Unterredung mit dem Prinzen über den Petersburger Posten.
meine Abberufung von Frankfurt. Die Ernennung von Usedom werde das Vertrauen der deutschen Höfe abschwächen, weil er unklar liberal und mehr anekdotenerzählender Höfling als Staatsmann sei; und Frau von Usedom würde uns durch ihre Excentricität Verlegen¬ heit und unerwünschte Eindrücke in Frankfurt zuziehn.
Worauf der Regent: "Das ist es ja eben, daß die hohe Be¬ fähigung Usedoms sich nirgendwo anders verwerthen läßt, weil seine Frau an jedem Hofe Verlegenheiten herbeiführen würde." Letztres geschah nicht bloß an Höfen, sondern auch in dem duldsamen Frank¬ furt, und die Unannehmlichkeiten, welche sie in Ueberschätzung ihrer gesandschaftlichen Prärogative Privatleuten bereitete, arteten bis zu öffentlichen Scandalosen aus. Aber Frau von Usedom war geborne Engländerin und fand deshalb bei der Inferiorität des deutschen Selbstgefühls bei Hofe eine Nachsicht, deren sich keine deutsche Frau zu erfreuen gehabt haben würde.
Meine Erwiderung dem Regenten gegenüber lautete ungefähr: "Dann ist es also ein Fehler, daß ich nicht auch eine taktlose Frau geheirathet habe, sonst würde ich auf den Posten, auf dem ich mich heimisch fühle, denselben Anspruch haben, wie Graf Usedom."
Darauf der Regent: "Ich begreife nicht, wie Sie die Sache so bitter auffassen können; Petersburg hat doch immer für den obersten Posten der preußischen Diplomatie gegolten, und Sie sollten es als einen Beweis hohen Vertrauens aufnehmen, daß ich Sie dahin schicke."
Darauf ich: "Sobald Ew. Königliche Hoheit mir dieses Zeug¬ niß geben, so muß ich natürlich schweigen, kann aber doch bei der Freiheit des Wortes, die Ew. Königliche Hoheit mir jederzeit ge¬ stattet haben, nicht umhin, meine Sorge über die heimische Situation und ihren Einfluß auf die deutsche Frage auszusprechen. Usedom ist ein brouillon, kein Geschäftsmann. Seine Instruction wird er von Berlin erhalten; wenn Graf Schlieffen Decernent für deutsche Sachen bleibt, so werden die Instructionen gut sein; an ihre ge¬ wissenhafte Ausführung glaube ich bei Usedom nicht."
Unterredung mit dem Prinzen über den Petersburger Poſten.
meine Abberufung von Frankfurt. Die Ernennung von Uſedom werde das Vertrauen der deutſchen Höfe abſchwächen, weil er unklar liberal und mehr anekdotenerzählender Höfling als Staatsmann ſei; und Frau von Uſedom würde uns durch ihre Excentricität Verlegen¬ heit und unerwünſchte Eindrücke in Frankfurt zuziehn.
Worauf der Regent: „Das iſt es ja eben, daß die hohe Be¬ fähigung Uſedoms ſich nirgendwo anders verwerthen läßt, weil ſeine Frau an jedem Hofe Verlegenheiten herbeiführen würde.“ Letztres geſchah nicht bloß an Höfen, ſondern auch in dem duldſamen Frank¬ furt, und die Unannehmlichkeiten, welche ſie in Ueberſchätzung ihrer geſandſchaftlichen Prärogative Privatleuten bereitete, arteten bis zu öffentlichen Scandaloſen aus. Aber Frau von Uſedom war geborne Engländerin und fand deshalb bei der Inferiorität des deutſchen Selbſtgefühls bei Hofe eine Nachſicht, deren ſich keine deutſche Frau zu erfreuen gehabt haben würde.
