Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Auszüge aus Briefen des Generals L. v. Gerlach.
accompli, und man muß jetzt wie nach einer verlorenen Schlacht
die zerstreuten Kräfte sammeln, um dem Gegner sich wieder ent¬
gegen stellen zu können, und da ist denn das Nächste, daß in dem
Vertrage alles auf gegenseitiges Einverständniß gestellt ist. Aber
eben deshalb wird die nächste und auch sehr üble Folge sein, daß
wir, sobald wir die uns richtig scheinende Auslegung geltend
machen, der Doppelzüngigkeit und Wortbrüchigkeit angeklagt werden.
Dagegen müssen wir uns zunächst dickfellig machen, dann aber
dergleichen zuvorkommen, indem wir unsre Auslegung des Ver¬
trages sofort aussprechen, sowohl in Wien als in Frankfurt, noch
bevor eine Collision eingetreten ist. Denn die Dinge stehen so,
daß noch immer einem kräftigen, muthigen auswärtigen Minister
die Hände nicht gebunden sind. Wir machen alle Schritte in
Petersburg selbstständig, können also in der Consequenz bleiben
und können stets noch die Einigung erlangen und bei derselben
Reciprocität und Alles, was in dem Vertrage fehlt, geltend machen.
Budberg habe ich nach Kräften zu beschwichtigen gesucht; Niebuhr
ist sehr thätig und eifrig auf diesem Felde und hat sich wie immer
geschickt und vortrefflich benommen. Was hilft aber diese Flickerei,
die zuletzt doch eine undankbare Arbeit ist. Es liegt in der Natur
des Menschen, also auch unsres Herrn, daß wenn er mit einem
Diener einen Bock oder vielmehr eine Ricke geschossen hat, er
diesen zunächst hält und die besonnenen und treuen Freunde
schlecht behandelt. In der Lage bin ich jetzt, und sie ist wahrlich
nicht beneidenswerth1). ...

Sanssouci, den 1. Juli 1854.

... Die Dinge haben sich einmal wieder furchtbar verwickelt,
stehen aber doch wieder so, daß man, wenn alles klappt, ein gutes
Ende für möglich halten kann. ... Wenn wir Oesterreich nicht
so lange als möglich festhalten, so laden wir eine schwere Schuld
auf uns, rufen die Trias ins Leben, welche der Anfang des Rhein¬

1) Vgl. Briefwechsel Gerlach-Bismarck S. 163 f.

Auszüge aus Briefen des Generals L. v. Gerlach.
accompli, und man muß jetzt wie nach einer verlorenen Schlacht
die zerſtreuten Kräfte ſammeln, um dem Gegner ſich wieder ent¬
gegen ſtellen zu können, und da iſt denn das Nächſte, daß in dem
Vertrage alles auf gegenſeitiges Einverſtändniß geſtellt iſt. Aber
eben deshalb wird die nächſte und auch ſehr üble Folge ſein, daß
wir, ſobald wir die uns richtig ſcheinende Auslegung geltend
machen, der Doppelzüngigkeit und Wortbrüchigkeit angeklagt werden.
Dagegen müſſen wir uns zunächſt dickfellig machen, dann aber
dergleichen zuvorkommen, indem wir unſre Auslegung des Ver¬
trages ſofort ausſprechen, ſowohl in Wien als in Frankfurt, noch
bevor eine Colliſion eingetreten iſt. Denn die Dinge ſtehen ſo,
daß noch immer einem kräftigen, muthigen auswärtigen Miniſter
die Hände nicht gebunden ſind. Wir machen alle Schritte in
Petersburg ſelbſtſtändig, können alſo in der Conſequenz bleiben
und können ſtets noch die Einigung erlangen und bei derſelben
Reciprocität und Alles, was in dem Vertrage fehlt, geltend machen.
Budberg habe ich nach Kräften zu beſchwichtigen geſucht; Niebuhr
iſt ſehr thätig und eifrig auf dieſem Felde und hat ſich wie immer
geſchickt und vortrefflich benommen. Was hilft aber dieſe Flickerei,
die zuletzt doch eine undankbare Arbeit iſt. Es liegt in der Natur
des Menſchen, alſo auch unſres Herrn, daß wenn er mit einem
Diener einen Bock oder vielmehr eine Ricke geſchoſſen hat, er
dieſen zunächſt hält und die beſonnenen und treuen Freunde
ſchlecht behandelt. In der Lage bin ich jetzt, und ſie iſt wahrlich
nicht beneidenswerth1). ...

Sansſouci, den 1. Juli 1854.

... Die Dinge haben ſich einmal wieder furchtbar verwickelt,
ſtehen aber doch wieder ſo, daß man, wenn alles klappt, ein gutes
Ende für möglich halten kann. ... Wenn wir Oeſterreich nicht
ſo lange als möglich feſthalten, ſo laden wir eine ſchwere Schuld
auf uns, rufen die Trias ins Leben, welche der Anfang des Rhein¬

