Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Fünfzehntes Kapitel: Die Alvenslebensche Convention. verbunden waren. Von England konnten wir platonisches Wohl¬wollen und belehrende Briefe und Zeitungsartikel, aber schwerlich mehr erwarten. Der zarische Beistand ging, wie die ungarische Ex¬ pedition des Kaisers Nicolaus gezeigt hatte, unter Umständen über die wohlwollende Neutralität hinaus. Daß er zu unsern Gunsten das thun würde, darauf ließ sich nicht rechnen, wohl aber lag es nicht außerhalb der möglichen Rechnung, daß Kaiser Alexander bei französischen Versuchen zum Eingreifen in die deutsche Frage uns in deren Abwehr wenigstens diplomatisch beistehn würde. Die Stim¬ mung dieses Monarchen, die mich zu der Annahme berechtigte, hat sich noch 1870 erkennen lassen, während wir damals das neutrale und befreundete England mit seinen Sympathien auf französischer Seite fanden. Wir hatten also nach meiner Meinung allen Grund, jede Sympathie, welche Alexander II. im Gegensatz zu vielen seiner Unterthanen und höchsten Beamten für uns hegte, wenigstens in¬ soweit zu pflegen, als nöthig war, um Rußlands Parteinahme gegen uns nach Möglichkeit zu verhüten. Es ließ sich damals nicht mit Sicherheit voraussehn, ob und wie lange dieses politische Kapital der zarischen Freundschaft sich werde praktisch verwerthen lassen. Jedenfalls aber empfahl der einfache gesunde Menschen¬ verstand, es nicht in den Besitz unsrer Gegner gerathen zu lassen, die wir in den Polen, den polonisirenden Russen und im letzten Abschluß wahrscheinlich auch in den Franzosen zu sehn hatten. Oestreich hatte damals in erster Linie die Rivalität mit Preußen auf deutschem Gebiet im Auge und konnte sich mit der polnischen Bewegung leichter abfinden als wir oder als Rußland, weil der katholische Kaiserstaat ungeachtet der Reminiscenzen von 1846 und der auf die Köpfe polnischer Edelleute gesetzten Preise doch unter diesen und der Geistlichkeit immer viel mehr Sympathie besaß als Preußen und Rußland. Die Ausgleichung zwischen östreichisch-polnischen und russisch- Fünfzehntes Kapitel: Die Alvenslebenſche Convention. verbunden waren. Von England konnten wir platoniſches Wohl¬wollen und belehrende Briefe und Zeitungsartikel, aber ſchwerlich mehr erwarten. Der zariſche Beiſtand ging, wie die ungariſche Ex¬ pedition des Kaiſers Nicolaus gezeigt hatte, unter Umſtänden über die wohlwollende Neutralität hinaus. Daß er zu unſern Gunſten das thun würde, darauf ließ ſich nicht rechnen, wohl aber lag es nicht außerhalb der möglichen Rechnung, daß Kaiſer Alexander bei franzöſiſchen Verſuchen zum Eingreifen in die deutſche Frage uns in deren Abwehr wenigſtens diplomatiſch beiſtehn würde. Die Stim¬ mung dieſes Monarchen, die mich zu der Annahme berechtigte, hat ſich noch 1870 erkennen laſſen, während wir damals das neutrale und befreundete England mit ſeinen Sympathien auf franzöſiſcher Seite fanden. Wir hatten alſo nach meiner Meinung allen Grund, jede Sympathie, welche Alexander II. im Gegenſatz zu vielen ſeiner Unterthanen und höchſten Beamten für uns hegte, wenigſtens in¬ ſoweit zu pflegen, als nöthig war, um Rußlands Parteinahme gegen uns nach Möglichkeit zu verhüten. Es ließ ſich damals nicht mit Sicherheit vorausſehn, ob und wie