Meine Erwiderung dem Regenten gegenüber lautete ungefähr: „Dann iſt es alſo ein Fehler, daß ich nicht auch eine taktloſe Frau geheirathet habe, ſonſt würde ich auf den Poſten, auf dem ich mich heimiſch fühle, denſelben Anſpruch haben, wie Graf Uſedom.“
Darauf der Regent: „Ich begreife nicht, wie Sie die Sache ſo bitter auffaſſen können; Petersburg hat doch immer für den oberſten Poſten der preußiſchen Diplomatie gegolten, und Sie ſollten es als einen Beweis hohen Vertrauens aufnehmen, daß ich Sie dahin ſchicke.“
Darauf ich: „Sobald Ew. Königliche Hoheit mir dieſes Zeug¬ niß geben, ſo muß ich natürlich ſchweigen, kann aber doch bei der Freiheit des Wortes, die Ew. Königliche Hoheit mir jederzeit ge¬ ſtattet haben, nicht umhin, meine Sorge über die heimiſche Situation und ihren Einfluß auf die deutſche Frage auszuſprechen. Uſedom iſt ein brouillon, kein Geſchäftsmann. Seine Inſtruction wird er von Berlin erhalten; wenn Graf Schlieffen Decernent für deutſche Sachen bleibt, ſo werden die Inſtructionen gut ſein; an ihre ge¬ wiſſenhafte Ausführung glaube ich bei Uſedom nicht.“
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Unterredung mit dem Prinzen über den Petersburger Poſten.
meine Abberufung von Frankfurt. Die Ernennung von Uſedom
werde das Vertrauen der deutſchen Höfe abſchwächen, weil er unklar
liberal und mehr anekdotenerzählender Höfling als Staatsmann ſei;
und Frau von Uſedom würde uns durch ihre Excentricität Verlegen¬
heit und unerwünſchte Eindrücke in Frankfurt zuziehn.
Worauf der Regent: „Das iſt es ja eben, daß die hohe Be¬
fähigung Uſedoms ſich nirgendwo anders verwerthen läßt, weil ſeine
Frau an jedem Hofe Verlegenheiten herbeiführen würde.“ Letztres
geſchah nicht bloß an Höfen, ſondern auch in dem duldſamen Frank¬
furt, und die Unannehmlichkeiten, welche ſie in Ueberſchätzung ihrer
geſandſchaftlichen Prärogative Privatleuten bereitete, arteten bis
zu öffentlichen Scandaloſen aus. Aber Frau von Uſedom war
geborne Engländerin und fand deshalb bei der Inferiorität des
deutſchen Selbſtgefühls bei Hofe eine Nachſicht, deren ſich keine
deutſche Frau zu erfreuen gehabt haben würde.
Meine Erwiderung dem Regenten gegenüber lautete ungefähr:
„Dann iſt es alſo ein Fehler, daß ich nicht auch eine taktloſe Frau
geheirathet habe, ſonſt würde ich auf den Poſten, auf dem ich mich
heimiſch fühle, denſelben Anſpruch haben, wie Graf Uſedom.“
Darauf der Regent: „Ich begreife nicht, wie Sie die Sache
ſo bitter auffaſſen können; Petersburg hat doch immer für den
oberſten Poſten der preußiſchen Diplomatie gegolten, und Sie ſollten
es als einen Beweis hohen Vertrauens aufnehmen, daß ich Sie
dahin ſchicke.“
Darauf ich: „Sobald Ew. Königliche Hoheit mir dieſes Zeug¬
niß geben, ſo muß ich natürlich ſchweigen, kann aber doch bei der
Freiheit des Wortes, die Ew. Königliche Hoheit mir jederzeit ge¬
ſtattet haben, nicht umhin, meine Sorge über die heimiſche Situation
und ihren Einfluß auf die deutſche Frage auszuſprechen. Uſedom
iſt ein brouillon, kein Geſchäftsmann. Seine Inſtruction wird er
von Berlin erhalten; wenn Graf Schlieffen Decernent für deutſche
Sachen bleibt, ſo werden die Inſtructionen gut ſein; an ihre ge¬
wiſſenhafte Ausführung glaube ich bei Uſedom nicht.“
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/230>, abgerufen am 16.02.2025.
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