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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Achtes Kapitel: Besuch in Paris.
nirenden Antipathien, sondern nur aus der Schädlichkeit oder
Nützlichkeit für Preußen, welche ich ihnen beilege, entnehme. In
der Gefühlspolitik ist garkeine Reciprocität, sie ist eine ausschließlich
Preußische Eigenthümlichkeit; jede andre Regirung nimmt lediglich
ihre Interessen zum Maßstabe ihrer Handlungen, wie sie dieselben
auch mit rechtlichen oder gefühlvollen Deductionen drapiren mag.
Man acceptirt unsre Gefühle, beutet sie aus, rechnet darauf, daß
sie uns nicht gestatten, uns dieser Ausbeutung zu entziehn und be¬
handelt uns danach, d. h. man dankt uns nicht einmal dafür und
respectirt uns nur als brauchbare dupe.

Ich glaube, Sie werden mir Recht geben, wenn ich behaupte,
daß unser Ansehn in Europa heut nicht dasselbe ist wie vor 1848;
ich meine sogar, es war größer zu jeder Zeit zwischen 1763 und
1848, mit Ausnahme natürlich der Zeit von 7 bis 13. Ich räume
ein, daß unser Machtverhältniß zu andern Großmächten, namentlich
aggressiv, vor 1806 ein stärkeres war als jetzt, von 15 bis 48
aber nicht; damals waren ziemlich Alle, was sie jetzt noch sind,
und doch müssen wir sagen wie der Schäfer in Goethe's Gedicht:
,Ich bin heruntergekommen und weiß doch selber nicht wie.' Ich
will auch nicht behaupten, daß ich es weiß, aber viel liegt ohne
Zweifel in dem Umstande: wir haben keine Bündnisse und treiben
keine auswärtige Politik, das heißt, keine active, sondern wir be¬
schränken uns darauf, die Steine, die in unsern Garten fallen,
aufzusammeln und den Schmutz, der uns anfliegt, abzubürsten, wie
wir können. Wenn ich von Bündnissen rede, so meine ich damit
keine Schutz- und Trutzbündnisse, denn der Frieden ist noch nicht
bedroht; aber alle die Nuancen von Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit
oder Absicht, für den Fall eines Krieges dieses oder jenes Bündniß
schließen, zu dieser oder jener Gruppe gehören zu können, bleiben
doch die Basis des Einflusses, den ein Staat heut zu Tage in Friedens¬
zeiten üben kann. Wer sich in der für den Kriegsfall schwächern
Combination befindet, ist nachgiebiger gestimmt; wer sich ganz
isolirt, verzichtet auf Einfluß, besonders wenn es die schwächste

Achtes Kapitel: Beſuch in Paris.
nirenden Antipathien, ſondern nur aus der Schädlichkeit oder
Nützlichkeit für Preußen, welche ich ihnen beilege, entnehme. In
der Gefühlspolitik iſt garkeine Reciprocität, ſie iſt eine ausſchließlich
Preußiſche Eigenthümlichkeit; jede andre Regirung nimmt lediglich
ihre Intereſſen zum Maßſtabe ihrer Handlungen, wie ſie dieſelben
auch mit rechtlichen oder gefühlvollen Deductionen drapiren mag.
Man acceptirt unſre Gefühle, beutet ſie aus, rechnet darauf, daß
ſie uns nicht geſtatten, uns dieſer Ausbeutung zu entziehn und be¬
handelt uns danach, d. h. man dankt uns nicht einmal dafür und
reſpectirt uns nur als brauchbare dupe.