1) Vgl. Briefwechſel Gerlach-Bismarck S. 163 f.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0128" n="101"/><fw place="top" type="header">Auszüge aus Briefen des Generals L. v. Gerlach.<lb/></fw><hi rendition="#aq">accompli</hi>, und man muß jetzt wie nach einer verlorenen Schlacht<lb/>
die zer&#x017F;treuten Kräfte &#x017F;ammeln, um dem Gegner &#x017F;ich wieder ent¬<lb/>
gegen &#x017F;tellen zu können, und da i&#x017F;t denn das Näch&#x017F;te, daß in dem<lb/>
Vertrage alles auf gegen&#x017F;eitiges Einver&#x017F;tändniß ge&#x017F;tellt i&#x017F;t. Aber<lb/>
eben deshalb wird die näch&#x017F;te und auch &#x017F;ehr üble Folge &#x017F;ein, daß<lb/>
wir, &#x017F;obald wir die uns richtig &#x017F;cheinende Auslegung geltend<lb/>
machen, der Doppelzüngigkeit und Wortbrüchigkeit angeklagt werden.<lb/>
Dagegen mü&#x017F;&#x017F;en wir uns zunäch&#x017F;t dickfellig machen, dann aber<lb/>
dergleichen zuvorkommen, indem wir un&#x017F;re Auslegung des Ver¬<lb/>
trages &#x017F;ofort aus&#x017F;prechen, &#x017F;owohl in Wien als in Frankfurt, noch<lb/>
bevor eine Colli&#x017F;ion eingetreten i&#x017F;t. Denn die Dinge &#x017F;tehen &#x017F;o,<lb/>
daß noch immer einem kräftigen, muthigen auswärtigen Mini&#x017F;ter<lb/>
die Hände nicht gebunden &#x017F;ind. Wir machen alle Schritte in<lb/>
Petersburg &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändig, können al&#x017F;o in der Con&#x017F;equenz bleiben<lb/>
und können &#x017F;tets noch die Einigung erlangen und bei der&#x017F;elben<lb/>
Reciprocität und Alles, was in dem Vertrage fehlt, geltend machen.<lb/>
Budberg habe ich nach Kräften zu be&#x017F;chwichtigen ge&#x017F;ucht; Niebuhr<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ehr thätig und eifrig auf die&#x017F;em Felde und hat &#x017F;ich wie immer<lb/>
ge&#x017F;chickt und vortrefflich benommen. Was hilft aber die&#x017F;e Flickerei,<lb/>
die zuletzt doch eine undankbare Arbeit i&#x017F;t. Es liegt in der Natur<lb/>
des Men&#x017F;chen, al&#x017F;o auch un&#x017F;res Herrn, daß wenn er <hi rendition="#g">mit</hi> einem<lb/>
Diener einen Bock oder vielmehr eine Ricke ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en hat, er<lb/><hi rendition="#g">die&#x017F;en</hi> zunäch&#x017F;t hält und die be&#x017F;onnenen und treuen Freunde<lb/>
&#x017F;chlecht behandelt. In der Lage bin ich jetzt, und &#x017F;ie i&#x017F;t wahrlich<lb/>
nicht beneidenswerth<note place="foot" n="1)"><lb/>
Vgl. Briefwech&#x017F;el Gerlach-Bismarck S. 163 f.</note>. ...</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#right">Sans&#x017F;ouci, den 1. Juli 1854.</hi> </p><lb/>
          <p>... Die Dinge haben &#x017F;ich einmal wieder furchtbar verwickelt,<lb/>
&#x017F;tehen aber doch wieder &#x017F;o, daß man, wenn alles klappt, ein gutes<lb/>
Ende für möglich halten kann. ... Wenn wir Oe&#x017F;terreich nicht<lb/>
&#x017F;o lange als möglich fe&#x017F;thalten, &#x017F;o laden wir eine &#x017F;chwere Schuld<lb/>
auf uns, rufen die Trias ins Leben, welche der Anfang des Rhein¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0128] Auszüge aus Briefen des Generals L. v. Gerlach. accompli, und man muß jetzt wie nach einer verlorenen Schlacht die zerſtreuten Kräfte ſammeln, um dem Gegner ſich wieder ent¬ gegen ſtellen zu können, und da iſt denn das Nächſte, daß in dem Vertrage alles auf gegenſeitiges Einverſtändniß geſtellt iſt. Aber eben deshalb wird die nächſte und auch ſehr üble Folge ſein, daß wir, ſobald wir die uns richtig ſcheinende Auslegung geltend machen, der Doppelzüngigkeit und Wortbrüchigkeit angeklagt werden. Dagegen müſſen wir uns zunächſt dickfellig machen, dann aber dergleichen zuvorkommen, indem wir unſre Auslegung des Ver¬ trages ſofort ausſprechen, ſowohl in Wien als in Frankfurt, noch bevor eine Colliſion eingetreten iſt. Denn die Dinge ſtehen ſo, daß noch immer einem kräftigen, muthigen auswärtigen Miniſter die Hände nicht gebunden ſind. Wir machen alle Schritte in Petersburg ſelbſtſtändig, können alſo in der Conſequenz bleiben und können ſtets noch die Einigung erlangen und bei derſelben Reciprocität und Alles, was in dem Vertrage fehlt, geltend machen. Budberg habe ich nach Kräften zu beſchwichtigen geſucht; Niebuhr iſt ſehr thätig und eifrig auf dieſem Felde und hat ſich wie immer geſchickt und vortrefflich benommen. Was hilft aber dieſe Flickerei, die zuletzt doch eine undankbare Arbeit iſt. Es liegt in der Natur des Menſchen, alſo auch unſres Herrn, daß wenn er mit einem Diener einen Bock oder vielmehr eine Ricke geſchoſſen hat, er dieſen zunächſt hält und die beſonnenen und treuen Freunde ſchlecht behandelt. In der Lage bin ich jetzt, und ſie iſt wahrlich nicht beneidenswerth 1). ... Sansſouci, den 1. Juli 1854. ... Die Dinge haben ſich einmal wieder furchtbar verwickelt, ſtehen aber doch wieder ſo, daß man, wenn alles klappt, ein gutes Ende für möglich halten kann. ... Wenn wir Oeſterreich nicht ſo lange als möglich feſthalten, ſo laden wir eine ſchwere Schuld auf uns, rufen die Trias ins Leben, welche der Anfang des Rhein¬ 1) Vgl. Briefwechſel Gerlach-Bismarck S. 163 f.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/128
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/128>, abgerufen am 27.11.2024.