Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Nicolaus I. Stellung zu Oestreich u. Preußen. Petersburger Gesellschaft. und ausgenutzt hätte, was ja möglich war ohne weitre Repressionenderart, wie Oestreich sie in Prag und Wien durch Windischgrätz und in Ungarn durch russische Hülfe zu bewirken genöthigt war. In der Petersburger Gesellschaft ließen sich zu meiner Zeit Die zweite Generation, die mit dem Kaiser Nicolaus gleich¬ Nicolaus I. Stellung zu Oeſtreich u. Preußen. Petersburger Geſellſchaft. und ausgenutzt hätte, was ja möglich war ohne weitre Repreſſionenderart, wie Oeſtreich ſie in Prag und Wien durch Windiſchgrätz und in Ungarn durch ruſſiſche Hülfe zu bewirken genöthigt war. In der Petersburger Geſellſchaft ließen ſich zu meiner Zeit Die zweite Generation, die mit dem Kaiſer Nicolaus gleich¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0246" n="219"/><fw place="top" type="header">Nicolaus I. Stellung zu Oeſtreich u. Preußen. Petersburger Geſellſchaft.<lb/></fw> und ausgenutzt hätte, was ja möglich war ohne weitre Repreſſionen<lb/> derart, wie Oeſtreich ſie in Prag und Wien durch Windiſchgrätz<lb/> und in Ungarn durch ruſſiſche Hülfe zu bewirken genöthigt war.</p><lb/> <p>In der Petersburger Geſellſchaft ließen ſich zu meiner Zeit<lb/> drei Generationen unterſcheiden. Die vornehmſte, die europäiſch<lb/> und claſſiſch gebildeten <hi rendition="#aq">Grands Seigneurs</hi> aus der Regirungszeit<lb/> Alexanders <hi rendition="#aq">I</hi>., war im Ausſterben. Zu ihr konnte man noch rechnen<lb/> Mentſchikow, Woronzow, Bludow, Neſſelrode und, was Geiſt und<lb/> Bildung betrifft, Gortſchakow, deſſen Niveau durch ſeine übertriebene<lb/> Eitelkeit etwas herabgedrückt war im Vergleich mit den übrigen<lb/> Genannten, Leuten, die claſſiſch gebildet waren, gut und geläufig<lb/> nicht nur franzöſiſch, ſondern auch deutſch ſprachen und der <hi rendition="#aq">crême</hi><lb/> europäiſcher Geſittung angehörten.</p><lb/> <p>Die zweite Generation, die mit dem Kaiſer Nicolaus gleich¬<lb/> altrig war oder doch ſeinen Stempel trug, pflegte ſich in der Unter¬<lb/> haltung auf Hofangelegenheiten, Theater, Avancement und mili¬<lb/> täriſche Erlebniſſe zu beſchränken. Unter ihnen ſind als der ältern<lb/> Kategorie geiſtig näher ſtehende Ausnahmen zu nennen der alte<lb/> Fürſt Orlow, hervorragend an Charakter, Höflichkeit und Zuver¬<lb/> läſſigkeit für uns; der Graf Adlerberg Vater und ſein Sohn,<lb/> der nachherige Hofmeiſter, mit Peter Schuwalow der einſichtigſte<lb/> Kopf, mit dem ich dort in Beziehungen gekommen bin und dem<lb/> nur Arbeitſamkeit fehlte, um eine leitende Rolle zu ſpielen; der<lb/> Fürſt Suworow, der wohlwollendſte für uns Deutſche, bei dem<lb/> der ruſſiſche General nicolaitiſcher Tradition ſtark, aber nicht un¬<lb/> angenehm, mit burſchikoſen Reminiſcenzen deutſcher Univerſitäten<lb/> verſetzt war; mit ihm dauernd im Streit und doch in gewiſſer<lb/> Freundſchaft Tſchewkin, der Eiſenbahn-General, von einer Schärfe<lb/> und Feinheit des Verſtändniſſes, wie ſie bei Verwachſenen mit der<lb/> ihnen eigenthümlichen klugen Kopfbildung nicht ſelten gefunden wird;<lb/> endlich der Baron Peter von Meyendorff, für mich die ſympathiſchſte<lb/> Erſcheinung unter den ältern Politikern, früher Geſandter in Berlin,<lb/> der nach ſeiner Bildung und der Feinheit ſeiner Formen mehr dem<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [219/0246]
Nicolaus I. Stellung zu Oeſtreich u. Preußen. Petersburger Geſellſchaft.
und ausgenutzt hätte, was ja möglich war ohne weitre Repreſſionen
derart, wie Oeſtreich ſie in Prag und Wien durch Windiſchgrätz
und in Ungarn durch ruſſiſche Hülfe zu bewirken genöthigt war.
In der Petersburger Geſellſchaft ließen ſich zu meiner Zeit
drei Generationen unterſcheiden. Die vornehmſte, die europäiſch
und claſſiſch gebildeten Grands Seigneurs aus der Regirungszeit
Alexanders I., war im Ausſterben. Zu ihr konnte man noch rechnen
Mentſchikow, Woronzow, Bludow, Neſſelrode und, was Geiſt und
Bildung betrifft, Gortſchakow, deſſen Niveau durch ſeine übertriebene
Eitelkeit etwas herabgedrückt war im Vergleich mit den übrigen
Genannten, Leuten, die claſſiſch gebildet waren, gut und geläufig
nicht nur franzöſiſch, ſondern auch deutſch ſprachen und der crême
europäiſcher Geſittung angehörten.
Die zweite Generation, die mit dem Kaiſer Nicolaus gleich¬
altrig war oder doch ſeinen Stempel trug, pflegte ſich in der Unter¬
haltung auf Hofangelegenheiten, Theater, Avancement und mili¬
täriſche Erlebniſſe zu beſchränken. Unter ihnen ſind als der ältern
Kategorie geiſtig näher ſtehende Ausnahmen zu nennen der alte
Fürſt Orlow, hervorragend an Charakter, Höflichkeit und Zuver¬
läſſigkeit für uns; der Graf Adlerberg Vater und ſein Sohn,
der nachherige Hofmeiſter, mit Peter Schuwalow der einſichtigſte
Kopf, mit dem ich dort in Beziehungen gekommen bin und dem
nur Arbeitſamkeit fehlte, um eine leitende Rolle zu ſpielen; der
Fürſt Suworow, der wohlwollendſte für uns Deutſche, bei dem
der ruſſiſche General nicolaitiſcher Tradition ſtark, aber nicht un¬
angenehm, mit burſchikoſen Reminiſcenzen deutſcher Univerſitäten
verſetzt war; mit ihm dauernd im Streit und doch in gewiſſer
Freundſchaft Tſchewkin, der Eiſenbahn-General, von einer Schärfe
und Feinheit des Verſtändniſſes, wie ſie bei Verwachſenen mit der
ihnen eigenthümlichen klugen Kopfbildung nicht ſelten gefunden wird;
endlich der Baron Peter von Meyendorff, für mich die ſympathiſchſte
Erſcheinung unter den ältern Politikern, früher Geſandter in Berlin,
der nach ſeiner Bildung und der Feinheit ſeiner Formen mehr dem
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