Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Usedomiana. Das Entlassungsgesuch von 1869. als Beweis, daß ich kein Vertrauen zu meinen Regierungs Organenmehr hätte? Niemand schlägt das Glück höher an als ich, daß in einer 6jährigen so bewegten Zeit dergleichen Differenzen nicht eingetreten sind; aber wir sind dadurch verwöhnt worden -- so daß der jetzige Moment, mehr als gerechtfertigt ist, ein Ebranle¬ ment erzeugt. Ja, kann ein Monarch seinem Premier ein größeres Vertrauen beweisen als ich, der Ihnen zu so verschiedenen Malen und nun auch jetzt zuletzt noch privat Briefe zusendet, die über momentan schwebende Fragen sprechen, damit Sie sich überzeugen, daß ich nichts der Art hinter Ihrem Rücken betreibe? Wenn ich Ihnen den Brief des Grls von Manteuffel in der Memeler Angelegenheit *)sendete, weil er mir ein Novum zu enthalten schien und ich deshalb Ihre Ansicht hören wollte, wenn ich Ihnen Grls von Boyen Brief mittheilte, ebenso einige Zeitungsaus¬ schnitte, bemerkend, daß diese Piecen genau das wiedergäben, was ich unverändert seit Jahr und Tag überall und offiziel ausgesprochen hätte -- so sollte ich glauben, daß ich mein Ver¬ trauen kaum steigern könnte. Daß ich aber überhaupt mein Ohr den Stimmen verschließen sollte, die in gewissen gewichtigen Augen¬ blicken sich vertrauensvoll an mich wenden, das werden Sie selbst nicht verlangen. Wenn ich hier einige der Punkte heraushebe, die Ihr Schrei¬ *) Es handelte sich um die Eisenbahn Memel-Tilsit. Der König war durch einen Brief des Generals von Manteuffel bestimmt worden, von einer auf Vortrag der Ressortminister getroffenen Entscheidung wieder abzugehen. Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 14
Uſedomiana. Das Entlaſſungsgeſuch von 1869. als Beweis, daß ich kein Vertrauen zu meinen Regierungs Organenmehr hätte? Niemand ſchlägt das Glück höher an als ich, daß in einer 6jährigen ſo bewegten Zeit dergleichen Différenzen nicht eingetreten ſind; aber wir ſind dadurch verwöhnt worden — ſo daß der jetzige Moment, mehr als gerechtfertigt iſt, ein Ebranle¬ ment erzeugt. Ja, kann ein Monarch ſeinem Premier ein größeres Vertrauen beweiſen als ich, der Ihnen zu ſo verſchiedenen Malen und nun auch jetzt zuletzt noch privat Briefe zuſendet, die über momentan ſchwebende Fragen ſprechen, damit Sie ſich überzeugen, daß ich nichts der Art hinter Ihrem Rücken betreibe? Wenn ich Ihnen den Brief des Grls von Manteuffel in der Memeler Angelegenheit *)ſendete, weil er mir ein Novum zu enthalten ſchien und ich deshalb Ihre Anſicht hören wollte, wenn ich Ihnen Grls von Boyen Brief mittheilte, ebenſo einige Zeitungsaus¬ ſchnitte, bemerkend, daß dieſe Piècen genau das wiedergäben, was ich unverändert ſeit Jahr und Tag überall und offiziel ausgeſprochen hätte — ſo ſollte ich glauben, daß ich mein Ver¬ trauen kaum ſteigern könnte. Daß ich aber überhaupt mein Ohr den Stimmen verſchließen ſollte, die in gewiſſen gewichtigen Augen¬ blicken ſich vertrauensvoll an mich wenden, das werden Sie ſelbſt nicht verlangen. Wenn ich hier einige der Punkte heraushebe, die Ihr Schrei¬ *) Es handelte ſich um die Eiſenbahn Memel-Tilſit. Der König war durch einen Brief des Generals von Manteuffel beſtimmt worden, von einer auf Vortrag der Reſſortminiſter getroffenen Entſcheidung wieder abzugehen. Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 14
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Uſedomiana. Das Entlaſſungsgeſuch von 1869.
als Beweis, daß ich kein Vertrauen zu meinen Regierungs Organen
mehr hätte? Niemand ſchlägt das Glück höher an als ich, daß in
einer 6jährigen ſo bewegten Zeit dergleichen Différenzen nicht
eingetreten ſind; aber wir ſind dadurch verwöhnt worden — ſo
daß der jetzige Moment, mehr als gerechtfertigt iſt, ein Ebranle¬
ment erzeugt. Ja, kann ein Monarch ſeinem Premier ein größeres
Vertrauen beweiſen als ich, der Ihnen zu ſo verſchiedenen Malen
und nun auch jetzt zuletzt noch privat Briefe zuſendet, die über
momentan ſchwebende Fragen ſprechen, damit Sie ſich überzeugen,
daß ich nichts der Art hinter Ihrem Rücken betreibe? Wenn ich
Ihnen den Brief des Grls von Manteuffel in der Memeler
Angelegenheit *)ſendete, weil er mir ein Novum zu enthalten
ſchien und ich deshalb Ihre Anſicht hören wollte, wenn ich Ihnen
Grls von Boyen Brief mittheilte, ebenſo einige Zeitungsaus¬
ſchnitte, bemerkend, daß dieſe Piècen genau das wiedergäben,
was ich unverändert ſeit Jahr und Tag überall und offiziel
ausgeſprochen hätte — ſo ſollte ich glauben, daß ich mein Ver¬
trauen kaum ſteigern könnte. Daß ich aber überhaupt mein Ohr
den Stimmen verſchließen ſollte, die in gewiſſen gewichtigen Augen¬
blicken ſich vertrauensvoll an mich wenden, das werden Sie ſelbſt
nicht verlangen.
Wenn ich hier einige der Punkte heraushebe, die Ihr Schrei¬
ben als Gründe anführt, die Ihre jetzige Gemüthsſtimmung her¬
beiführten, während ich andere unerörtert ließ, ſo komme ich noch
auf Ihre eigne Aeußerung zurück, daß Sie Ihre Stimmung eine
krankhafte nennen; Sie fühlen ſich müde, erſchöpft, Sehnſucht nach
Ruhe beſchleicht Sie. Das alles verſtehe ich vollkommen, denn
ich fühle es Ihnen nach; kann und darf ich deshalb daran denken
mein Amt niederzulegen? Ebenſo wenig dürfen Sie es. Sie
gehören Sich nicht allein, Sich ſelbſt an; Ihre Existenz iſt mit der
*)
Es handelte ſich um die Eiſenbahn Memel-Tilſit. Der König war
durch einen Brief des Generals von Manteuffel beſtimmt worden, von einer
auf Vortrag der Reſſortminiſter getroffenen Entſcheidung wieder abzugehen.
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