Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Erstes Kapitel: Bis zum Ersten Vereinigten Landtage. rung bei der Regirung in Potsdam, zu der ich mich im Jahre1837 versetzen ließ, weil dort abweichend von den andern Pro¬ vinzen die indirecten Steuern zum Ressort der Regirung gehörten und grade diese wichtig waren, wenn ich die Zollpolitik zur Basis meiner Zukunft nehmen wollte. Die Mitglieder des Collegiums machten mir einen würdigern Die Neigung zu befremdendem Eingreifen in die verschiedensten Erſtes Kapitel: Bis zum Erſten Vereinigten Landtage. rung bei der Regirung in Potsdam, zu der ich mich im Jahre1837 verſetzen ließ, weil dort abweichend von den andern Pro¬ vinzen die indirecten Steuern zum Reſſort der Regirung gehörten und grade dieſe wichtig waren, wenn ich die Zollpolitik zur Baſis meiner Zukunft nehmen wollte. Die Mitglieder des Collegiums machten mir einen würdigern Die Neigung zu befremdendem Eingreifen in die verſchiedenſten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0037" n="10"/><fw place="top" type="header">Erſtes Kapitel: Bis zum Erſten Vereinigten Landtage.<lb/></fw> rung bei der Regirung in Potsdam, zu der ich mich im Jahre<lb/> 1837 verſetzen ließ, weil dort abweichend von den andern Pro¬<lb/> vinzen die indirecten Steuern zum Reſſort der Regirung gehörten<lb/> und grade dieſe wichtig waren, wenn ich die Zollpolitik zur Baſis<lb/> meiner Zukunft nehmen wollte.</p><lb/> <p>Die Mitglieder des Collegiums machten mir einen würdigern<lb/> Eindruck als die Aachner, aber doch in ihrer Geſammtheit den<lb/> Eindruck von Zopf und Perrücke, in welche Kategorie meine jugend¬<lb/> liche Ueberhebung auch den väterlich-würdigen Oberpräſidenten von<lb/> Baſſewitz ſtellte, während der Aachner Regirungspräſident Graf<lb/> Arnim zwar die generelle Staatsperrücke, aber doch keinen geiſtigen<lb/> Zopf trug. Als ich dann aus dem Staatsdienſte in das Land¬<lb/> leben überging, brachte ich in die Berührungen, welche ich als<lb/> Gutsbeſitzer mit den Behörden hatte, eine nach meinem heutigen<lb/> Urtheil zu geringe Meinung von dem Werthe unſrer Bürokratie,<lb/> eine vielleicht zu große Neigung zur Kritik mit. Ich erinnere<lb/> mich, daß ich als ſtellvertretender Landrath über den Plan, die<lb/> Wahl der Landräthe abzuſchaffen, gutachtlich zu berichten hatte und<lb/> mich ſo ausſprach, die Bürokratie ſinke in der Achtung vom Land¬<lb/> rath aufwärts; ſie habe dieſelbe nur in der Perſon des Landraths<lb/> bewahrt, der einen Januskopf trage, ein Geſicht in der Bürokratie,<lb/> eins im Lande habe.</p><lb/> <p>Die Neigung zu befremdendem Eingreifen in die verſchiedenſten<lb/> Lebensverhältniſſe war unter dem damaligen väterlichen Regimente<lb/> vielleicht größer als heut, aber die Organe zum Eingreifen waren<lb/> weniger zahlreich und ſtanden an Bildung und Erziehung höher als<lb/> ein Theil der heutigen. Die Beamten der Königlichen hochlöblichen<lb/> Regirung waren ehrliche, ſtudirte und gut erzogne Beamte, aber<lb/> ihre wohlwollende Thätigkeit fand nicht immer Anerkennung, weil<lb/> ſie ſich ohne locale Sachkunde auf Details zerſplitterte, in Betreff<lb/> deren die Anſichten des gelehrten Stadtbewohners am grünen<lb/> Tiſche nicht immer der Kritik des bäuerlichen geſunden Menſchen¬<lb/> verſtandes überlegen waren. Die Mitglieder der Regirungs¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0037]
Erſtes Kapitel: Bis zum Erſten Vereinigten Landtage.
rung bei der Regirung in Potsdam, zu der ich mich im Jahre
1837 verſetzen ließ, weil dort abweichend von den andern Pro¬
vinzen die indirecten Steuern zum Reſſort der Regirung gehörten
und grade dieſe wichtig waren, wenn ich die Zollpolitik zur Baſis
meiner Zukunft nehmen wollte.
Die Mitglieder des Collegiums machten mir einen würdigern
Eindruck als die Aachner, aber doch in ihrer Geſammtheit den
Eindruck von Zopf und Perrücke, in welche Kategorie meine jugend¬
liche Ueberhebung auch den väterlich-würdigen Oberpräſidenten von
Baſſewitz ſtellte, während der Aachner Regirungspräſident Graf
Arnim zwar die generelle Staatsperrücke, aber doch keinen geiſtigen
Zopf trug. Als ich dann aus dem Staatsdienſte in das Land¬
leben überging, brachte ich in die Berührungen, welche ich als
Gutsbeſitzer mit den Behörden hatte, eine nach meinem heutigen
Urtheil zu geringe Meinung von dem Werthe unſrer Bürokratie,
eine vielleicht zu große Neigung zur Kritik mit. Ich erinnere
mich, daß ich als ſtellvertretender Landrath über den Plan, die
Wahl der Landräthe abzuſchaffen, gutachtlich zu berichten hatte und
mich ſo ausſprach, die Bürokratie ſinke in der Achtung vom Land¬
rath aufwärts; ſie habe dieſelbe nur in der Perſon des Landraths
bewahrt, der einen Januskopf trage, ein Geſicht in der Bürokratie,
eins im Lande habe.
Die Neigung zu befremdendem Eingreifen in die verſchiedenſten
Lebensverhältniſſe war unter dem damaligen väterlichen Regimente
vielleicht größer als heut, aber die Organe zum Eingreifen waren
weniger zahlreich und ſtanden an Bildung und Erziehung höher als
ein Theil der heutigen. Die Beamten der Königlichen hochlöblichen
Regirung waren ehrliche, ſtudirte und gut erzogne Beamte, aber
ihre wohlwollende Thätigkeit fand nicht immer Anerkennung, weil
ſie ſich ohne locale Sachkunde auf Details zerſplitterte, in Betreff
deren die Anſichten des gelehrten Stadtbewohners am grünen
Tiſche nicht immer der Kritik des bäuerlichen geſunden Menſchen¬
verſtandes überlegen waren. Die Mitglieder der Regirungs¬
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