Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Kapitel: Sanssouci und Coblenz.
deten Höfen gehalten, jedes verstimmende Detail nach Hause zu
melden; namentlich als ich in Petersburg mit einem Vertrauen
beehrt wurde, welches ich fremden Diplomaten in Berlin zu ge¬
währen für bedenklich gehalten haben würde. Jede zur Erregung
von Verstimmung zwischen uns und Rußland geeignete Meldung
würde bei der damals und in der Regel antirussischen Politik der
Königin zur Lockerung unsrer russischen Beziehungen ausgenutzt
worden sein, sei es aus Abneigung gegen Rußland und aus vor¬
übergehenden Popularitätsrücksichten, sei es aus Wohlwollen für
England und in der Voraussetzung, daß Wohlwollen für England
und selbst für Frankreich einen höhern Grad von Civilisation und
Bildung anzeige als Wohlwollen für Rußland.

Nachdem der Prinz von Preußen im Jahre 1849 als Gouver¬
neur der Rheinprovinz seine Residenz dauernd nach Coblenz verlegt
hatte, consolidirte sich allmählich die gegenseitige Stellung der beiden
Höfe von Sanssouci und Coblenz zu einer occulten Gegnerschaft,
in welcher auch auf der königlichen Seite das weibliche Element
mitspielte, jedoch in geringerem Maße als auf der prinzlichen. Der
Einfluß der Königin Elisabeth zu Gunsten Oestreichs, Baierns,
Sachsens war ein unbefangner und unverhehlter, ein Ergebniß der
Solidarität, welche die Uebereinstimmung der Anschauungen und
die verwandschaftlichen Familiensympathien naturgemäß hervor¬
brachten. Zwischen der Königin und dem Minister von Manteuffel
bestand keine persönliche Sympathie, wie schon die Verschiedenheit
der Temperamente es mit sich brachte; gleichwohl ging die Ein¬
wirkung Beider auf den König nicht selten und namentlich in
kritischen Momenten gleichmäßig in der Richtung des östreichischen
Interesses, doch von Seiten der Königin in entscheidenden Augen¬
blicken nur bis zu gewissen Grenzen, welche die eheliche und fürst¬
liche Empfindung im Interesse der Krone des Gemals ihr zogen.
Die Sorge für des Königs Ansehn trat namentlich in kritischen
Momenten hervor, wenn auch weniger in der Gestalt einer Ermuthi¬
gung zum Handeln, als in der einer weiblichen Scheu vor den

Sechſtes Kapitel: Sansſouci und Coblenz.
deten Höfen gehalten, jedes verſtimmende Detail nach Hauſe zu
melden; namentlich als ich in Petersburg mit einem Vertrauen
beehrt wurde, welches ich fremden Diplomaten in Berlin zu ge¬
währen für bedenklich gehalten haben würde. Jede zur Erregung
von Verſtimmung zwiſchen uns und Rußland geeignete Meldung
würde bei der damals und in der Regel antiruſſiſchen Politik der
Königin zur Lockerung unſrer ruſſiſchen Beziehungen ausgenutzt
worden ſein, ſei es aus Abneigung gegen Rußland und aus vor¬
übergehenden Popularitätsrückſichten, ſei es aus Wohlwollen für
England und in der Vorausſetzung, daß Wohlwollen für England
und ſelbſt für Frankreich einen höhern Grad von Civiliſation und
Bildung anzeige als Wohlwollen für Rußland.

