Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Schönhauser in Potsdam. Schreiben an Prittwitz.

Mit verwundetem Gefühl kehrte ich nach Schönhausen zurück.

Die Erinnerung an das Gespräch, welches ich in Potsdam
mit dem General-Lieutenant von Prittwitz gehabt hatte, veranlaßte
mich, im Mai folgendes, von meinen Freunden in der Schönhauser
Gegend mitunterzeichnetes Schreiben an ihn zu richten:

"Jeder, dem ein preußisches Herz in der Brust schlägt, hat
gewiß gleich uns Unterzeichneten mit Entrüstung die Angriffe der
Presse gelesen, welchen in den ersten Wochen nach dem 19. März
die Königlichen Truppen zum Lohn dafür ausgesetzt waren, daß
sie ihre Pflicht im Kampfe treu erfüllt und auf ihrem befohlenen
Rückzuge ein unübertroffenes Beispiel militärischer Disciplin und
Selbstverleugnung gegeben hatten. Wenn die Presse seit einiger Zeit
eine schicklichere Haltung beobachtet, so liegt der Grund davon bei
der dieselbe beherrschenden Partei weniger in einer ihr seither
gewordenen richtigen Erkenntniß des Sachverhältnisses, als darin,
daß die schnelle Bewegung der neuern Ereignisse den Eindruck der
ältern in den Hintergrund drängt, und man sich das Ansehn
giebt, den Truppen wegen ihrer neuesten Thaten *)die frühern
verzeihn zu wollen. Sogar bei dem Landvolk, welches die ersten
Nachrichten von den Berliner Ereignissen mit kaum zu zügelnder
Erbitterung aufnahm, fangen die Entstellungen an Consistenz zu
gewinnen, welche von allen Seiten und ohne irgend erheblichen
Widerspruch, theils durch die Presse, theils durch die bei Gelegen¬
heit der Wahlen das Volk bearbeitenden Emissäre verbreitet worden
sind, so daß die wohlgesinnten Leute unter dem Landvolk bereits
glauben, es könne doch nicht ohne allen Grund sein, daß der
Berliner Straßenkampf von den Truppen, mit oder ohne Wissen
und Willen des vielverleumdeten Thronerben, vorbedachter Weise
herbeigeführt sei, um dem Volke die Concessionen, welche der König
gemacht hatte, zu entreißen. An eine Vorbereitung auf der andern
Seite, an eine systematische Bearbeitung des Volkes, will kaum

*) Am 23. April hatten sie Schleswig besetzt.
Die Schönhauſer in Potsdam. Schreiben an Prittwitz.

Mit verwundetem Gefühl kehrte ich nach Schönhauſen zurück.

Die Erinnerung an das Geſpräch, welches ich in Potsdam
mit dem General-Lieutenant von Prittwitz gehabt hatte, veranlaßte
mich, im Mai folgendes, von meinen Freunden in der Schönhauſer
Gegend mitunterzeichnetes Schreiben an ihn zu richten:

