Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Bedeutung der Dynastien. Preußens Stellung im Bunde. lehnung von Oestreich und Preußen ein Jugendtraum war, ent¬standen durch Nachwirkung der Freiheitskriege und der Schule, nachdem ich mich überzeugt hatte, daß das Oestreich, mit dem ich bis dahin gerechnet, für Preußen nicht existirte: gewann ich die Ueberzeugung, daß auf der Basis der bundestäglichen Autorität nicht einmal die vormärzliche Stellung Preußens im Bunde zurück¬ zugewinnen, geschweige denn eine Reform der Bundesverfassung möglich sein werde, durch die das deutsche Volk der Verwirklichung seines Anspruchs auf völkerrechtliche Existenz als eine der großen europäischen Nationen Aussicht erhalten hätte. Ich erinnere mich eines Wendepunkts, der in meinen An¬ Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 19
Bedeutung der Dynaſtien. Preußens Stellung im Bunde. lehnung von Oeſtreich und Preußen ein Jugendtraum war, ent¬ſtanden durch Nachwirkung der Freiheitskriege und der Schule, nachdem ich mich überzeugt hatte, daß das Oeſtreich, mit dem ich bis dahin gerechnet, für Preußen nicht exiſtirte: gewann ich die Ueberzeugung, daß auf der Baſis der bundestäglichen Autorität nicht einmal die vormärzliche Stellung Preußens im Bunde zurück¬ zugewinnen, geſchweige denn eine Reform der Bundesverfaſſung möglich ſein werde, durch die das deutſche Volk der Verwirklichung ſeines Anſpruchs auf völkerrechtliche Exiſtenz als eine der großen europäiſchen Nationen Ausſicht erhalten hätte. Ich erinnere mich eines Wendepunkts, der in meinen An¬ Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 19
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Bedeutung der Dynaſtien. Preußens Stellung im Bunde.
lehnung von Oeſtreich und Preußen ein Jugendtraum war, ent¬
ſtanden durch Nachwirkung der Freiheitskriege und der Schule,
nachdem ich mich überzeugt hatte, daß das Oeſtreich, mit dem ich
bis dahin gerechnet, für Preußen nicht exiſtirte: gewann ich die
Ueberzeugung, daß auf der Baſis der bundestäglichen Autorität
nicht einmal die vormärzliche Stellung Preußens im Bunde zurück¬
zugewinnen, geſchweige denn eine Reform der Bundesverfaſſung
möglich ſein werde, durch die das deutſche Volk der Verwirklichung
ſeines Anſpruchs auf völkerrechtliche Exiſtenz als eine der großen
europäiſchen Nationen Ausſicht erhalten hätte.
Ich erinnere mich eines Wendepunkts, der in meinen An¬
ſichten eintrat, als ich in Frankfurt die mir bis dahin unbekannte
Depeſche des Fürſten Schwarzenberg vom 7. December 1850 zu
leſen bekam, in welcher er die Olmützer Ergebniſſe ſo darſtellt, als
ob es von ihm abgehangen hätte, Preußen „zu demüthigen“ oder
großmüthig zu pardonniren. Der mecklenburgiſche Geſandte, Herr
von Oertzen, mein ehrlicher und conſervativer Geſinnungsgenoſſe
in dualiſtiſcher Politik, mit dem ich darüber ſprach, ſuchte mein
durch dieſe Schwarzenbergiſche Depeſche verletztes preußiſches Gefühl
zu beſänftigen. Trotz der für preußiſches Gefühl demüthigenden
Inferiorität unſres Auftretens in Olmütz und Dresden war ich
noch gut öſtreichiſch nach Frankfurt gekommen; der Einblick in die
Schwarzenbergiſche Politik „avilir, puis démolir“, den ich dort
actenmäßig gewann, enttäuſchte meine jugendlichen Illuſionen. Der
gordiſche Knoten deutſcher Zuſtände ließ ſich nicht in Liebe dualiſtiſch
löſen, nur militäriſch zerhauen; es kam darauf an, den König von
Preußen, bewußt oder unbewußt, und damit das preußiſche Heer
für den Dienſt der nationalen Sache zu gewinnen, mochte man
vom boruſſiſchen Standpunkte die Führung Preußens oder auf dem
nationalen die Einigung Deutſchlands als die Hauptſache betrachten;
beide Ziele deckten einander. Das war mir klar, und ich deutete
es an, als ich in der Budgetcommiſſion (30. September 1862) die
vielfach entſtellte Aeußerung über Eiſen und Blut that (ſ. o. S. 283).
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