Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Ein Brief an L. v. Gerlach. Empfang jener Chamade schlagenden Instruction unter fortwähren¬den Anfällen gallichten Erbrechens gelitten, und ein mäßiges Fieber verläßt mich keinen Augenblick. Ich finde nur in der Erinnerung an den Frühling 1848 das Analogon meiner körperlichen und geistigen Stimmung, und je mehr ich mir die Situation klar mache, um so weniger entdecke ich etwas, woran mein Preußisches Ehr¬ gefühl sich aufrichten könnte. Vor acht Tagen schien mir noch alles nied- und nagelfest, und ich selbst bat Manteuffel, Oestreich die Auswahl zwischen zwei für uns annehmbaren Vorschlägen zu lassen, ließ mir aber nicht träumen, daß Graf Buol sie beide verwerfen und uns auf seine eigne Vorlage auch die Antwort vorschreiben werde, die wir zu geben haben. Ich hatte gehofft, daß wir, wie auch schließlich unsre Antwort ausfallen möge, uns doch nicht gefangen geben würden, bevor unsre Zuziehung zu den Conferenzen gesichert wäre. Wie stellt sich aber unsre Lage jetzt heraus? Viermal hat Oestreich in zwei Jahren das Spiel gegen uns durchgeführt, daß es den ganzen Grund, auf dem wir standen, von uns forderte und wir nach einigem Sperren die Hälfte oder so etwas abtraten. Jetzt geht es aber um den letzten Quadrat¬ fuß, auf dem noch eine Preußische Aufstellung möglich blieb. Durch seine Erfolge übermüthig gemacht, fordert Oestreich nicht nur, daß wir, die wir uns eine Großmacht nennen und auf dua¬ listische Gleichberechtigung Anspruch machen, ihm diesen letzten Rest von unabhängiger Stellung opfern, sondern schreibt uns auch den Ausdruck vor, in dem wir unsre Abdication unterzeichnen sollen, gebietet uns eine unanständige nach Stunden bemessene Eile und versagt uns jedes Aequivalent, welches ein Pflaster für unsre Wunden abgeben könnte. Nicht einmal ein Amendement in der Erklärung, die Preußen und Deutschland geben sollen, getrauen wir uns entschieden aufzustellen. Pfordten macht die Sache mit Oest¬ reich ab, indem er glaubt, Preußens Einverständniß voraussetzen zu dürfen, und wenn Baiern gesprochen hat, so ist es für Preußen res judicata. Bei ähnlichen Gelegenheiten der letzten beiden Jahre Ein Brief an L. v. Gerlach. Empfang jener Chamade ſchlagenden Inſtruction unter fortwähren¬den Anfällen gallichten Erbrechens gelitten, und ein mäßiges Fieber verläßt mich keinen Augenblick. Ich finde nur in der Erinnerung an den Frühling 1848 das Analogon meiner körperlichen und geiſtigen Stimmung, und je mehr ich mir die Situation klar mache, um ſo weniger entdecke ich etwas, woran mein Preußiſches Ehr¬ gefühl ſich aufrichten könnte. Vor acht Tagen ſchien mir noch alles nied- und nagelfeſt, und ich ſelbſt bat Manteuffel, Oeſtreich die Auswahl zwiſchen zwei für uns annehmbaren Vorſchlägen zu laſſen, ließ mir aber nicht träumen, daß Graf Buol ſie beide verwerfen und uns auf ſeine eigne Vorlage auch die Antwort vorſchreiben werde, die wir zu geben haben. Ich hatte gehofft, daß wir, wie auch ſchließlich unſre Antwort ausfallen möge, uns doch nicht gefangen geben würden, bevor unſre Zuziehung zu den Conferenzen geſichert wäre. Wie ſtellt ſich aber unſre Lage jetzt heraus? Viermal hat Oeſtreich in zwei Jahren das Spiel gegen uns durchgeführt, daß es den ganzen Grund, auf dem wir ſtanden, von uns forderte und wir nach einigem Sperren