Beschwerdeschrift des Kronprinzen. Indiscretionen der Times.
Nachdem die Sache durch den oben erwähnten Briefwechsel zwischen Vater und Sohn wenigstens äußerlich beigelegt war, erhielt ich ein aus Stettin vom 30. Juni datirtes Schreiben des Kron¬ prinzen, das meine ganze Politik in starken Ausdrücken verurtheilte. Sie sei ohne Wohlwollen und Achtung für das Volk, stütze sich auf sehr zweifelhafte Auslegungen der Verfassung, werde sie dem Volke werthlos erscheinen lassen und dieses in Richtungen treiben, die außerhalb der Verfassung lägen. Auf der andern Seite werde das Ministerium von gewagten Deutungen zu gewagteren fort¬ schreiten, endlich dem Könige Bruch mit derselben anrathen. Er werde den König bitten, sich, so lange dieses Ministerium im Amte sei, der Theilnahme an den Sitzungen desselben enthalten zu dürfen.
Die Thatsache, daß ich, nachdem ich diese Aeußerung des Thronfolgers erhalten hatte, auf dem eingeschlagenen Wege be¬ harrte, war ein sprechender Beweis dafür, daß mir nichts daran lag, nach dem Thronwechsel, der ja sehr bald eintreten konnte, Minister zu bleiben. Gleichwohl nöthigte der Kronprinz mich in einem später zu erwähnenden Gespräche, ihm das mit ausdrück¬ lichen Worten zu sagen.
Zur Ueberraschung des Königs war am 16. oder 17. Juni in der "Times" zu lesen: "Der Prinz erlaubte sich bei Gelegen¬ heit einer militärischen Dienstreise mit der Politik des Souverains in Widerspruch zu treten und seine Maßregeln in Frage zu stellen. Das Mindeste, was er thun konnte, um diese schwere Beleidigung wieder gut zu machen, war die Zurücknahme seiner Aeußerungen. Dies forderte der König von ihm in einem Briefe, hinzufügend, daß er seiner Würden und Anstellungen beraubt werden würde, wenn er sich weigerte. Der Prinz, in Ueberein¬ stimmung, wie man sagt, mit Ihrer K. H. der Prinzessin, schrieb eine feste Antwort auf dieses Verlangen. Er weigerte sich, irgend etwas zurückzunehmen, bot die Niederlegung seines Commandos und seiner Würden an, und bat um Erlaubniß, sich mit seiner Frau und Familie an einen Ort zurückzuziehn, wo er frei von
Beſchwerdeſchrift des Kronprinzen. Indiscretionen der Times.
Nachdem die Sache durch den oben erwähnten Briefwechſel zwiſchen Vater und Sohn wenigſtens äußerlich beigelegt war, erhielt ich ein aus Stettin vom 30. Juni datirtes Schreiben des Kron¬ prinzen, das meine ganze Politik in ſtarken Ausdrücken verurtheilte. Sie ſei ohne Wohlwollen und Achtung für das Volk, ſtütze ſich auf ſehr zweifelhafte Auslegungen der Verfaſſung, werde ſie dem Volke werthlos erſcheinen laſſen und dieſes in Richtungen treiben, die außerhalb der Verfaſſung lägen. Auf der andern Seite werde das Miniſterium von gewagten Deutungen zu gewagteren fort¬ ſchreiten, endlich dem Könige Bruch mit derſelben anrathen. Er werde den König bitten, ſich, ſo lange dieſes Miniſterium im Amte ſei, der Theilnahme an den Sitzungen deſſelben enthalten zu dürfen.
Die Thatſache, daß ich, nachdem ich dieſe Aeußerung des Thronfolgers erhalten hatte, auf dem eingeſchlagenen Wege be¬ harrte, war ein ſprechender Beweis dafür, daß mir nichts daran lag, nach dem Thronwechſel, der ja ſehr bald eintreten konnte, Miniſter zu bleiben. Gleichwohl nöthigte der Kronprinz mich in einem ſpäter zu erwähnenden Geſpräche, ihm das mit ausdrück¬ lichen Worten zu ſagen.
