Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Landrath sonst und jetzt. Parteiwesen und Richter.
Gerichten den starken Parteiströmungen leichter und hingebender
unterliegen als Verwaltungsbeamte; und es ist auch kein psycho¬
logischer Grund dafür erfindlich, daß bei gleicher Bildung die
letztern a priori für weniger gerecht und gewissenhaft in ihren
amtlichen Entscheidungen gehalten werden sollten als die erstern.
Wohl aber nehme ich an, daß die amtlichen Entschließungen an
Ehrlichkeit und Angemessenheit dadurch nicht gewinnen, daß sie
collegialisch gefaßt werden; abgesehn davon, daß Arithmetik und
Zufall bei dem Majoritätsvotum an die Stelle logischer Begrün¬
dung treten, geht das Gefühl persönlicher Verantwortlichkeit, in
welcher die wesentliche Bürgschaft für die Gewissenhaftigkeit der
Entscheidung liegt, sofort verloren, wenn diese durch anonyme
Majoritäten erfolgt.

Der Geschäftsgang in beiden Collegien, in Potsdam wie in
Aachen, war für meine Strebsamkeit nicht ermuthigend gewesen.
Ich fand die mir zugewiesene Beschäftigung kleinlich und lang¬
weilig, und meine Arbeiten auf dem Gebiete der Mahlsteuerprozesse
und der Beitragspflicht zum Bau des Dammes in Rotzis bei
Wusterhausen haben mir kein Heimweh nach meiner damaligen Thätig¬
keit hinterlassen. Dem Ehrgeiz der Beamtenlaufbahn entsagend,
erfüllte ich gerne den Wunsch meiner Eltern, in die festgefahrne
Bewirthschaftung unsrer pommerschen Güter einzutreten. Auf dem
Lande dachte ich zu leben und zu sterben, nachdem ich Erfolge in
der Landwirthschaft erreicht haben würde, vielleicht auch im Kriege,
wenn es einen gäbe. Soweit mir auf dem Lande Ehrgeiz verblieb,
war es der des Landwehr-Lieutenants.

II.

Die in meiner Kindheit empfangenen Eindrücke waren wenig
dazu angethan, mich zu verjunkern. In der nach Pestalozzi'schen und
Jahn'schen Grundsätzen eingerichteten Plamann'schen Erziehungs¬

Der Landrath ſonſt und jetzt. Parteiweſen und Richter.
Gerichten den ſtarken Parteiſtrömungen leichter und hingebender
unterliegen als Verwaltungsbeamte; und es iſt auch kein pſycho¬
logiſcher Grund dafür erfindlich, daß bei gleicher Bildung die
letztern a priori für weniger gerecht und gewiſſenhaft in ihren
amtlichen Entſcheidungen gehalten werden ſollten als die erſtern.
Wohl aber nehme ich an, daß die amtlichen Entſchließungen an
Ehrlichkeit und Angemeſſenheit dadurch nicht gewinnen, daß ſie
collegialiſch gefaßt werden; abgeſehn davon, daß Arithmetik und
Zufall bei dem Majoritätsvotum an die Stelle logiſcher Begrün¬
dung treten, geht das Gefühl perſönlicher Verantwortlichkeit, in
welcher die weſentliche Bürgſchaft für die Gewiſſenhaftigkeit der
Entſcheidung liegt, ſofort verloren, wenn dieſe durch anonyme
Majoritäten erfolgt.

Der Geſchäftsgang in beiden Collegien, in Potsdam wie in
Aachen, war für meine Strebſamkeit nicht ermuthigend geweſen.
Ich fand die mir zugewieſene Beſchäftigung kleinlich und lang¬
weilig, und meine Arbeiten auf dem Gebiete der Mahlſteuerprozeſſe
und der Beitragspflicht zum Bau des Dammes in Rotzis bei
Wuſterhauſen haben mir kein Heimweh nach meiner damaligen Thätig¬
keit hinterlaſſen. Dem Ehrgeiz der Beamtenlaufbahn entſagend,
erfüllte ich gerne den Wunſch meiner Eltern, in die feſtgefahrne
Bewirthſchaftung unſrer pommerſchen Güter einzutreten. Auf dem
Lande dachte ich zu leben und zu ſterben, nachdem ich Erfolge in
der Landwirthſchaft erreicht haben würde, vielleicht auch im Kriege,
wenn es einen gäbe. Soweit mir auf dem Lande Ehrgeiz verblieb,
war es der des Landwehr-Lieutenants.

II.