Ich glaube, Sie werden mir Recht geben, wenn ich behaupte,
daß unſer Anſehn in Europa heut nicht daſſelbe iſt wie vor 1848;
ich meine ſogar, es war größer zu jeder Zeit zwiſchen 1763 und
1848, mit Ausnahme natürlich der Zeit von 7 bis 13. Ich räume
ein, daß unſer Machtverhältniß zu andern Großmächten, namentlich
aggreſſiv, vor 1806 ein ſtärkeres war als jetzt, von 15 bis 48
aber nicht; damals waren ziemlich Alle, was ſie jetzt noch ſind,
und doch müſſen wir ſagen wie der Schäfer in Goethe's Gedicht:
,Ich bin heruntergekommen und weiß doch ſelber nicht wie.‘ Ich
will auch nicht behaupten, daß ich es weiß, aber viel liegt ohne
Zweifel in dem Umſtande: wir haben keine Bündniſſe und treiben
keine auswärtige Politik, das heißt, keine active, ſondern wir be¬
ſchränken uns darauf, die Steine, die in unſern Garten fallen,
aufzuſammeln und den Schmutz, der uns anfliegt, abzubürſten, wie
wir können. Wenn ich von Bündniſſen rede, ſo meine ich damit
keine Schutz- und Trutzbündniſſe, denn der Frieden iſt noch nicht
bedroht; aber alle die Nuancen von Möglichkeit, Wahrſcheinlichkeit
oder Abſicht, für den Fall eines Krieges dieſes oder jenes Bündniß
ſchließen, zu dieſer oder jener Gruppe gehören zu können, bleiben
doch die Baſis des Einfluſſes, den ein Staat heut zu Tage in Friedens¬
zeiten üben kann. Wer ſich in der für den Kriegsfall ſchwächern
Combination befindet, iſt nachgiebiger geſtimmt; wer ſich ganz
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[158/0185] Achtes Kapitel: Beſuch in Paris. nirenden Antipathien, ſondern nur aus der Schädlichkeit oder Nützlichkeit für Preußen, welche ich ihnen beilege, entnehme. In der Gefühlspolitik iſt garkeine Reciprocität, ſie iſt eine ausſchließlich Preußiſche Eigenthümlichkeit; jede andre Regirung nimmt lediglich ihre Intereſſen zum Maßſtabe ihrer Handlungen, wie ſie dieſelben auch mit rechtlichen oder gefühlvollen Deductionen drapiren mag. Man acceptirt unſre Gefühle, beutet ſie aus, rechnet darauf, daß ſie uns nicht geſtatten, uns dieſer Ausbeutung zu entziehn und be¬ handelt uns danach, d. h. man dankt uns nicht einmal dafür und reſpectirt uns nur als brauchbare dupe. Ich glaube, Sie werden mir Recht geben, wenn ich behaupte, daß unſer Anſehn in Europa heut nicht daſſelbe iſt wie vor 1848; ich meine ſogar, es war größer zu jeder Zeit zwiſchen 1763 und 1848, mit Ausnahme natürlich der Zeit von 7 bis 13. Ich räume ein, daß unſer Machtverhältniß zu andern Großmächten, namentlich aggreſſiv, vor 1806 ein ſtärkeres war als jetzt, von 15 bis 48 aber nicht; damals waren ziemlich Alle, was ſie jetzt noch ſind, und doch müſſen wir ſagen wie der Schäfer in Goethe's Gedicht: ,Ich bin heruntergekommen und weiß doch ſelber nicht wie.‘ Ich will auch nicht behaupten, daß ich es weiß, aber viel liegt ohne Zweifel in dem Umſtande: wir haben keine Bündniſſe und treiben keine auswärtige Politik, das heißt, keine active, ſondern wir be¬ ſchränken uns darauf, die Steine, die in unſern Garten fallen, aufzuſammeln und den Schmutz, der uns anfliegt, abzubürſten, wie wir können. Wenn ich von Bündniſſen rede, ſo meine ich damit keine Schutz- und Trutzbündniſſe, denn der Frieden iſt noch nicht bedroht; aber alle die Nuancen von Möglichkeit, Wahrſcheinlichkeit oder Abſicht, für den Fall eines Krieges dieſes oder jenes Bündniß ſchließen, zu dieſer oder jener Gruppe gehören zu können, bleiben doch die Baſis des Einfluſſes, den ein Staat heut zu Tage in Friedens¬ zeiten üben kann. Wer ſich in der für den Kriegsfall ſchwächern Combination befindet, iſt nachgiebiger geſtimmt; wer ſich ganz iſolirt, verzichtet auf Einfluß, beſonders wenn es die ſchwächſte

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/185>, abgerufen am 24.11.2024.