Siebentes Kapitel. Unterwegs zwischen Frankfurt und Berlin.
I.
Die Entfremdung die zwischen dem Minister Manteuffel und mir nach meiner Wiener Mission und infolge der Zuträgerei von Klentze und Andern entstanden war, hatte die Folge, daß der König mich immer häufiger zur "Territion" kommen ließ, wenn der Minister ihm nicht zu Willen sein wollte. Ich habe auf den Reisen zwischen Frankfurt und Berlin über Guntershausen in einem Jahre 2000 Meilen gemacht, damals stets die neue Cigarre an der vorhergehenden ent¬ zündend oder gut schlafend. Der König erforderte nicht nur meine Ansicht über Fragen der deutschen und der auswärtigen Politik, sondern beauftragte mich auch gelegentlich, wenn ihm Entwürfe des Auswärtigen Amtes vorlagen, mit der Ausarbeitung von Gegen¬ projecten. Ich besprach diese Aufträge und meine entsprechenden Redactionen dann mit Manteuffel, der es in der Regel ablehnte, Aenderungen daran vorzunehmen, wenn auch unsre politischen An¬ sichten auseinander gingen. Er hatte mehr Entgegenkommen für die Westmächte und die östreichischen Wünsche, während ich, ohne russische Politik zu vertreten, keinen Grund sah, unsern langjährigen Frieden mit Rußland für andre als preußische Interessen in Frage zu stellen, und ein etwaiges Eintreten Preußens gegen Rußland für Interessen, die uns fern lagen, als das Ergebniß unsrer Furcht vor den Westmächten und unsres bescheidenen Respects vor Eng¬
Siebentes Kapitel. Unterwegs zwiſchen Frankfurt und Berlin.
I.
Die Entfremdung die zwiſchen dem Miniſter Manteuffel und mir nach meiner Wiener Miſſion und infolge der Zuträgerei von Klentze und Andern entſtanden war, hatte die Folge, daß der König mich immer häufiger zur „Territion“ kommen ließ, wenn der Miniſter ihm nicht zu Willen ſein wollte. Ich habe auf den Reiſen zwiſchen Frankfurt und Berlin über Guntershauſen in einem Jahre 2000 Meilen gemacht, damals ſtets die neue Cigarre an der vorhergehenden ent¬ zündend oder gut ſchlafend. Der König erforderte nicht nur meine Anſicht über Fragen der deutſchen und der auswärtigen Politik, ſondern beauftragte mich auch gelegentlich, wenn ihm Entwürfe des Auswärtigen Amtes vorlagen, mit der Ausarbeitung von Gegen¬ projecten. Ich beſprach dieſe Aufträge und meine entſprechenden Redactionen dann mit Manteuffel, der es in der Regel ablehnte, Aenderungen daran vorzunehmen, wenn auch unſre politiſchen An¬ ſichten auseinander gingen. Er hatte mehr Entgegenkommen für die Weſtmächte und die öſtreichiſchen Wünſche, während ich, ohne ruſſiſche Politik zu vertreten, keinen Grund ſah, unſern langjährigen Frieden mit Rußland für andre als preußiſche Intereſſen in Frage zu ſtellen, und ein etwaiges Eintreten Preußens gegen Rußland für Intereſſen, die uns fern lagen, als das Ergebniß unſrer Furcht vor den Weſtmächten und unſres beſcheidenen Reſpects vor Eng¬
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Siebentes Kapitel.
Unterwegs zwiſchen Frankfurt und Berlin.
I.
Die Entfremdung die zwiſchen dem Miniſter Manteuffel und
mir nach meiner Wiener Miſſion und infolge der Zuträgerei von
Klentze und Andern entſtanden war, hatte die Folge, daß der König
mich immer häufiger zur „Territion“ kommen ließ, wenn der Miniſter
ihm nicht zu Willen ſein wollte. Ich habe auf den Reiſen zwiſchen
Frankfurt und Berlin über Guntershauſen in einem Jahre 2000 Meilen
gemacht, damals ſtets die neue Cigarre an der vorhergehenden ent¬
zündend oder gut ſchlafend. Der König erforderte nicht nur meine
Anſicht über Fragen der deutſchen und der auswärtigen Politik,
ſondern beauftragte mich auch gelegentlich, wenn ihm Entwürfe
des Auswärtigen Amtes vorlagen, mit der Ausarbeitung von Gegen¬
projecten. Ich beſprach dieſe Aufträge und meine entſprechenden
Redactionen dann mit Manteuffel, der es in der Regel ablehnte,
Aenderungen daran vorzunehmen, wenn auch unſre politiſchen An¬
ſichten auseinander gingen. Er hatte mehr Entgegenkommen für
die Weſtmächte und die öſtreichiſchen Wünſche, während ich, ohne
ruſſiſche Politik zu vertreten, keinen Grund ſah, unſern langjährigen
Frieden mit Rußland für andre als preußiſche Intereſſen in Frage
zu ſtellen, und ein etwaiges Eintreten Preußens gegen Rußland
für Intereſſen, die uns fern lagen, als das Ergebniß unſrer Furcht
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. [128]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/155>, abgerufen am 27.11.2024.
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