Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Erstes Kapitel: Bis zum Ersten Vereinigten Landtage. seit Jahrhunderten daran gewöhnt, daß das geschieht, und gebenden Bodensatz ihrer Verstimmung gegen frühere Vorgesetzte an ihre spätern Untergebenen weiter, sobald sie selbst in höhere Stellen gelangt sind. In der Diplomatie kommt dazu, daß diejenigen unter den Aspiranten, welche Vermögen oder die zufällige Kenntniß fremder Sprachen, namentlich der französischen, besitzen, schon darin einen Grund zur Bevorzugung sehn und deshalb der obern Leitung noch anspruchsvoller und zur Kritik geneigter gegenübertreten als Andre. Sprachkenntnisse, wie auch Oberkellner sie besitzen, bildeten bei uns leicht die Unterlage des eignen Glaubens an den Beruf zur Diplomatie, namentlich so lange unsre gesandschaftlichen Be¬ richte, besonders die ad Regem, französisch sein mußten, wie es die nicht immer befolgte, aber bis ich Minister wurde amtlich in Kraft stehende Vorschrift war. Ich habe manche unter unsern ältern Gesandten gekannt, die, ohne Verständniß für Politik, lediglich durch Sicherheit im Französischen in die höchsten Stellen aufrückten; und auch sie sagten in ihren Berichten doch nur das, was sie französisch geläufig zur Verfügung hatten. Ich habe noch 1862 von Petersburg französisch amtlich zu berichten gehabt, und die Gesandten, welche auch ihre Privatbriefe an den Minister französisch schrieben, empfahlen sich dadurch als besonders berufen zur Diplo¬ matie, auch wenn sie politisch als urtheilslos bekannt waren. Außerdem kann ich Ancillon nicht Unrecht geben, wenn er Erſtes Kapitel: Bis zum Erſten Vereinigten Landtage. ſeit Jahrhunderten daran gewöhnt, daß das geſchieht, und gebenden Bodenſatz ihrer Verſtimmung gegen frühere Vorgeſetzte an ihre ſpätern Untergebenen weiter, ſobald ſie ſelbſt in höhere Stellen gelangt ſind. In der Diplomatie kommt dazu, daß diejenigen unter den Aſpiranten, welche Vermögen oder die zufällige Kenntniß fremder Sprachen, namentlich der franzöſiſchen, beſitzen, ſchon darin einen Grund zur Bevorzugung ſehn und deshalb der obern Leitung noch anſpruchsvoller und zur Kritik geneigter gegenübertreten als Andre. Sprachkenntniſſe, wie auch Oberkellner ſie beſitzen, bildeten bei uns leicht die Unterlage des eignen Glaubens an den Beruf zur Diplomatie, namentlich ſo lange unſre geſandſchaftlichen Be¬ richte, beſonders die ad Regem, franzöſiſch ſein mußten, wie es die nicht immer befolgte, aber bis ich Miniſter wurde amtlich in Kraft ſtehende Vorſchrift war. Ich habe manche unter unſern ältern Geſandten gekannt, die, ohne Verſtändniß für Politik, lediglich durch Sicherheit im Franzöſiſchen in die höchſten Stellen aufrückten; und auch ſie ſagten in ihren Berichten doch nur das, was ſie franzöſiſch geläufig zur Verfügung hatten. Ich habe noch 1862 von Petersburg franzöſiſch amtlich zu berichten gehabt, und die Geſandten, welche auch ihre Privatbriefe an den Miniſter franzöſiſch ſchrieben, empfahlen ſich dadurch als beſonders berufen zur Diplo¬ matie, auch wenn ſie politiſch als urtheilslos bekannt waren. Außerdem kann ich Ancillon nicht Unrecht geben, wenn er <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0031" n="4"/><fw place="top" type="header">Erſtes Kapitel: Bis zum Erſten Vereinigten Landtage.<lb/></fw> ſeit Jahrhunderten daran gewöhnt, daß das geſchieht, und geben<lb/> den Bodenſatz ihrer Verſtimmung gegen frühere Vorgeſetzte an ihre<lb/> ſpätern Untergebenen weiter, ſobald ſie ſelbſt in höhere Stellen<lb/> gelangt ſind. 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Erſtes Kapitel: Bis zum Erſten Vereinigten Landtage.
ſeit Jahrhunderten daran gewöhnt, daß das geſchieht, und geben
den Bodenſatz ihrer Verſtimmung gegen frühere Vorgeſetzte an ihre
ſpätern Untergebenen weiter, ſobald ſie ſelbſt in höhere Stellen
gelangt ſind. In der Diplomatie kommt dazu, daß diejenigen
unter den Aſpiranten, welche Vermögen oder die zufällige Kenntniß
fremder Sprachen, namentlich der franzöſiſchen, beſitzen, ſchon darin
einen Grund zur Bevorzugung ſehn und deshalb der obern Leitung
noch anſpruchsvoller und zur Kritik geneigter gegenübertreten als
Andre. Sprachkenntniſſe, wie auch Oberkellner ſie beſitzen, bildeten
bei uns leicht die Unterlage des eignen Glaubens an den Beruf
zur Diplomatie, namentlich ſo lange unſre geſandſchaftlichen Be¬
richte, beſonders die ad Regem, franzöſiſch ſein mußten, wie es
die nicht immer befolgte, aber bis ich Miniſter wurde amtlich in
Kraft ſtehende Vorſchrift war. Ich habe manche unter unſern
ältern Geſandten gekannt, die, ohne Verſtändniß für Politik, lediglich
durch Sicherheit im Franzöſiſchen in die höchſten Stellen aufrückten;
und auch ſie ſagten in ihren Berichten doch nur das, was ſie
franzöſiſch geläufig zur Verfügung hatten. Ich habe noch 1862
von Petersburg franzöſiſch amtlich zu berichten gehabt, und die
Geſandten, welche auch ihre Privatbriefe an den Miniſter franzöſiſch
ſchrieben, empfahlen ſich dadurch als beſonders berufen zur Diplo¬
matie, auch wenn ſie politiſch als urtheilslos bekannt waren.
Außerdem kann ich Ancillon nicht Unrecht geben, wenn er
von den meiſten Aſpiranten aus unſerm Landadel den Eindruck
hatte, daß ſie ſich aus dem engen Geſichtskreiſe ihrer damaligen
Berliner, man könnte ſagen provinziellen Anſchauungen ſchwer los¬
löſen ließen, und daß es ihnen nicht leicht gelingen würde, den
ſpecifiſch preußiſchen Bürokraten in der Diplomatie mit dem
Firniß des europäiſchen zu übertünchen. Die Wirkung dieſer
Wahrnehmungen zeigt ſich deutlich, wenn man die Rangliſte unſrer
Diplomaten aus damaliger Zeit durchgeht; man wird erſtaunt ſein,
ſo wenig geborne Preußen darin zu finden. Die Eigenſchaft, der
Sohn eines in Berlin accreditirten fremden Geſandten zu ſein,
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