Zur Ueberraſchung des Königs war am 16. oder 17. Juni in der „Times“ zu leſen: „Der Prinz erlaubte ſich bei Gelegen¬ heit einer militäriſchen Dienſtreiſe mit der Politik des Souverains in Widerſpruch zu treten und ſeine Maßregeln in Frage zu ſtellen. Das Mindeſte, was er thun konnte, um dieſe ſchwere Beleidigung wieder gut zu machen, war die Zurücknahme ſeiner Aeußerungen. Dies forderte der König von ihm in einem Briefe, hinzufügend, daß er ſeiner Würden und Anſtellungen beraubt werden würde, wenn er ſich weigerte. Der Prinz, in Ueberein¬ ſtimmung, wie man ſagt, mit Ihrer K. H. der Prinzeſſin, ſchrieb eine feſte Antwort auf dieſes Verlangen. Er weigerte ſich, irgend etwas zurückzunehmen, bot die Niederlegung ſeines Commandos und ſeiner Würden an, und bat um Erlaubniß, ſich mit ſeiner Frau und Familie an einen Ort zurückzuziehn, wo er frei von
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Beſchwerdeſchrift des Kronprinzen. Indiscretionen der Times.
Nachdem die Sache durch den oben erwähnten Briefwechſel
zwiſchen Vater und Sohn wenigſtens äußerlich beigelegt war, erhielt
ich ein aus Stettin vom 30. Juni datirtes Schreiben des Kron¬
prinzen, das meine ganze Politik in ſtarken Ausdrücken verurtheilte.
Sie ſei ohne Wohlwollen und Achtung für das Volk, ſtütze ſich
auf ſehr zweifelhafte Auslegungen der Verfaſſung, werde ſie dem
Volke werthlos erſcheinen laſſen und dieſes in Richtungen treiben,
die außerhalb der Verfaſſung lägen. Auf der andern Seite werde
das Miniſterium von gewagten Deutungen zu gewagteren fort¬
ſchreiten, endlich dem Könige Bruch mit derſelben anrathen. Er
werde den König bitten, ſich, ſo lange dieſes Miniſterium im Amte
ſei, der Theilnahme an den Sitzungen deſſelben enthalten zu dürfen.
Die Thatſache, daß ich, nachdem ich dieſe Aeußerung des
Thronfolgers erhalten hatte, auf dem eingeſchlagenen Wege be¬
harrte, war ein ſprechender Beweis dafür, daß mir nichts daran
lag, nach dem Thronwechſel, der ja ſehr bald eintreten konnte,
Miniſter zu bleiben. Gleichwohl nöthigte der Kronprinz mich in
einem ſpäter zu erwähnenden Geſpräche, ihm das mit ausdrück¬
lichen Worten zu ſagen.
Zur Ueberraſchung des Königs war am 16. oder 17. Juni
in der „Times“ zu leſen: „Der Prinz erlaubte ſich bei Gelegen¬
heit einer militäriſchen Dienſtreiſe mit der Politik des Souverains
in Widerſpruch zu treten und ſeine Maßregeln in Frage zu
ſtellen. Das Mindeſte, was er thun konnte, um dieſe ſchwere
Beleidigung wieder gut zu machen, war die Zurücknahme ſeiner
Aeußerungen. Dies forderte der König von ihm in einem Briefe,
hinzufügend, daß er ſeiner Würden und Anſtellungen beraubt
werden würde, wenn er ſich weigerte. Der Prinz, in Ueberein¬
ſtimmung, wie man ſagt, mit Ihrer K. H. der Prinzeſſin, ſchrieb
eine feſte Antwort auf dieſes Verlangen. Er weigerte ſich, irgend
etwas zurückzunehmen, bot die Niederlegung ſeines Commandos
und ſeiner Würden an, und bat um Erlaubniß, ſich mit ſeiner
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/346>, abgerufen am 21.11.2024.
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