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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Ministerielle Wechselreiterei. Ernennung nach Paris.
nothwendig verantwortliche Stellung eines einflußreichen Gesandten
zu verzichten. Dabei konnte ich mir keine sichre Berechnung machen
von dem Gewicht und der Richtung des Beistandes, den ich im
Kampfe mit der steigenden Fluth der Parlamentsherrschaft bei dem
Könige und seiner Gemalin, bei den Collegen und im Lande
finden werde. Meine Lage, in Berlin im Gasthofe wie einer der
intriguirenden Gesandten aus der Manteuffel'schen Zeit im Lichte
eines Bewerbers vor Anker zu liegen, widerstrebte meinem Selbst¬
gefühl. Ich bat den Grafen Bernstorff, mir entweder ein Amt
oder meine Entlassung zu verschaffen. Er hatte die Hoffnung,
bleiben zu können, noch nicht aufgegeben, er beantragte und erhielt
in wenig Stunden meine Ernennung nach Paris.

Am 22. Mai 1862 ernannt, übergab ich am 1. Juni in den
Tuilerien mein Beglaubigungsschreiben. Von dem folgenden Tage
ist nachstehender Brief an Roon1):

"Ich bin glücklich angekommen, wohne hier wie eine Ratte
in der leeren Scheune und bin von kühlem Regenwetter eingesperrt.
Gestern hatte ich feierliche Audienz, mit Auffahrt in kaiserlichen
Wagen, Ceremonie, aufmarschirten Würdenträgern. Sonst kurz
und erbaulich, ohne Politik, die auf un de ces jours und Privat¬
audienz verschoben wurde. Die Kaiserin sieht sehr gut aus, wie
immer. Gestern Abend kam der Feldjäger, brachte mir aber nichts
aus Berlin, als einige lederne Dinger von Depeschen über Däne¬
mark. Ich hatte mich auf einen Brief von Ihnen gespitzt. Aus
einem Schreiben, welches Bernstorff an Reuß gerichtet hat, ersehe
ich, daß der Schreiber auf meinen dauernden Aufenthalt hier und
den seinigen in Berlin mit Bestimmtheit rechnet, und daß der
König irrt, wenn er annimmt, daß jener je eher, je lieber nach
London zurück verlange. Ich begreife ihn nicht, warum er nicht
ganz ehrlich sagt, ich wünsche zu bleiben oder ich wünsche zu gehn,

1) Bismarckbriefe (7. Aufl.) S. 337 f., jetzt auch in Roon's Denkwürdig¬
keiten II 4 91 f.

Miniſterielle Wechſelreiterei. Ernennung nach Paris.
nothwendig verantwortliche Stellung eines einflußreichen Geſandten
zu verzichten. Dabei konnte ich mir keine ſichre Berechnung machen
von dem Gewicht und der Richtung des Beiſtandes, den ich im
Kampfe mit der ſteigenden Fluth der Parlamentsherrſchaft bei dem
Könige und ſeiner Gemalin, bei den Collegen und im Lande
finden werde. Meine Lage, in Berlin im Gaſthofe wie einer der
intriguirenden Geſandten aus der Manteuffel'ſchen Zeit im Lichte
eines Bewerbers vor Anker zu liegen, widerſtrebte meinem Selbſt¬
gefühl. Ich bat den Grafen Bernſtorff, mir entweder ein Amt
oder meine Entlaſſung zu verſchaffen. Er hatte die Hoffnung,
bleiben zu können, noch nicht aufgegeben, er beantragte und erhielt
in wenig Stunden meine Ernennung nach Paris.