Nachdem der Prinz von Preußen im Jahre 1849 als Gouver¬
neur der Rheinprovinz ſeine Reſidenz dauernd nach Coblenz verlegt
hatte, conſolidirte ſich allmählich die gegenſeitige Stellung der beiden
Höfe von Sansſouci und Coblenz zu einer occulten Gegnerſchaft,
in welcher auch auf der königlichen Seite das weibliche Element
mitſpielte, jedoch in geringerem Maße als auf der prinzlichen. Der
Einfluß der Königin Eliſabeth zu Gunſten Oeſtreichs, Baierns,
Sachſens war ein unbefangner und unverhehlter, ein Ergebniß der
Solidarität, welche die Uebereinſtimmung der Anſchauungen und
die verwandſchaftlichen Familienſympathien naturgemäß hervor¬
brachten. Zwiſchen der Königin und dem Miniſter von Manteuffel
beſtand keine perſönliche Sympathie, wie ſchon die Verſchiedenheit
der Temperamente es mit ſich brachte; gleichwohl ging die Ein¬
wirkung Beider auf den König nicht ſelten und namentlich in
kritiſchen Momenten gleichmäßig in der Richtung des öſtreichiſchen
Intereſſes, doch von Seiten der Königin in entſcheidenden Augen¬
blicken nur bis zu gewiſſen Grenzen, welche die eheliche und fürſt¬
liche Empfindung im Intereſſe der Krone des Gemals ihr zogen.
Die Sorge für des Königs Anſehn trat namentlich in kritiſchen
Momenten hervor, wenn auch weniger in der Geſtalt einer Ermuthi¬
gung zum Handeln, als in der einer weiblichen Scheu vor den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0151" n="124"/><fw place="top" type="header">Sech&#x017F;tes Kapitel: Sans&#x017F;ouci und Coblenz.<lb/></fw> deten Höfen gehalten, jedes ver&#x017F;timmende Detail nach Hau&#x017F;e zu<lb/>
melden; namentlich als ich in Petersburg mit einem Vertrauen<lb/>
beehrt wurde, welches ich fremden Diplomaten in Berlin zu ge¬<lb/>
währen für bedenklich gehalten haben würde. Jede zur Erregung<lb/>
von Ver&#x017F;timmung zwi&#x017F;chen uns und Rußland geeignete Meldung<lb/>
würde bei der damals und in der Regel antiru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Politik der<lb/>
Königin zur Lockerung un&#x017F;rer ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Beziehungen ausgenutzt<lb/>
worden &#x017F;ein, &#x017F;ei es aus Abneigung gegen Rußland und aus vor¬<lb/>
übergehenden Popularitätsrück&#x017F;ichten, &#x017F;ei es aus Wohlwollen für<lb/>
England und in der Voraus&#x017F;etzung, daß Wohlwollen für England<lb/>
und &#x017F;elb&#x017F;t für Frankreich einen höhern Grad von Civili&#x017F;ation und<lb/>
Bildung anzeige als Wohlwollen für Rußland.</p><lb/>
        <p>Nachdem der Prinz von Preußen im Jahre 1849 als Gouver¬<lb/>
neur der Rheinprovinz &#x017F;eine Re&#x017F;idenz dauernd nach Coblenz verlegt<lb/>
hatte, con&#x017F;olidirte &#x017F;ich allmählich die gegen&#x017F;eitige Stellung der beiden<lb/>
Höfe von Sans&#x017F;ouci und Coblenz zu einer occulten Gegner&#x017F;chaft,<lb/>
in welcher auch auf der königlichen Seite das weibliche Element<lb/>
mit&#x017F;pielte, jedoch in geringerem Maße als auf der prinzlichen. Der<lb/>
Einfluß der Königin Eli&#x017F;abeth zu Gun&#x017F;ten Oe&#x017F;treichs, Baierns,<lb/>
Sach&#x017F;ens war ein unbefangner und unverhehlter, ein Ergebniß der<lb/>
Solidarität, welche die Ueberein&#x017F;timmung der An&#x017F;chauungen und<lb/>
die verwand&#x017F;chaftlichen Familien&#x017F;ympathien naturgemäß hervor¬<lb/>
brachten. Zwi&#x017F;chen der Königin und dem Mini&#x017F;ter von Manteuffel<lb/>
be&#x017F;tand keine per&#x017F;önliche Sympathie, wie &#x017F;chon die Ver&#x017F;chiedenheit<lb/>
der Temperamente es mit &#x017F;ich brachte; gleichwohl ging die Ein¬<lb/>
wirkung Beider auf den König nicht &#x017F;elten und namentlich in<lb/>
kriti&#x017F;chen Momenten gleichmäßig in der Richtung des ö&#x017F;treichi&#x017F;chen<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;es, doch von Seiten der Königin in ent&#x017F;cheidenden Augen¬<lb/>
blicken nur bis zu gewi&#x017F;&#x017F;en Grenzen, welche die eheliche und für&#x017F;<lb/>
liche Empfindung im Intere&#x017F;&#x017F;e der Krone des Gemals ihr zogen.<lb/>
Die Sorge für des Königs An&#x017F;ehn trat namentlich in kriti&#x017F;chen<lb/>
Momenten hervor, wenn auch weniger in der Ge&#x017F;talt einer Ermuthi¬<lb/>
gung zum Handeln, als in der einer weiblichen Scheu vor den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0151] Sechſtes Kapitel: Sansſouci und Coblenz. deten Höfen gehalten, jedes verſtimmende Detail nach Hauſe zu melden; namentlich als ich in Petersburg mit einem Vertrauen beehrt wurde, welches ich fremden Diplomaten in Berlin zu ge¬ währen für bedenklich gehalten haben würde. Jede zur Erregung von Verſtimmung zwiſchen uns und Rußland geeignete Meldung würde bei der damals und in der Regel antiruſſiſchen Politik der Königin zur Lockerung unſrer ruſſiſchen Beziehungen ausgenutzt worden ſein, ſei es aus Abneigung gegen Rußland und aus vor¬ übergehenden Popularitätsrückſichten, ſei es aus Wohlwollen für England und in der Vorausſetzung, daß Wohlwollen für England und ſelbſt für Frankreich einen höhern Grad von Civiliſation und Bildung anzeige als Wohlwollen für Rußland. Nachdem der Prinz von Preußen im Jahre 1849 als Gouver¬ neur der Rheinprovinz ſeine Reſidenz dauernd nach Coblenz verlegt hatte, conſolidirte ſich allmählich die gegenſeitige Stellung der beiden Höfe von Sansſouci und Coblenz zu einer occulten Gegnerſchaft, in welcher auch auf der königlichen Seite das weibliche Element mitſpielte, jedoch in geringerem Maße als auf der prinzlichen. Der Einfluß der Königin Eliſabeth zu Gunſten Oeſtreichs, Baierns, Sachſens war ein unbefangner und unverhehlter, ein Ergebniß der Solidarität, welche die Uebereinſtimmung der Anſchauungen und die verwandſchaftlichen Familienſympathien naturgemäß hervor¬ brachten. Zwiſchen der Königin und dem Miniſter von Manteuffel beſtand keine perſönliche Sympathie, wie ſchon die Verſchiedenheit der Temperamente es mit ſich brachte; gleichwohl ging die Ein¬ wirkung Beider auf den König nicht ſelten und namentlich in kritiſchen Momenten gleichmäßig in der Richtung des öſtreichiſchen Intereſſes, doch von Seiten der Königin in entſcheidenden Augen¬ blicken nur bis zu gewiſſen Grenzen, welche die eheliche und fürſt¬ liche Empfindung im Intereſſe der Krone des Gemals ihr zogen. Die Sorge für des Königs Anſehn trat namentlich in kritiſchen Momenten hervor, wenn auch weniger in der Geſtalt einer Ermuthi¬ gung zum Handeln, als in der einer weiblichen Scheu vor den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/151
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/151>, abgerufen am 27.11.2024.