„Jeder, dem ein preußiſches Herz in der Bruſt ſchlägt, hat
gewiß gleich uns Unterzeichneten mit Entrüſtung die Angriffe der
Preſſe geleſen, welchen in den erſten Wochen nach dem 19. März
die Königlichen Truppen zum Lohn dafür ausgeſetzt waren, daß
ſie ihre Pflicht im Kampfe treu erfüllt und auf ihrem befohlenen
Rückzuge ein unübertroffenes Beiſpiel militäriſcher Diſciplin und
Selbſtverleugnung gegeben hatten. Wenn die Preſſe ſeit einiger Zeit
eine ſchicklichere Haltung beobachtet, ſo liegt der Grund davon bei
der dieſelbe beherrſchenden Partei weniger in einer ihr ſeither
gewordenen richtigen Erkenntniß des Sachverhältniſſes, als darin,
daß die ſchnelle Bewegung der neuern Ereigniſſe den Eindruck der
ältern in den Hintergrund drängt, und man ſich das Anſehn
giebt, den Truppen wegen ihrer neueſten Thaten *)die frühern
verzeihn zu wollen. Sogar bei dem Landvolk, welches die erſten
Nachrichten von den Berliner Ereigniſſen mit kaum zu zügelnder
Erbitterung aufnahm, fangen die Entſtellungen an Conſiſtenz zu
gewinnen, welche von allen Seiten und ohne irgend erheblichen
Widerſpruch, theils durch die Preſſe, theils durch die bei Gelegen¬
heit der Wahlen das Volk bearbeitenden Emiſſäre verbreitet worden
ſind, ſo daß die wohlgeſinnten Leute unter dem Landvolk bereits
glauben, es könne doch nicht ohne allen Grund ſein, daß der
Berliner Straßenkampf von den Truppen, mit oder ohne Wiſſen
und Willen des vielverleumdeten Thronerben, vorbedachter Weiſe
herbeigeführt ſei, um dem Volke die Conceſſionen, welche der König
gemacht hatte, zu entreißen. An eine Vorbereitung auf der andern
Seite, an eine ſyſtematiſche Bearbeitung des Volkes, will kaum