Am 22. Mai 1862 ernannt, übergab ich am 1. Juni in den
Tuilerien mein Beglaubigungsſchreiben. Von dem folgenden Tage
iſt nachſtehender Brief an Roon1):

„Ich bin glücklich angekommen, wohne hier wie eine Ratte
in der leeren Scheune und bin von kühlem Regenwetter eingeſperrt.
Geſtern hatte ich feierliche Audienz, mit Auffahrt in kaiſerlichen
Wagen, Ceremonie, aufmarſchirten Würdenträgern. Sonſt kurz
und erbaulich, ohne Politik, die auf un de ces jours und Privat¬
audienz verſchoben wurde. Die Kaiſerin ſieht ſehr gut aus, wie
immer. Geſtern Abend kam der Feldjäger, brachte mir aber nichts
aus Berlin, als einige lederne Dinger von Depeſchen über Däne¬
mark. Ich hatte mich auf einen Brief von Ihnen geſpitzt. Aus
einem Schreiben, welches Bernſtorff an Reuß gerichtet hat, erſehe
ich, daß der Schreiber auf meinen dauernden Aufenthalt hier und
den ſeinigen in Berlin mit Beſtimmtheit rechnet, und daß der
König irrt, wenn er annimmt, daß jener je eher, je lieber nach
London zurück verlange. Ich begreife ihn nicht, warum er nicht
ganz ehrlich ſagt, ich wünſche zu bleiben oder ich wünſche zu gehn,

1) Bismarckbriefe (7. Aufl.) S. 337 f., jetzt auch in Roon's Denkwürdig¬
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[251/0278] Miniſterielle Wechſelreiterei. Ernennung nach Paris. nothwendig verantwortliche Stellung eines einflußreichen Geſandten zu verzichten. Dabei konnte ich mir keine ſichre Berechnung machen von dem Gewicht und der Richtung des Beiſtandes, den ich im Kampfe mit der ſteigenden Fluth der Parlamentsherrſchaft bei dem Könige und ſeiner Gemalin, bei den Collegen und im Lande finden werde. Meine Lage, in Berlin im Gaſthofe wie einer der intriguirenden Geſandten aus der Manteuffel'ſchen Zeit im Lichte eines Bewerbers vor Anker zu liegen, widerſtrebte meinem Selbſt¬ gefühl. Ich bat den Grafen Bernſtorff, mir entweder ein Amt oder meine Entlaſſung zu verſchaffen. Er hatte die Hoffnung, bleiben zu können, noch nicht aufgegeben, er beantragte und erhielt in wenig Stunden meine Ernennung nach Paris. Am 22. Mai 1862 ernannt, übergab ich am 1. Juni in den Tuilerien mein Beglaubigungsſchreiben. Von dem folgenden Tage iſt nachſtehender Brief an Roon 1): „Ich bin glücklich angekommen, wohne hier wie eine Ratte in der leeren Scheune und bin von kühlem Regenwetter eingeſperrt. Geſtern hatte ich feierliche Audienz, mit Auffahrt in kaiſerlichen Wagen, Ceremonie, aufmarſchirten Würdenträgern. Sonſt kurz und erbaulich, ohne Politik, die auf un de ces jours und Privat¬ audienz verſchoben wurde. Die Kaiſerin ſieht ſehr gut aus, wie immer. Geſtern Abend kam der Feldjäger, brachte mir aber nichts aus Berlin, als einige lederne Dinger von Depeſchen über Däne¬ mark. Ich hatte mich auf einen Brief von Ihnen geſpitzt. Aus einem Schreiben, welches Bernſtorff an Reuß gerichtet hat, erſehe ich, daß der Schreiber auf meinen dauernden Aufenthalt hier und den ſeinigen in Berlin mit Beſtimmtheit rechnet, und daß der König irrt, wenn er annimmt, daß jener je eher, je lieber nach London zurück verlange. Ich begreife ihn nicht, warum er nicht ganz ehrlich ſagt, ich wünſche zu bleiben oder ich wünſche zu gehn, 1) Bismarckbriefe (7. Aufl.) S. 337 f., jetzt auch in Roon's Denkwürdig¬ keiten II 4 91 f.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/278>, abgerufen am 22.11.2024.