Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Zwölftes Kapitel: Rückblick auf die preußische Politik. brett. Mein Gedanke war, immerhin zu rüsten, aber zugleichOestreich ein Ultimatum zu stellen, entweder unsre Bedingungen in der deutschen Frage anzunehmen oder unsern Angriff zu ge¬ wärtigen. Aber die Fiction einer fortdauernden und aufopfernden Hingebung für "Deutschland" nur in Worten, nie in Thaten, der Einfluß der Prinzessin und ihres den östreichischen Interessen er¬ gebenen Ministers von Schleinitz, dazu die damals gang und gäbe Phraseologie der Parlamente, der Vereine und der Presse, erschwer¬ ten es dem Regenten, die Lage nach seinem eignen klaren und hausbacknen Verstande zu prüfen, während sich in seiner politischen und persönlichen Umgebung Niemand befand, der ihm die Nichtig¬ keit des ganzen Phrasenschwindels klar gemacht und ihm gegenüber die Sache des gesunden deutschen Interesses vertreten hätte. Der Regent und sein damaliger Minister glaubten an die Berechtigung der Redensart: Il y a quequ'un, qui a plus d'esprit que Monsieur de Talleyrand, c'est tout le monde. Tout le monde braucht aber in der That zu viel Zeit, um das Richtige zu erkennen, und in der Regel ist der Moment, in dem diese Erkenntniß benutzt werden konnte, schon vorüber, wenn tout le monde dahinter kommt, was eigentlich hätte gethan werden sollen. Erst die innern Kämpfe, die der Regent und spätre König Die Leitung der auswärtigen Politik in den an sich schwie¬ Zwölftes Kapitel: Rückblick auf die preußiſche Politik. brett. Mein Gedanke war, immerhin zu rüſten, aber zugleichOeſtreich ein Ultimatum zu ſtellen, entweder unſre Bedingungen in der deutſchen Frage anzunehmen oder unſern Angriff zu ge¬ wärtigen. Aber die Fiction einer fortdauernden und aufopfernden Hingebung für „Deutſchland“ nur in Worten, nie in Thaten, der Einfluß der Prinzeſſin und ihres den öſtreichiſchen Intereſſen er¬ gebenen Miniſters von Schleinitz, dazu die damals gang und gäbe Phraſeologie der Parlamente, der Vereine und der Preſſe, erſchwer¬ ten es dem Regenten, die Lage nach ſeinem eignen klaren und hausbacknen Verſtande zu prüfen, während ſich in ſeiner politiſchen und perſönlichen Umgebung Niemand befand, der ihm die Nichtig¬ keit des ganzen Phraſenſchwindels klar gemacht und ihm gegenüber die Sache des geſunden deutſchen Intereſſes vertreten hätte. Der Regent und ſein damaliger Miniſter glaubten an die Berechtigung der Redensart: Il y a quequ'un, qui a plus d'esprit que Monsieur de Talleyrand, c'est tout le monde. Tout le monde braucht aber in der That zu viel Zeit, um das Richtige zu erkennen, und in der Regel iſt der Moment, in dem dieſe Erkenntniß benutzt werden konnte, ſchon vorüber, wenn tout le monde dahinter kommt, was eigentlich hätte gethan werden ſollen. Erſt die innern Kämpfe, die der Regent und ſpätre König Die Leitung der auswärtigen Politik in den an ſich ſchwie¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0309" n="282"/><fw place="top" type="header">Zwölftes Kapitel: Rückblick auf die preußiſche Politik.<lb/></fw>brett. Mein Gedanke war, immerhin zu rüſten, aber zugleich<lb/> Oeſtreich ein Ultimatum zu ſtellen, entweder unſre Bedingungen<lb/> in der deutſchen Frage anzunehmen oder unſern Angriff zu ge¬<lb/> wärtigen. 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Zwölftes Kapitel: Rückblick auf die preußiſche Politik.
brett. Mein Gedanke war, immerhin zu rüſten, aber zugleich
Oeſtreich ein Ultimatum zu ſtellen, entweder unſre Bedingungen
in der deutſchen Frage anzunehmen oder unſern Angriff zu ge¬
wärtigen. Aber die Fiction einer fortdauernden und aufopfernden
Hingebung für „Deutſchland“ nur in Worten, nie in Thaten, der
Einfluß der Prinzeſſin und ihres den öſtreichiſchen Intereſſen er¬
gebenen Miniſters von Schleinitz, dazu die damals gang und gäbe
Phraſeologie der Parlamente, der Vereine und der Preſſe, erſchwer¬
ten es dem Regenten, die Lage nach ſeinem eignen klaren und
hausbacknen Verſtande zu prüfen, während ſich in ſeiner politiſchen
und perſönlichen Umgebung Niemand befand, der ihm die Nichtig¬
keit des ganzen Phraſenſchwindels klar gemacht und ihm gegenüber
die Sache des geſunden deutſchen Intereſſes vertreten hätte. Der
Regent und ſein damaliger Miniſter glaubten an die Berechtigung
der Redensart: Il y a quequ'un, qui a plus d'esprit que Monsieur
de Talleyrand, c'est tout le monde. Tout le monde braucht
aber in der That zu viel Zeit, um das Richtige zu erkennen, und
in der Regel iſt der Moment, in dem dieſe Erkenntniß benutzt
werden konnte, ſchon vorüber, wenn tout le monde dahinter
kommt, was eigentlich hätte gethan werden ſollen.
Erſt die innern Kämpfe, die der Regent und ſpätre König
durchzumachen hatte, erſt die Ueberzeugung, daß ſeine Miniſter der
neuen Aera nicht nur nicht im Stande waren, ſeine Unterthanen
glücklich und zufrieden zu machen oder im Gehorſam zu erhalten,
und die von ihm erſtrebte und gehoffte Zufriedenheit in den Wahlen
und Parlamenten zum Ausdruck zu bringen, erſt die Schwierig¬
keiten, welche den König 1862 zu dem Entſchluſſe der Abdication
brachten, übten auf das Gemüth und das geſunde Urtheil des
Königs den nöthigen Einfluß, um ſeine monarchiſchen Auffaſſungen
von 1859 über die Brücke der däniſchen Frage zu dem Stand¬
punkte von 1866 überzuleiten, vom Reden zum Handeln, von der
Phraſe zur That.
Die Leitung der auswärtigen Politik in den an ſich ſchwie¬
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