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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich.
spielen werden. Ich habe eine solche Allianz auch nie als etwas
von uns zu Erstrebendes hingestellt, sondern als eine Thatsache,
die wahrscheinlich früher oder später aus dem jetzigen decousu
hervorgehn wird, ohne daß wir sie hindern können, mit der man
also rechnen, über deren Wirkungen wir uns klar machen müssen.
Ich habe hinzugefügt, daß wir sie, nachdem Frankreich um unsre
Freundschaft wirbt, durch unser Eingehn auf diese Werbung viel¬
leicht hindern, oder doch in der Wirkung modificiren, jedenfalls
vermeiden können, als ,der Dritte' in dieselbe zu treten. Ver¬
hältnißmäßig schwach werden wir in jeder Verbindung mit andern
Großmächten erscheinen, so lange wir eben nicht stärker sind, als wir
jetzt sind. Oestreich und England werden, wenn wir mit ihnen
im Bunde sind, ihre Ueberlegenheit auch nicht grade in unserm
Interesse geltend machen, das haben wir auf dem Wiener Con¬
greß zu unserm Schaden erlebt. Oestreich kann uns keine Be¬
deutung in Deutschland gönnen, England keine Chancen maritimer
Entwicklung in Handel oder Flotte, und ist neidisch auf unsre
Industrie.

Sie parallelisiren mich mit Haugwitz und der damaligen
,Defensiv-Politik'. Die Verhältnisse damals waren aber andre.
Frankreich war schon im Besitz der drohendsten Uebermacht, an
seiner Spitze ein notorisch gefährlicher Eroberer, und auf England
war dagegen sicher zu rechnen. Ich habe den Muth, den Baseler
Frieden nicht zu tadeln; mit dem damaligen Oestreich und seinen
Thugut, Lehrbach und Cobenzl war ebensowenig ein Bündniß
auszuhalten, wie mit dem heutigen, und daß wir 1815 nur schlecht
fortkamen, kann ich nicht auf den Baseler Frieden schieben, sondern
wir konnten gegen die uns entgegenstehenden Interessen von Eng¬
land und Oestreich nicht aufkommen, weil unsre physische Schwäche
im Vergleich mit den andern Großmächten nicht gefürchtet wurde.
Die Rheinbundstaaten hatten noch ganz anders ,gebaselt' wie wir
und kamen doch in Wien vorzüglich gut fort. Daß wir aber
1805 nicht die Gelegenheit ergriffen, um Frankreichs Uebermacht

Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.
ſpielen werden. Ich habe eine ſolche Allianz auch nie als etwas
von uns zu Erſtrebendes hingeſtellt, ſondern als eine Thatſache,
die wahrſcheinlich früher oder ſpäter aus dem jetzigen décousu
hervorgehn wird, ohne daß wir ſie hindern können, mit der man
alſo rechnen, über deren Wirkungen wir uns klar machen müſſen.
Ich habe hinzugefügt, daß wir ſie, nachdem Frankreich um unſre
Freundſchaft wirbt, durch unſer Eingehn auf dieſe Werbung viel¬
leicht hindern, oder doch in der Wirkung modificiren, jedenfalls
vermeiden können, als ‚der Dritte‘ in dieſelbe zu treten. Ver¬
hältnißmäßig ſchwach werden wir in jeder Verbindung mit andern
Großmächten erſcheinen, ſo lange wir eben nicht ſtärker ſind, als wir
jetzt ſind. Oeſtreich und England werden, wenn wir mit ihnen
im Bunde ſind, ihre Ueberlegenheit auch nicht grade in unſerm
Intereſſe geltend machen, das haben wir auf dem Wiener Con¬
greß zu unſerm Schaden erlebt. Oeſtreich kann uns keine Be¬
deutung in Deutſchland gönnen, England keine Chancen maritimer
Entwicklung in Handel oder Flotte, und iſt neidiſch auf unſre
Induſtrie.

