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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Auszüge aus Briefen des Generals v. Gerlach. Brief Niebuhrs.
fällt, Oesterreich in seinem Kriegsgelüste gegen Rußland nachzu¬
gehen, und dann, daß Sie den deutschen Mächten den Weg weisen,
den sie zu gehen haben. ... Es ist ein eigen Unglück, daß der
Aufenthalt (des Königs Friedrich Wilhelm) in München wieder an
gewisser Stelle germanomanischen Enthusiasmus erregt hat. Eine
deutsche Reservearmee, er an der Spitze, ist der confuse Gedanke,
der eine nicht gute Einwirkung auf die Politik macht. Ludwig XIV.
sagte l'etat c'est moi. Mit viel mehr Recht kann Se. Majestät
sagen l'Allemagne c'est moi. L. v. G." 1)

Daneben gewährte der nachstehende Brief des Cabinetsraths
Niebuhr an mich einen weitern Einblick in die Stimmungen am
Hofe.

"Puttbus, den 22. August 1854.

Ich verkenne gewiß nicht gute Intentionen, wenn sie auch
meiner Ueberzeugung nach nicht an der (richtigen) Stelle und noch
weniger richtig ausgeführt sind, und ebensowenig das Recht von
Interessen, wenn sie auch demjenigen, was ich für richtig halten muß,
schnurstracks widersprechen. Aber ich verlange Wahrheit und Klar¬
heit, und deren Mangel kann mich zur Desperation bringen. Mangel
an Wahrheit nach außen kann ich unsrer Politik nun nicht
zum Vorwurf machen: wohl aber Unwahrheit gegen uns selbst.
Wir würden ganz anders dastehen, und Vieles unterlassen haben,
wenn wir uns die eigentlichen Motive dazu eingestanden hätten,
statt uns beständig vorzuspiegeln, daß die einzelnen Acte unsrer
Politik Consequenzen der richtigen Grundgedanken derselben seien.
Die fortgesetzte Theilnahme an den Wiener Conferenzen nach dem
Einlaufen der englisch-französischen Flotte in die Dardanellen und
jetzt zuletzt die Unterstützung der westmächtlich-österreichischen For¬
derungen in Petersburg, haben ihren wahren Grund in der kin¬
dischen Furcht, ,aus dem Concert europeen hinausgedrängt zu

1) Briefwechsel S. 181 f.

Auszüge aus Briefen des Generals v. Gerlach. Brief Niebuhrs.
fällt, Oeſterreich in ſeinem Kriegsgelüſte gegen Rußland nachzu¬
gehen, und dann, daß Sie den deutſchen Mächten den Weg weiſen,
den ſie zu gehen haben. ... Es iſt ein eigen Unglück, daß der
Aufenthalt (des Königs Friedrich Wilhelm) in München wieder an
gewiſſer Stelle germanomaniſchen Enthuſiasmus erregt hat. Eine
deutſche Reſervearmee, er an der Spitze, iſt der confuſe Gedanke,
der eine nicht gute Einwirkung auf die Politik macht. Ludwig XIV.
ſagte l'état c'est moi. Mit viel mehr Recht kann Se. Majeſtät
ſagen l'Allemagne c'est moi. L. v. G.“ 1)

Daneben gewährte der nachſtehende Brief des Cabinetsraths
Niebuhr an mich einen weitern Einblick in die Stimmungen am
Hofe.

„Puttbus, den 22. Auguſt 1854.

Ich verkenne gewiß nicht gute Intentionen, wenn ſie auch
meiner Ueberzeugung nach nicht an der (richtigen) Stelle und noch
weniger richtig ausgeführt ſind, und ebenſowenig das Recht von
Intereſſen, wenn ſie auch demjenigen, was ich für richtig halten muß,
ſchnurſtracks widerſprechen. Aber ich verlange Wahrheit und Klar¬
heit, und deren Mangel kann mich zur Deſperation bringen. Mangel
an Wahrheit nach außen kann ich unſrer Politik nun nicht
zum Vorwurf machen: wohl aber Unwahrheit gegen uns ſelbſt.
Wir würden ganz anders daſtehen, und Vieles unterlaſſen haben,
wenn wir uns die eigentlichen Motive dazu eingeſtanden hätten,
ſtatt uns beſtändig vorzuſpiegeln, daß die einzelnen Acte unſrer
Politik Conſequenzen der richtigen Grundgedanken derſelben ſeien.
Die fortgeſetzte Theilnahme an den Wiener Conferenzen nach dem
Einlaufen der engliſch-franzöſiſchen Flotte in die Dardanellen und
jetzt zuletzt die Unterſtützung der weſtmächtlich-öſterreichiſchen For¬
derungen in Petersburg, haben ihren wahren Grund in der kin¬
diſchen Furcht, ,aus dem Concert européen hinausgedrängt zu

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[103/0130] Auszüge aus Briefen des Generals v. Gerlach. Brief Niebuhrs. fällt, Oeſterreich in ſeinem Kriegsgelüſte gegen Rußland nachzu¬ gehen, und dann, daß Sie den deutſchen Mächten den Weg weiſen, den ſie zu gehen haben. ... Es iſt ein eigen Unglück, daß der Aufenthalt (des Königs Friedrich Wilhelm) in München wieder an gewiſſer Stelle germanomaniſchen Enthuſiasmus erregt hat. Eine deutſche Reſervearmee, er an der Spitze, iſt der confuſe Gedanke, der eine nicht gute Einwirkung auf die Politik macht. Ludwig XIV. ſagte l'état c'est moi. Mit viel mehr Recht kann Se. Majeſtät ſagen l'Allemagne c'est moi. L. v. G.“ 1) Daneben gewährte der nachſtehende Brief des Cabinetsraths Niebuhr an mich einen weitern Einblick in die Stimmungen am Hofe. „Puttbus, den 22. Auguſt 1854. Ich verkenne gewiß nicht gute Intentionen, wenn ſie auch meiner Ueberzeugung nach nicht an der (richtigen) Stelle und noch weniger richtig ausgeführt ſind, und ebenſowenig das Recht von Intereſſen, wenn ſie auch demjenigen, was ich für richtig halten muß, ſchnurſtracks widerſprechen. Aber ich verlange Wahrheit und Klar¬ heit, und deren Mangel kann mich zur Deſperation bringen. Mangel an Wahrheit nach außen kann ich unſrer Politik nun nicht zum Vorwurf machen: wohl aber Unwahrheit gegen uns ſelbſt. Wir würden ganz anders daſtehen, und Vieles unterlaſſen haben, wenn wir uns die eigentlichen Motive dazu eingeſtanden hätten, ſtatt uns beſtändig vorzuſpiegeln, daß die einzelnen Acte unſrer Politik Conſequenzen der richtigen Grundgedanken derſelben ſeien. Die fortgeſetzte Theilnahme an den Wiener Conferenzen nach dem Einlaufen der engliſch-franzöſiſchen Flotte in die Dardanellen und jetzt zuletzt die Unterſtützung der weſtmächtlich-öſterreichiſchen For¬ derungen in Petersburg, haben ihren wahren Grund in der kin¬ diſchen Furcht, ,aus dem Concert européen hinausgedrängt zu 1) Briefwechſel S. 181 f.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/130>, abgerufen am 27.11.2024.