Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Ein Brief Niebuhrs. Auszüge aus Gerlachs Briefen. z. B. mit einer Restauration von Polen, einem rücksichtslosen Ver¬fahren gegen Rußland u. s. w., sowie es keinem Zweifel unter¬ liegt, daß Frankreich und England ihm auf der andern Seite noch leichter als uns Verlegenheiten bereiten können, sowohl in Ungarn als in Italien. Der Kaiser ist in den Händen seiner Polizei und was das heißt, habe ich in den letzten Jahren gelernt*), hat sich vorlügen lassen, Rußland habe Kossuth aufgehetzt u. s. w. Er hat damit sein Gewissen beschwichtigt, und was die Polizei nicht ver¬ mag, das leistet der Ultramontanismus, die Wuth gegen die ortho¬ doxe Kirche und gegen das protestantische Preußen. Daher ist auch schon jetzt von einem Königreich Polen unter einem österreichischen Erzherzoge die Rede. ... Aus allem diesem folgt, daß man sehr auf seiner Hut sein und auf alles, selbst auf einen Krieg gegen die mit Oesterreich verbündeten Westmächte gefaßt sein muß, daß den deutschen Fürsten nicht zu trauen ist u. s. w. Der Herr möge uns geben, daß wir nicht schwach befunden werden, aber ich müßte eine Unwahrheit sagen, wenn ich den Leitern unsrer Geschicke fest vertraute. Halten wir daher eng zusammen. Anno 1850 hatte Radowitz uns etwa auf denselben Punkt gebracht wie Buol jetzt passiv von drüben her1). ... Sanssouci, den 15. November 1854. *) Gerlach hat dabei wohl an Ohm und Hantge gedacht, auch an die Be¬ richte, welche der phantasiereiche und gut bezahlte Oestreicher Tausenau aus London über gefährliche Anschläge der deutschen Flüchtlinge erstattete. Der König muß über die Zuverlässigkeit dieser Meldungen zweifelhaft geworden sein; er beauftragte direct aus seinem Cabinet den Gesandten Bunsen, von der englischen Polizei Erkundigung einzuziehn, die dahin ausfiel, daß die deutschen Flüchtlinge in London zu viel mit dem Erwerb ihres Lebensunterhaltes zu thun hätten, um an Attentate zu denken. 1) Briefwechsel S. 191 ff.
Ein Brief Niebuhrs. Auszüge aus Gerlachs Briefen. z. B. mit einer Reſtauration von Polen, einem rückſichtsloſen Ver¬fahren gegen Rußland u. ſ. w., ſowie es keinem Zweifel unter¬ liegt, daß Frankreich und England ihm auf der andern Seite noch leichter als uns Verlegenheiten bereiten können, ſowohl in Ungarn als in Italien. Der Kaiſer iſt in den Händen ſeiner Polizei und was das heißt, habe ich in den letzten Jahren gelernt*), hat ſich vorlügen laſſen, Rußland habe Koſſuth aufgehetzt u. ſ. w. Er hat damit ſein Gewiſſen beſchwichtigt, und was die Polizei nicht ver¬ mag, das leiſtet der Ultramontanismus, die Wuth gegen die ortho¬ doxe Kirche und gegen das protéſtantiſche Preußen. Daher iſt auch ſchon jetzt von einem Königreich Polen unter einem öſterreichiſchen Erzherzoge die Rede. ... Aus allem dieſem folgt, daß man ſehr auf ſeiner Hut ſein und auf alles, ſelbſt auf einen Krieg gegen die mit Oeſterreich verbündeten Weſtmächte gefaßt ſein muß, daß den deutſchen Fürſten nicht zu trauen iſt u. ſ. w. Der Herr möge uns geben, daß wir nicht ſchwach befunden werden, aber ich müßte eine Unwahrheit ſagen, wenn ich den Leitern unſrer Geſchicke feſt vertraute. Halten wir daher eng zuſammen. Anno 1850 hatte Radowitz uns etwa auf denſelben Punkt gebracht wie Buol jetzt paſſiv von drüben her1). ... Sansſouci, den 15. November 1854. *) Gerlach hat dabei wohl an Ohm und Hantge gedacht, auch an die Be¬ richte, welche der phantaſiereiche und gut bezahlte Oeſtreicher Tauſenau aus London über gefährliche Anſchläge der deutſchen Flüchtlinge erſtattete. Der König muß über die Zuverläſſigkeit dieſer Meldungen zweifelhaft geworden ſein; er beauftragte direct aus ſeinem Cabinet den Geſandten Bunſen, von der engliſchen Polizei Erkundigung einzuziehn, die dahin ausfiel, daß die deutſchen Flüchtlinge in London zu viel mit dem Erwerb ihres Lebensunterhaltes zu thun hätten, um an Attentate zu denken. 1) Briefwechſel S. 191 ff.
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Ein Brief Niebuhrs. Auszüge aus Gerlachs Briefen.
z. B. mit einer Reſtauration von Polen, einem rückſichtsloſen Ver¬
fahren gegen Rußland u. ſ. w., ſowie es keinem Zweifel unter¬
liegt, daß Frankreich und England ihm auf der andern Seite noch
leichter als uns Verlegenheiten bereiten können, ſowohl in Ungarn
als in Italien. Der Kaiſer iſt in den Händen ſeiner Polizei und
was das heißt, habe ich in den letzten Jahren gelernt *), hat ſich
vorlügen laſſen, Rußland habe Koſſuth aufgehetzt u. ſ. w. Er hat
damit ſein Gewiſſen beſchwichtigt, und was die Polizei nicht ver¬
mag, das leiſtet der Ultramontanismus, die Wuth gegen die ortho¬
doxe Kirche und gegen das protéſtantiſche Preußen. Daher iſt auch
ſchon jetzt von einem Königreich Polen unter einem öſterreichiſchen
Erzherzoge die Rede. ... Aus allem dieſem folgt, daß man ſehr
auf ſeiner Hut ſein und auf alles, ſelbſt auf einen Krieg gegen
die mit Oeſterreich verbündeten Weſtmächte gefaßt ſein muß, daß
den deutſchen Fürſten nicht zu trauen iſt u. ſ. w. Der Herr möge
uns geben, daß wir nicht ſchwach befunden werden, aber ich müßte
eine Unwahrheit ſagen, wenn ich den Leitern unſrer Geſchicke feſt
vertraute. Halten wir daher eng zuſammen. Anno 1850 hatte
Radowitz uns etwa auf denſelben Punkt gebracht wie Buol jetzt
paſſiv von drüben her 1). ...
Sansſouci, den 15. November 1854.
... Was Oeſterreich anbetrifft ſo iſt mir durch die letzten Ver¬
handlungen endlich die dortige Politik klar geworden. In meinem
Alter iſt man von ſchweren Begriffen. Die öſterreichiſche Politik
*)
Gerlach hat dabei wohl an Ohm und Hantge gedacht, auch an die Be¬
richte, welche der phantaſiereiche und gut bezahlte Oeſtreicher Tauſenau aus
London über gefährliche Anſchläge der deutſchen Flüchtlinge erſtattete. Der
König muß über die Zuverläſſigkeit dieſer Meldungen zweifelhaft geworden
ſein; er beauftragte direct aus ſeinem Cabinet den Geſandten Bunſen, von der
engliſchen Polizei Erkundigung einzuziehn, die dahin ausfiel, daß die deutſchen
Flüchtlinge in London zu viel mit dem Erwerb ihres Lebensunterhaltes zu thun
hätten, um an Attentate zu denken.
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