Die in meiner Kindheit empfangenen Eindrücke waren wenig
dazu angethan, mich zu verjunkern. In der nach Peſtalozzi'ſchen und
Jahn'ſchen Grundſätzen eingerichteten Plamann'ſchen Erziehungs¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0040" n="13"/><fw place="top" type="header">Der Landrath &#x017F;on&#x017F;t und jetzt. Parteiwe&#x017F;en und Richter.<lb/></fw> Gerichten den &#x017F;tarken Partei&#x017F;trömungen leichter und hingebender<lb/>
unterliegen als Verwaltungsbeamte; und es i&#x017F;t auch kein p&#x017F;ycho¬<lb/>
logi&#x017F;cher Grund dafür erfindlich, daß bei gleicher Bildung die<lb/>
letztern <hi rendition="#aq">a priori</hi> für weniger gerecht und gewi&#x017F;&#x017F;enhaft in ihren<lb/>
amtlichen Ent&#x017F;cheidungen gehalten werden &#x017F;ollten als die er&#x017F;tern.<lb/>
Wohl aber nehme ich an, daß die amtlichen Ent&#x017F;chließungen an<lb/>
Ehrlichkeit und Angeme&#x017F;&#x017F;enheit dadurch nicht gewinnen, daß &#x017F;ie<lb/>
collegiali&#x017F;ch gefaßt werden; abge&#x017F;ehn davon, daß Arithmetik und<lb/>
Zufall bei dem Majoritätsvotum an die Stelle logi&#x017F;cher Begrün¬<lb/>
dung treten, geht das Gefühl per&#x017F;önlicher Verantwortlichkeit, in<lb/>
welcher die we&#x017F;entliche Bürg&#x017F;chaft für die Gewi&#x017F;&#x017F;enhaftigkeit der<lb/>
Ent&#x017F;cheidung liegt, &#x017F;ofort verloren, wenn die&#x017F;e durch anonyme<lb/>
Majoritäten erfolgt.</p><lb/>
          <p>Der Ge&#x017F;chäftsgang in beiden Collegien, in Potsdam wie in<lb/>
Aachen, war für meine Streb&#x017F;amkeit nicht ermuthigend gewe&#x017F;en.<lb/>
Ich fand die mir zugewie&#x017F;ene Be&#x017F;chäftigung kleinlich und lang¬<lb/>
weilig, und meine Arbeiten auf dem Gebiete der Mahl&#x017F;teuerproze&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und der Beitragspflicht zum Bau des Dammes in Rotzis bei<lb/>
Wu&#x017F;terhau&#x017F;en haben mir kein Heimweh nach meiner damaligen Thätig¬<lb/>
keit hinterla&#x017F;&#x017F;en. Dem Ehrgeiz der Beamtenlaufbahn ent&#x017F;agend,<lb/>
erfüllte ich gerne den Wun&#x017F;ch meiner Eltern, in die fe&#x017F;tgefahrne<lb/>
Bewirth&#x017F;chaftung un&#x017F;rer pommer&#x017F;chen Güter einzutreten. Auf dem<lb/>
Lande dachte ich zu leben und zu &#x017F;terben, nachdem ich Erfolge in<lb/>
der Landwirth&#x017F;chaft erreicht haben würde, vielleicht auch im Kriege,<lb/>
wenn es einen gäbe. Soweit mir auf dem Lande Ehrgeiz verblieb,<lb/>
war es der des Landwehr-Lieutenants.</p><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">II.</hi><lb/>
          </head>
          <p>Die in meiner Kindheit empfangenen Eindrücke waren wenig<lb/>
dazu angethan, mich zu verjunkern. In der nach Pe&#x017F;talozzi'&#x017F;chen und<lb/>
Jahn'&#x017F;chen Grund&#x017F;ätzen eingerichteten Plamann'&#x017F;chen Erziehungs¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0040] Der Landrath ſonſt und jetzt. Parteiweſen und Richter. Gerichten den ſtarken Parteiſtrömungen leichter und hingebender unterliegen als Verwaltungsbeamte; und es iſt auch kein pſycho¬ logiſcher Grund dafür erfindlich, daß bei gleicher Bildung die letztern a priori für weniger gerecht und gewiſſenhaft in ihren amtlichen Entſcheidungen gehalten werden ſollten als die erſtern. Wohl aber nehme ich an, daß die amtlichen Entſchließungen an Ehrlichkeit und Angemeſſenheit dadurch nicht gewinnen, daß ſie collegialiſch gefaßt werden; abgeſehn davon, daß Arithmetik und Zufall bei dem Majoritätsvotum an die Stelle logiſcher Begrün¬ dung treten, geht das Gefühl perſönlicher Verantwortlichkeit, in welcher die weſentliche Bürgſchaft für die Gewiſſenhaftigkeit der Entſcheidung liegt, ſofort verloren, wenn dieſe durch anonyme Majoritäten erfolgt. Der Geſchäftsgang in beiden Collegien, in Potsdam wie in Aachen, war für meine Strebſamkeit nicht ermuthigend geweſen. Ich fand die mir zugewieſene Beſchäftigung kleinlich und lang¬ weilig, und meine Arbeiten auf dem Gebiete der Mahlſteuerprozeſſe und der Beitragspflicht zum Bau des Dammes in Rotzis bei Wuſterhauſen haben mir kein Heimweh nach meiner damaligen Thätig¬ keit hinterlaſſen. Dem Ehrgeiz der Beamtenlaufbahn entſagend, erfüllte ich gerne den Wunſch meiner Eltern, in die feſtgefahrne Bewirthſchaftung unſrer pommerſchen Güter einzutreten. Auf dem Lande dachte ich zu leben und zu ſterben, nachdem ich Erfolge in der Landwirthſchaft erreicht haben würde, vielleicht auch im Kriege, wenn es einen gäbe. Soweit mir auf dem Lande Ehrgeiz verblieb, war es der des Landwehr-Lieutenants. II. Die in meiner Kindheit empfangenen Eindrücke waren wenig dazu angethan, mich zu verjunkern. In der nach Peſtalozzi'ſchen und Jahn'ſchen Grundſätzen eingerichteten Plamann'ſchen Erziehungs¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/40
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/40>, abgerufen am 03.12.2024.