Schreibzeug bereitete: Tinte dick, Feder ſchlecht, Papier rauh, Löſchblatt nicht vorhanden; die von mir ge¬ lieferte vier Seiten lange Staatsſchrift mit ihren Tintenflecken war nicht als ein kanzleimäßiges Mundum anzuſehn. Der König ſchrieb überhaupt nur ſeine Unterſchrift, und auch dieſe ſchwerlich in dem Gemach, in welchem er des Geheimniſſes wegen mich empfangen hatte. Das Geheimniß wurde freilich dadurch durchbrochen, daß es darüber ſechs Uhr geworden war und der auf fünf befohlenen Tiſchgeſellſchaft die Urſache der Verſpätung nicht entgehn konnte. Als die hinter dem Könige ſtehende Uhr ſchlug, ſprang er auf und ging wortlos und mit einer bei ſeiner Blindheit überraſchenden Schnelligkeit und Sicherheit durch das mit Möbeln beſetzte Gemach in das benachbarte Schlaf- oder Ankleidezimmer. Ich blieb allein,

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/116>, abgerufen am 27.11.2024.