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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich.
Interessen und Sondergelüste der Gesammtrichtung der preußischen
Politik im Wege stehn, daß darin eine Gefahr für sie liegt, gegen
welche nur die Uneigennützigkeit unsres allergnädigsten Herrn eine
Sicherheit für die Gegenwart bietet. Der Besuch des Franzosen
bei uns würde kein Mißtrauen weiter hervorrufen, dasselbe ist
im Großen und Ganzen gegen Preußen schon vorhanden, und
die Gesinnungen des Königs, welche es entkräften könnten, werden
Sr. Majestät nicht gedankt, sondern nur benutzt und ausgebeutet.
Das etwa vorhandene ,Vertrauen' wird im Fall der Noth nicht
Einen Mann für uns in's Feld bringen, die Furcht, wenn wir sie
einzuflößen wissen, stellt den ganzen Bund zu unsrer Disposition.
Diese Furcht würde durch ostensible Zeichen unsrer guten Be¬
ziehungen zu Frankreich eingeflößt werden. Geschieht nichts der
Art, so dürfte es schwer sein, diejenigen wohlwollenden Beziehungen
mit Frankreich lange durchzuführen, welche auch Sie für wünschens¬
werth ansehn. Denn man wirbt von dort um uns, man hat das
Bedürfniß, sich ein Relief mit uns zu geben, man hofft auf eine
Zusammenkunft, und ein Korb von uns müßte eine auch für andre
Höfe erkennbare Abkühlung bewirken, weil sich der ,parvenu' an
der empfindlichsten Seite davon betroffen fühlen würde.

Schlagen Sie mir eine andre Politik vor, und ich will sie
ehrlich und vorurtheilsfrei mit Ihnen discutiren; aber eine passive
Planlosigkeit, die froh ist, wenn sie in Ruhe gelassen wird, können
wir in der Mitte von Europa nicht durchführen; sie kann uns heut
ebenso gefährlich werden, wie sie 1805 war, und wir werden
Ambos, wenn wir nichts thun, um Hammer zu werden. Den Trost
des ,victa causa Catoni placuit' kann ich Ihnen nicht zugestehn,
wenn Sie dabei Gefahr laufen, unser gemeinsames Vaterland in
eine victa causa hineinzuziehn. ...

Wenn meine Auffassung keine Gnade vor Ihnen findet, so
brechen Sie wenigstens nicht den Stab über meinen ganzen Men¬
schen, sondern erinnern Sie sich, daß wir Jahre lang in schweren
Zeiten nicht nur denselben Boden hatten, sondern auch dieselben

Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.
Intereſſen und Sondergelüſte der Geſammtrichtung der preußiſchen
Politik im Wege ſtehn, daß darin eine Gefahr für ſie liegt, gegen
welche nur die Uneigennützigkeit unſres allergnädigſten Herrn eine
Sicherheit für die Gegenwart bietet. Der Beſuch des Franzoſen
bei uns würde kein Mißtrauen weiter hervorrufen, daſſelbe iſt
im Großen und Ganzen gegen Preußen ſchon vorhanden, und
die Geſinnungen des Königs, welche es entkräften könnten, werden
Sr. Majeſtät nicht gedankt, ſondern nur benutzt und ausgebeutet.
Das etwa vorhandene ,Vertrauen‘ wird im Fall der Noth nicht
Einen Mann für uns in's Feld bringen, die Furcht, wenn wir ſie
einzuflößen wiſſen, ſtellt den ganzen Bund zu unſrer Diſpoſition.
Dieſe Furcht würde durch oſtenſible Zeichen unſrer guten Be¬
ziehungen zu Frankreich eingeflößt werden. Geſchieht nichts der
Art, ſo dürfte es ſchwer ſein, diejenigen wohlwollenden Beziehungen
mit Frankreich lange durchzuführen, welche auch Sie für wünſchens¬
werth anſehn. Denn man wirbt von dort um uns, man hat das
Bedürfniß, ſich ein Relief mit uns zu geben, man hofft auf eine
Zuſammenkunft, und ein Korb von uns müßte eine auch für andre
Höfe erkennbare Abkühlung bewirken, weil ſich der ,parvenu‘ an
der empfindlichſten Seite davon betroffen fühlen würde.