Sie paralleliſiren mich mit Haugwitz und der damaligen
‚Defenſiv-Politik‘. Die Verhältniſſe damals waren aber andre.
Frankreich war ſchon im Beſitz der drohendſten Uebermacht, an
ſeiner Spitze ein notoriſch gefährlicher Eroberer, und auf England
war dagegen ſicher zu rechnen. Ich habe den Muth, den Baſeler
Frieden nicht zu tadeln; mit dem damaligen Oeſtreich und ſeinen
Thugut, Lehrbach und Cobenzl war ebenſowenig ein Bündniß
auszuhalten, wie mit dem heutigen, und daß wir 1815 nur ſchlecht
fortkamen, kann ich nicht auf den Baſeler Frieden ſchieben, ſondern
wir konnten gegen die uns entgegenſtehenden Intereſſen von Eng¬
land und Oeſtreich nicht aufkommen, weil unſre phyſiſche Schwäche
im Vergleich mit den andern Großmächten nicht gefürchtet wurde.
Die Rheinbundſtaaten hatten noch ganz anders ‚gebaſelt‘ wie wir
und kamen doch in Wien vorzüglich gut fort. Daß wir aber
1805 nicht die Gelegenheit ergriffen, um Frankreichs Uebermacht

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[183/0210] Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich. ſpielen werden. Ich habe eine ſolche Allianz auch nie als etwas von uns zu Erſtrebendes hingeſtellt, ſondern als eine Thatſache, die wahrſcheinlich früher oder ſpäter aus dem jetzigen décousu hervorgehn wird, ohne daß wir ſie hindern können, mit der man alſo rechnen, über deren Wirkungen wir uns klar machen müſſen. Ich habe hinzugefügt, daß wir ſie, nachdem Frankreich um unſre Freundſchaft wirbt, durch unſer Eingehn auf dieſe Werbung viel¬ leicht hindern, oder doch in der Wirkung modificiren, jedenfalls vermeiden können, als ‚der Dritte‘ in dieſelbe zu treten. Ver¬ hältnißmäßig ſchwach werden wir in jeder Verbindung mit andern Großmächten erſcheinen, ſo lange wir eben nicht ſtärker ſind, als wir jetzt ſind. Oeſtreich und England werden, wenn wir mit ihnen im Bunde ſind, ihre Ueberlegenheit auch nicht grade in unſerm Intereſſe geltend machen, das haben wir auf dem Wiener Con¬ greß zu unſerm Schaden erlebt. Oeſtreich kann uns keine Be¬ deutung in Deutſchland gönnen, England keine Chancen maritimer Entwicklung in Handel oder Flotte, und iſt neidiſch auf unſre Induſtrie. Sie paralleliſiren mich mit Haugwitz und der damaligen ‚Defenſiv-Politik‘. Die Verhältniſſe damals waren aber andre. Frankreich war ſchon im Beſitz der drohendſten Uebermacht, an ſeiner Spitze ein notoriſch gefährlicher Eroberer, und auf England war dagegen ſicher zu rechnen. Ich habe den Muth, den Baſeler Frieden nicht zu tadeln; mit dem damaligen Oeſtreich und ſeinen Thugut, Lehrbach und Cobenzl war ebenſowenig ein Bündniß auszuhalten, wie mit dem heutigen, und daß wir 1815 nur ſchlecht fortkamen, kann ich nicht auf den Baſeler Frieden ſchieben, ſondern wir konnten gegen die uns entgegenſtehenden Intereſſen von Eng¬ land und Oeſtreich nicht aufkommen, weil unſre phyſiſche Schwäche im Vergleich mit den andern Großmächten nicht gefürchtet wurde. Die Rheinbundſtaaten hatten noch ganz anders ‚gebaſelt‘ wie wir und kamen doch in Wien vorzüglich gut fort. Daß wir aber 1805 nicht die Gelegenheit ergriffen, um Frankreichs Uebermacht

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/210>, abgerufen am 21.11.2024.