die Hälfte oder ſo etwas abtraten. Jetzt geht es aber um den letzten Quadrat¬ fuß, auf dem noch eine Preußiſche Aufſtellung möglich blieb. Durch ſeine Erfolge übermüthig gemacht, fordert Oeſtreich nicht nur, daß wir, die wir uns eine Großmacht nennen und auf dua¬ liſtiſche Gleichberechtigung Anſpruch machen, ihm dieſen letzten Reſt von unabhängiger Stellung opfern, ſondern ſchreibt uns auch den Ausdruck vor, in dem wir unſre Abdication unterzeichnen ſollen, gebietet uns eine unanſtändige nach Stunden bemeſſene Eile und verſagt uns jedes Aequivalent, welches ein Pflaſter für unſre Wunden abgeben könnte. Nicht einmal ein Amendement in der Erklärung, die Preußen und Deutſchland geben ſollen, getrauen wir uns entſchieden aufzuſtellen. Pfordten macht die Sache mit Oeſt¬ reich ab, indem er glaubt, Preußens Einverſtändniß vorausſetzen zu dürfen, und wenn Baiern geſprochen hat, ſo iſt es für Preußen res judicata. Bei ähnlichen Gelegenheiten der letzten beiden Jahre <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0144" n="117"/><fw place="top" type="header">Ein Brief an L. v. 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Ein Brief an L. v. Gerlach.
Empfang jener Chamade ſchlagenden Inſtruction unter fortwähren¬
den Anfällen gallichten Erbrechens gelitten, und ein mäßiges Fieber
verläßt mich keinen Augenblick. Ich finde nur in der Erinnerung
an den Frühling 1848 das Analogon meiner körperlichen und
geiſtigen Stimmung, und je mehr ich mir die Situation klar mache,
um ſo weniger entdecke ich etwas, woran mein Preußiſches Ehr¬
gefühl ſich aufrichten könnte. Vor acht Tagen ſchien mir noch alles
nied- und nagelfeſt, und ich ſelbſt bat Manteuffel, Oeſtreich die
Auswahl zwiſchen zwei für uns annehmbaren Vorſchlägen zu
laſſen, ließ mir aber nicht träumen, daß Graf Buol ſie beide
verwerfen und uns auf ſeine eigne Vorlage auch die Antwort
vorſchreiben werde, die wir zu geben haben. Ich hatte gehofft,
daß wir, wie auch ſchließlich unſre Antwort ausfallen möge, uns
doch nicht gefangen geben würden, bevor unſre Zuziehung zu den
Conferenzen geſichert wäre. Wie ſtellt ſich aber unſre Lage jetzt
heraus? Viermal hat Oeſtreich in zwei Jahren das Spiel gegen
uns durchgeführt, daß es den ganzen Grund, auf dem wir ſtanden,
von uns forderte und wir nach einigem Sperren die Hälfte oder
ſo etwas abtraten. Jetzt geht es aber um den letzten Quadrat¬
fuß, auf dem noch eine Preußiſche Aufſtellung möglich blieb.
Durch ſeine Erfolge übermüthig gemacht, fordert Oeſtreich nicht
nur, daß wir, die wir uns eine Großmacht nennen und auf dua¬
liſtiſche Gleichberechtigung Anſpruch machen, ihm dieſen letzten Reſt
von unabhängiger Stellung opfern, ſondern ſchreibt uns auch den
Ausdruck vor, in dem wir unſre Abdication unterzeichnen ſollen,
gebietet uns eine unanſtändige nach Stunden bemeſſene Eile und
verſagt uns jedes Aequivalent, welches ein Pflaſter für unſre
Wunden abgeben könnte. Nicht einmal ein Amendement in der
Erklärung, die Preußen und Deutſchland geben ſollen, getrauen wir
uns entſchieden aufzuſtellen. Pfordten macht die Sache mit Oeſt¬
reich ab, indem er glaubt, Preußens Einverſtändniß vorausſetzen
zu dürfen, und wenn Baiern geſprochen hat, ſo iſt es für Preußen
res judicata. Bei ähnlichen Gelegenheiten der letzten beiden Jahre
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