Schlagen Sie mir eine andre Politik vor, und ich will ſie
ehrlich und vorurtheilsfrei mit Ihnen diſcutiren; aber eine paſſive
Planloſigkeit, die froh iſt, wenn ſie in Ruhe gelaſſen wird, können
wir in der Mitte von Europa nicht durchführen; ſie kann uns heut
ebenſo gefährlich werden, wie ſie 1805 war, und wir werden
Ambos, wenn wir nichts thun, um Hammer zu werden. Den Troſt
des ,victa causa Catoni placuit' kann ich Ihnen nicht zugeſtehn,
wenn Sie dabei Gefahr laufen, unſer gemeinſames Vaterland in
eine victa causa hineinzuziehn. ...

Wenn meine Auffaſſung keine Gnade vor Ihnen findet, ſo
brechen Sie wenigſtens nicht den Stab über meinen ganzen Men¬
ſchen, ſondern erinnern Sie ſich, daß wir Jahre lang in ſchweren
Zeiten nicht nur denſelben Boden hatten, ſondern auch dieſelben

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[185/0212] Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich. Intereſſen und Sondergelüſte der Geſammtrichtung der preußiſchen Politik im Wege ſtehn, daß darin eine Gefahr für ſie liegt, gegen welche nur die Uneigennützigkeit unſres allergnädigſten Herrn eine Sicherheit für die Gegenwart bietet. Der Beſuch des Franzoſen bei uns würde kein Mißtrauen weiter hervorrufen, daſſelbe iſt im Großen und Ganzen gegen Preußen ſchon vorhanden, und die Geſinnungen des Königs, welche es entkräften könnten, werden Sr. Majeſtät nicht gedankt, ſondern nur benutzt und ausgebeutet. Das etwa vorhandene ,Vertrauen‘ wird im Fall der Noth nicht Einen Mann für uns in's Feld bringen, die Furcht, wenn wir ſie einzuflößen wiſſen, ſtellt den ganzen Bund zu unſrer Diſpoſition. Dieſe Furcht würde durch oſtenſible Zeichen unſrer guten Be¬ ziehungen zu Frankreich eingeflößt werden. Geſchieht nichts der Art, ſo dürfte es ſchwer ſein, diejenigen wohlwollenden Beziehungen mit Frankreich lange durchzuführen, welche auch Sie für wünſchens¬ werth anſehn. Denn man wirbt von dort um uns, man hat das Bedürfniß, ſich ein Relief mit uns zu geben, man hofft auf eine Zuſammenkunft, und ein Korb von uns müßte eine auch für andre Höfe erkennbare Abkühlung bewirken, weil ſich der ,parvenu‘ an der empfindlichſten Seite davon betroffen fühlen würde. Schlagen Sie mir eine andre Politik vor, und ich will ſie ehrlich und vorurtheilsfrei mit Ihnen diſcutiren; aber eine paſſive Planloſigkeit, die froh iſt, wenn ſie in Ruhe gelaſſen wird, können wir in der Mitte von Europa nicht durchführen; ſie kann uns heut ebenſo gefährlich werden, wie ſie 1805 war, und wir werden Ambos, wenn wir nichts thun, um Hammer zu werden. Den Troſt des ,victa causa Catoni placuit' kann ich Ihnen nicht zugeſtehn, wenn Sie dabei Gefahr laufen, unſer gemeinſames Vaterland in eine victa causa hineinzuziehn. ... Wenn meine Auffaſſung keine Gnade vor Ihnen findet, ſo brechen Sie wenigſtens nicht den Stab über meinen ganzen Men¬ ſchen, ſondern erinnern Sie ſich, daß wir Jahre lang in ſchweren Zeiten nicht nur denſelben Boden hatten, ſondern auch dieſelben

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/212>, abgerufen am 24.11.2024.