*) Am 23. April hatten ſie Schleswig beſetzt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0054" n="27"/>
          <fw place="top" type="header">Die Schönhau&#x017F;er in Potsdam. Schreiben an Prittwitz.<lb/></fw>
          <p>Mit verwundetem Gefühl kehrte ich nach Schönhau&#x017F;en zurück.</p><lb/>
          <p>Die Erinnerung an das Ge&#x017F;präch, welches ich in Potsdam<lb/>
mit dem General-Lieutenant von Prittwitz gehabt hatte, veranlaßte<lb/>
mich, im Mai folgendes, von meinen Freunden in der Schönhau&#x017F;er<lb/>
Gegend mitunterzeichnetes Schreiben an ihn zu richten:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Jeder, dem ein preußi&#x017F;ches Herz in der Bru&#x017F;t &#x017F;chlägt, hat<lb/>
gewiß gleich uns Unterzeichneten mit Entrü&#x017F;tung die Angriffe der<lb/>
Pre&#x017F;&#x017F;e gele&#x017F;en, welchen in den er&#x017F;ten Wochen nach dem 19. März<lb/>
die Königlichen Truppen zum Lohn dafür ausge&#x017F;etzt waren, daß<lb/>
&#x017F;ie ihre Pflicht im Kampfe treu erfüllt und auf ihrem befohlenen<lb/>
Rückzuge ein unübertroffenes Bei&#x017F;piel militäri&#x017F;cher Di&#x017F;ciplin und<lb/>
Selb&#x017F;tverleugnung gegeben hatten. Wenn die Pre&#x017F;&#x017F;e &#x017F;eit einiger Zeit<lb/>
eine &#x017F;chicklichere Haltung beobachtet, &#x017F;o liegt der Grund davon bei<lb/>
der die&#x017F;elbe beherr&#x017F;chenden Partei weniger in einer ihr &#x017F;either<lb/>
gewordenen richtigen Erkenntniß des Sachverhältni&#x017F;&#x017F;es, als darin,<lb/>
daß die &#x017F;chnelle Bewegung der neuern Ereigni&#x017F;&#x017F;e den Eindruck der<lb/>
ältern in den Hintergrund drängt, und man &#x017F;ich das An&#x017F;ehn<lb/>
giebt, den Truppen wegen ihrer neue&#x017F;ten Thaten <note place="foot" n="*)"><lb/>
Am 23. April hatten &#x017F;ie Schleswig be&#x017F;etzt.</note>die frühern<lb/>
verzeihn zu wollen. Sogar bei dem Landvolk, welches die er&#x017F;ten<lb/>
Nachrichten von den Berliner Ereigni&#x017F;&#x017F;en mit kaum zu zügelnder<lb/>
Erbitterung aufnahm, fangen die Ent&#x017F;tellungen an Con&#x017F;i&#x017F;tenz zu<lb/>
gewinnen, welche von allen Seiten und ohne irgend erheblichen<lb/>
Wider&#x017F;pruch, theils durch die Pre&#x017F;&#x017F;e, theils durch die bei Gelegen¬<lb/>
heit der Wahlen das Volk bearbeitenden Emi&#x017F;&#x017F;äre verbreitet worden<lb/>
&#x017F;ind, &#x017F;o daß die wohlge&#x017F;innten Leute unter dem Landvolk bereits<lb/>
glauben, es könne doch nicht ohne allen Grund &#x017F;ein, daß der<lb/>
Berliner Straßenkampf von den Truppen, mit oder ohne Wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und Willen des vielverleumdeten Thronerben, vorbedachter Wei&#x017F;e<lb/>
herbeigeführt &#x017F;ei, um dem Volke die Conce&#x017F;&#x017F;ionen, welche der König<lb/>
gemacht hatte, zu entreißen. An eine Vorbereitung auf der andern<lb/>
Seite, an eine &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;che Bearbeitung des Volkes, will kaum<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0054] Die Schönhauſer in Potsdam. Schreiben an Prittwitz. Mit verwundetem Gefühl kehrte ich nach Schönhauſen zurück. Die Erinnerung an das Geſpräch, welches ich in Potsdam mit dem General-Lieutenant von Prittwitz gehabt hatte, veranlaßte mich, im Mai folgendes, von meinen Freunden in der Schönhauſer Gegend mitunterzeichnetes Schreiben an ihn zu richten: „Jeder, dem ein preußiſches Herz in der Bruſt ſchlägt, hat gewiß gleich uns Unterzeichneten mit Entrüſtung die Angriffe der Preſſe geleſen, welchen in den erſten Wochen nach dem 19. März die Königlichen Truppen zum Lohn dafür ausgeſetzt waren, daß ſie ihre Pflicht im Kampfe treu erfüllt und auf ihrem befohlenen Rückzuge ein unübertroffenes Beiſpiel militäriſcher Diſciplin und Selbſtverleugnung gegeben hatten. Wenn die Preſſe ſeit einiger Zeit eine ſchicklichere Haltung beobachtet, ſo liegt der Grund davon bei der dieſelbe beherrſchenden Partei weniger in einer ihr ſeither gewordenen richtigen Erkenntniß des Sachverhältniſſes, als darin, daß die ſchnelle Bewegung der neuern Ereigniſſe den Eindruck der ältern in den Hintergrund drängt, und man ſich das Anſehn giebt, den Truppen wegen ihrer neueſten Thaten *)die frühern verzeihn zu wollen. Sogar bei dem Landvolk, welches die erſten Nachrichten von den Berliner Ereigniſſen mit kaum zu zügelnder Erbitterung aufnahm, fangen die Entſtellungen an Conſiſtenz zu gewinnen, welche von allen Seiten und ohne irgend erheblichen Widerſpruch, theils durch die Preſſe, theils durch die bei Gelegen¬ heit der Wahlen das Volk bearbeitenden Emiſſäre verbreitet worden ſind, ſo daß die wohlgeſinnten Leute unter dem Landvolk bereits glauben, es könne doch nicht ohne allen Grund ſein, daß der Berliner Straßenkampf von den Truppen, mit oder ohne Wiſſen und Willen des vielverleumdeten Thronerben, vorbedachter Weiſe herbeigeführt ſei, um dem Volke die Conceſſionen, welche der König gemacht hatte, zu entreißen. An eine Vorbereitung auf der andern Seite, an eine ſyſtematiſche Bearbeitung des Volkes, will kaum *) Am 23. April hatten ſie Schleswig beſetzt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/54
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/54>, abgerufen am 27.11.2024.