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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Das Bündniß mit Oestreich vom 20. April 1854.
Posten zu Posten zurückwichen, und unter dem Druck der In¬
feriorität, in Furcht vor Frankreich und in Demuth vor England,
im Schlepptau Oestreichs Deckung suchten. Der König war nicht
unempfänglich für diesen meinen Eindruck, aber nicht geneigt, ihn
durch eine Politik im großen Stile abzuschütteln.

Nachdem England und Frankreich am 28. März 1854 Ru߬
land den Krieg erklärt hatten, waren wir mit Oestreich das Schutz-
und Trutzbündniß vom 20. April eingegangen, das Preußen ver¬
pflichtete, unter Umständen 100000 Mann in Zeit von 36 Tagen
zu concentriren, ein Drittel in Ostpreußen, die beiden andern zu
Posen oder zu Breslau, und sein Heer, wenn die Umstände es
erheischten, auf 200000 Mann zu bringen und sich behufs alles
dessen mit Oestreich zu verständigen.

Unter dem 3. Mai schrieb mir Manteuffel folgenden pikirten
Brief:

"General von Gerlach theilt mir soeben mit, daß des Königs
Majestät Euer Hochwohlgeboren behufs Besprechung über die Be¬
handlung des östreichisch-preußischen Bündnisses am Bunde hier an¬
wesend zu sehen befohlen und daß der Herr General in diesem
Sinne Euer Hochwohlgeboren bereits geschrieben habe1). In Ge¬
mäßheit dieses Allerhöchsten Befehls, von dem mir übrigens vorher
nichts bekannt gewesen, darf ich keinen Anstand nehmen. Euer Hoch¬
wohlgeboren ganz ergebenst zu veranlassen, sich unverzüglich hierher
zu verfügen. Mit Rücksicht auf die beim Bundestage bevorstehenden
Verhandlungen dürfte Ihr Aufenthalt hierselbst nicht von langer
Dauer sein können."

Bei Besprechung des Vertrages vom 20. April schlug ich
dem Könige vor, diese Gelegenheit zu benutzen, um uns und die
preußische Politik aus der secundären und, wie mir schien, un¬
würdigen Lage herauszuheben und eine Stellung einzunehmen,

1) Dieser Brief ist veröffentlicht im Briefwechsel des Generals Leopold
v. Gerlach mit dem Bundestagsgesandten Otto v. Bismarck S. 166.
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 7

Das Bündniß mit Oeſtreich vom 20. April 1854.
Poſten zu Poſten zurückwichen, und unter dem Druck der In¬
feriorität, in Furcht vor Frankreich und in Demuth vor England,
im Schlepptau Oeſtreichs Deckung ſuchten. Der König war nicht
unempfänglich für dieſen meinen Eindruck, aber nicht geneigt, ihn
durch eine Politik im großen Stile abzuſchütteln.

Nachdem England und Frankreich am 28. März 1854 Ru߬
land den Krieg erklärt hatten, waren wir mit Oeſtreich das Schutz-
und Trutzbündniß vom 20. April eingegangen, das Preußen ver¬
pflichtete, unter Umſtänden 100000 Mann in Zeit von 36 Tagen
zu concentriren, ein Drittel in Oſtpreußen, die beiden andern zu
Poſen oder zu Breslau, und ſein Heer, wenn die Umſtände es
erheiſchten, auf 200000 Mann zu bringen und ſich behufs alles
deſſen mit Oeſtreich zu verſtändigen.

Unter dem 3. Mai ſchrieb mir Manteuffel folgenden pikirten
Brief:

„General von Gerlach theilt mir ſoeben mit, daß des Königs
Majeſtät Euer Hochwohlgeboren behufs Beſprechung über die Be¬
handlung des öſtreichiſch-preußiſchen Bündniſſes am Bunde hier an¬
weſend zu ſehen befohlen und daß der Herr General in dieſem
Sinne Euer Hochwohlgeboren bereits geſchrieben habe1). In Ge¬
mäßheit dieſes Allerhöchſten Befehls, von dem mir übrigens vorher
nichts bekannt geweſen, darf ich keinen Anſtand nehmen. Euer Hoch¬
wohlgeboren ganz ergebenſt zu veranlaſſen, ſich unverzüglich hierher
zu verfügen. Mit Rückſicht auf die beim Bundestage bevorſtehenden
Verhandlungen dürfte Ihr Aufenthalt hierſelbſt nicht von langer
Dauer ſein können.“

Bei Beſprechung des Vertrages vom 20. April ſchlug ich
dem Könige vor, dieſe Gelegenheit zu benutzen, um uns und die
preußiſche Politik aus der ſecundären und, wie mir ſchien, un¬
würdigen Lage herauszuheben und eine Stellung einzunehmen,

1) Dieſer Brief iſt veröffentlicht im Briefwechſel des Generals Leopold
v. Gerlach mit dem Bundestagsgeſandten Otto v. Bismarck S. 166.
Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 7
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[97/0124] Das Bündniß mit Oeſtreich vom 20. April 1854. Poſten zu Poſten zurückwichen, und unter dem Druck der In¬ feriorität, in Furcht vor Frankreich und in Demuth vor England, im Schlepptau Oeſtreichs Deckung ſuchten. Der König war nicht unempfänglich für dieſen meinen Eindruck, aber nicht geneigt, ihn durch eine Politik im großen Stile abzuſchütteln. Nachdem England und Frankreich am 28. März 1854 Ru߬ land den Krieg erklärt hatten, waren wir mit Oeſtreich das Schutz- und Trutzbündniß vom 20. April eingegangen, das Preußen ver¬ pflichtete, unter Umſtänden 100000 Mann in Zeit von 36 Tagen zu concentriren, ein Drittel in Oſtpreußen, die beiden andern zu Poſen oder zu Breslau, und ſein Heer, wenn die Umſtände es erheiſchten, auf 200000 Mann zu bringen und ſich behufs alles deſſen mit Oeſtreich zu verſtändigen. Unter dem 3. Mai ſchrieb mir Manteuffel folgenden pikirten Brief: „General von Gerlach theilt mir ſoeben mit, daß des Königs Majeſtät Euer Hochwohlgeboren behufs Beſprechung über die Be¬ handlung des öſtreichiſch-preußiſchen Bündniſſes am Bunde hier an¬ weſend zu ſehen befohlen und daß der Herr General in dieſem Sinne Euer Hochwohlgeboren bereits geſchrieben habe 1). In Ge¬ mäßheit dieſes Allerhöchſten Befehls, von dem mir übrigens vorher nichts bekannt geweſen, darf ich keinen Anſtand nehmen. Euer Hoch¬ wohlgeboren ganz ergebenſt zu veranlaſſen, ſich unverzüglich hierher zu verfügen. Mit Rückſicht auf die beim Bundestage bevorſtehenden Verhandlungen dürfte Ihr Aufenthalt hierſelbſt nicht von langer Dauer ſein können.“ Bei Beſprechung des Vertrages vom 20. April ſchlug ich dem Könige vor, dieſe Gelegenheit zu benutzen, um uns und die preußiſche Politik aus der ſecundären und, wie mir ſchien, un¬ würdigen Lage herauszuheben und eine Stellung einzunehmen, 1) Dieſer Brief iſt veröffentlicht im Briefwechſel des Generals Leopold v. Gerlach mit dem Bundestagsgeſandten Otto v. Bismarck S. 166. Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 7

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/124>, abgerufen am 23.11.2024.