lange dieſes politiſche Kapital der zariſchen Freundſchaft ſich werde praktiſch verwerthen laſſen. Jedenfalls aber empfahl der einfache geſunde Menſchen¬ verſtand, es nicht in den Beſitz unſrer Gegner gerathen zu laſſen, die wir in den Polen, den poloniſirenden Ruſſen und im letzten Abſchluß wahrſcheinlich auch in den Franzoſen zu ſehn hatten. Oeſtreich hatte damals in erſter Linie die Rivalität mit Preußen auf deutſchem Gebiet im Auge und konnte ſich mit der polniſchen Bewegung leichter abfinden als wir oder als Rußland, weil der katholiſche Kaiſerſtaat ungeachtet der Reminiſcenzen von 1846 und der auf die Köpfe polniſcher Edelleute geſetzten Preiſe doch unter dieſen und der Geiſtlichkeit immer viel mehr Sympathie beſaß als Preußen und Rußland. Die Ausgleichung zwiſchen öſtreichiſch-polniſchen und ruſſiſch- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0337" n="310"/><fw place="top" type="header">Fünfzehntes Kapitel: Die Alvenslebenſche Convention.<lb/></fw> verbunden waren. 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Fünfzehntes Kapitel: Die Alvenslebenſche Convention.
verbunden waren. Von England konnten wir platoniſches Wohl¬
wollen und belehrende Briefe und Zeitungsartikel, aber ſchwerlich
mehr erwarten. Der zariſche Beiſtand ging, wie die ungariſche Ex¬
pedition des Kaiſers Nicolaus gezeigt hatte, unter Umſtänden über
die wohlwollende Neutralität hinaus. Daß er zu unſern Gunſten
das thun würde, darauf ließ ſich nicht rechnen, wohl aber lag es
nicht außerhalb der möglichen Rechnung, daß Kaiſer Alexander bei
franzöſiſchen Verſuchen zum Eingreifen in die deutſche Frage uns in
deren Abwehr wenigſtens diplomatiſch beiſtehn würde. Die Stim¬
mung dieſes Monarchen, die mich zu der Annahme berechtigte, hat
ſich noch 1870 erkennen laſſen, während wir damals das neutrale
und befreundete England mit ſeinen Sympathien auf franzöſiſcher
Seite fanden. Wir hatten alſo nach meiner Meinung allen Grund,
jede Sympathie, welche Alexander II. im Gegenſatz zu vielen ſeiner
Unterthanen und höchſten Beamten für uns hegte, wenigſtens in¬
ſoweit zu pflegen, als nöthig war, um Rußlands Parteinahme
gegen uns nach Möglichkeit zu verhüten. Es ließ ſich damals
nicht mit Sicherheit vorausſehn, ob und wie lange dieſes politiſche
Kapital der zariſchen Freundſchaft ſich werde praktiſch verwerthen
laſſen. Jedenfalls aber empfahl der einfache geſunde Menſchen¬
verſtand, es nicht in den Beſitz unſrer Gegner gerathen zu laſſen,
die wir in den Polen, den poloniſirenden Ruſſen und im letzten
Abſchluß wahrſcheinlich auch in den Franzoſen zu ſehn hatten.
Oeſtreich hatte damals in erſter Linie die Rivalität mit Preußen
auf deutſchem Gebiet im Auge und konnte ſich mit der polniſchen
Bewegung leichter abfinden als wir oder als Rußland, weil der
katholiſche Kaiſerſtaat ungeachtet der Reminiſcenzen von 1846 und
der auf die Köpfe polniſcher Edelleute geſetzten Preiſe doch unter
dieſen und der Geiſtlichkeit immer viel mehr Sympathie beſaß als
Preußen und Rußland.
Die Ausgleichung zwiſchen öſtreichiſch-polniſchen und ruſſiſch-
polniſchen Verbrüderungsplänen wird ſtets eine ſchwierige bleiben;
aber das Verhalten der öſtreichiſchen Politik 1863 im Bunde
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