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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Elftes Kapitel: Zwischenzustand.
fühle ich jetzt, nachdem ich, wie ein abgetriebenes Arbeitsroß, des
Zaumes und Geschirrs ledig, auf die Koppel gelassen bin. Fällt
nichts Besonderes vor, so will ich erst in den ersten September¬
tagen in mein Joch zurückkehren. Dann, denke ich, verfehlen wir
uns nicht wieder. Zwar muß ich schon am 9. September wieder
nach dem Rhein zu den Manövern, aber doch nur auf zehn, elf
Tage. Ob der König, wie er will (?), auch Anfang September
auf einige Tage nach B. gehen wird, scheint eine offene Frage.
Mir scheint, es sei unerläßlich, wenn überhaupt noch von könig¬
lichem Regiment in Preußen die Rede ist.

Nach Ihrem Schreiben darf ich hoffen, daß Sie nicht vor der
Krönung nach Petersburg zurückkehren werden. Ich halte es für
einen großen politischen Fehler, daß die Kreuzzeitung das Krönungs-
Manifest so schonungslos kritisirt hat*). Ein nicht geringerer
würde es sein, wenn die Anhänger des Blatts bei der Ceremonie
fehlten. Das sagen Sie Moritz. Man hat durch jenen unglück¬
lichen Artikel viel Terrain verloren; es muß wiedergewonnen
werden.

Zum Schluß noch die besten Wünsche für Ihre verschiedenen
Kuren. Möchten Sie recht gestärkt daraus hervorgehen! Die Zeit
ist nahe, wo Sie alle Ihre Kräfte gebrauchen werden, zum Heile
Ihres Landes. -- Ihrer Frau Gemahlin meine, unsre respect¬
vollsten freundlichsten Grüße!

Diesen Brief sende ich über Zimmerhausen und recommandirt;
er darf nicht in unrechte Hände fallen!
v. Roon."

Auf Wunsch des Ministers von Schleinitz begab ich mich am
10. Juli nach Baden-Baden, um mich bei dem Könige zu melden.
Er schien von meinem Erscheinen unangenehm überrascht in der
Meinung, ich komme wegen der Ministerkrisis. Ich erwähnte, ich

*) Der König hat seit jenem Artikel die Kreuzzeitung nicht wieder
gelesen.

Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand.
fühle ich jetzt, nachdem ich, wie ein abgetriebenes Arbeitsroß, des
Zaumes und Geſchirrs ledig, auf die Koppel gelaſſen bin. Fällt
nichts Beſonderes vor, ſo will ich erſt in den erſten September¬
tagen in mein Joch zurückkehren. Dann, denke ich, verfehlen wir
uns nicht wieder. Zwar muß ich ſchon am 9. September wieder
nach dem Rhein zu den Manövern, aber doch nur auf zehn, elf
Tage. Ob der König, wie er will (?), auch Anfang September
auf einige Tage nach B. gehen wird, ſcheint eine offene Frage.
Mir ſcheint, es ſei unerläßlich, wenn überhaupt noch von könig¬
lichem Regiment in Preußen die Rede iſt.

Nach Ihrem Schreiben darf ich hoffen, daß Sie nicht vor der
Krönung nach Petersburg zurückkehren werden. Ich halte es für
einen großen politiſchen Fehler, daß die Kreuzzeitung das Krönungs-
Manifeſt ſo ſchonungslos kritiſirt hat*). Ein nicht geringerer
würde es ſein, wenn die Anhänger des Blatts bei der Ceremonie
fehlten. Das ſagen Sie Moritz. Man hat durch jenen unglück¬
lichen Artikel viel Terrain verloren; es muß wiedergewonnen
werden.

Zum Schluß noch die beſten Wünſche für Ihre verſchiedenen
Kuren. Möchten Sie recht geſtärkt daraus hervorgehen! Die Zeit
iſt nahe, wo Sie alle Ihre Kräfte gebrauchen werden, zum Heile
Ihres Landes. — Ihrer Frau Gemahlin meine, unſre reſpect¬
vollſten freundlichſten Grüße!

Dieſen Brief ſende ich über Zimmerhauſen und recommandirt;
er darf nicht in unrechte Hände fallen!
v. Roon.“

Auf Wunſch des Miniſters von Schleinitz begab ich mich am
10. Juli nach Baden-Baden, um mich bei dem Könige zu melden.
Er ſchien von meinem Erſcheinen unangenehm überraſcht in der
Meinung, ich komme wegen der Miniſterkriſis. Ich erwähnte, ich

*) Der König hat ſeit jenem Artikel die Kreuzzeitung nicht wieder
geleſen.
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[248/0275] Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand. fühle ich jetzt, nachdem ich, wie ein abgetriebenes Arbeitsroß, des Zaumes und Geſchirrs ledig, auf die Koppel gelaſſen bin. Fällt nichts Beſonderes vor, ſo will ich erſt in den erſten September¬ tagen in mein Joch zurückkehren. Dann, denke ich, verfehlen wir uns nicht wieder. Zwar muß ich ſchon am 9. September wieder nach dem Rhein zu den Manövern, aber doch nur auf zehn, elf Tage. Ob der König, wie er will (?), auch Anfang September auf einige Tage nach B. gehen wird, ſcheint eine offene Frage. Mir ſcheint, es ſei unerläßlich, wenn überhaupt noch von könig¬ lichem Regiment in Preußen die Rede iſt. Nach Ihrem Schreiben darf ich hoffen, daß Sie nicht vor der Krönung nach Petersburg zurückkehren werden. Ich halte es für einen großen politiſchen Fehler, daß die Kreuzzeitung das Krönungs- Manifeſt ſo ſchonungslos kritiſirt hat *). Ein nicht geringerer würde es ſein, wenn die Anhänger des Blatts bei der Ceremonie fehlten. Das ſagen Sie Moritz. Man hat durch jenen unglück¬ lichen Artikel viel Terrain verloren; es muß wiedergewonnen werden. Zum Schluß noch die beſten Wünſche für Ihre verſchiedenen Kuren. Möchten Sie recht geſtärkt daraus hervorgehen! Die Zeit iſt nahe, wo Sie alle Ihre Kräfte gebrauchen werden, zum Heile Ihres Landes. — Ihrer Frau Gemahlin meine, unſre reſpect¬ vollſten freundlichſten Grüße! Dieſen Brief ſende ich über Zimmerhauſen und recommandirt; er darf nicht in unrechte Hände fallen! v. Roon.“ Auf Wunſch des Miniſters von Schleinitz begab ich mich am 10. Juli nach Baden-Baden, um mich bei dem Könige zu melden. Er ſchien von meinem Erſcheinen unangenehm überraſcht in der Meinung, ich komme wegen der Miniſterkriſis. Ich erwähnte, ich *) Der König hat ſeit jenem Artikel die Kreuzzeitung nicht wieder geleſen.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/275>, abgerufen am 22.11.2024.