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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Ein Zeitungsartikel.
dessen Umfang nie etwas verheimlicht werden kann. Es ist natür¬
lich, daß die Städter dahin streben, den Steuererheber von der
Fabrikindustrie, von dem städtischen Häuserwerth, von dem Rentier
und Capitalisten so fern als möglich zu halten, und ihn lieber auf
Acker und Wiesen und deren Producte anzuweisen. Ein Anfang
ist damit gemacht, daß in den bisher mahlsteuerpflichtigen Städten
die untersten Stufen von der neuen directen Steuer frei bleiben,
während sie auf dem Lande nach wie vor Klassensteuer zahlen.
Wir hören ferner von Maßregeln zur Unterstützung der Industrie
auf Kosten der Staatskassen, aber wir hören nicht davon, daß
man dem Landmanne zu Hülfe kommen wolle, der wegen der
kriegerischen Aussichten auf der Seeseite seine Producte nicht ver¬
werthen kann, aber der durch Kündigung von Capitalien in dieser
geldarmen Zeit seinen Hof zu verkaufen genöthigt wird. Ebenso
hören wir mit Bezug auf indirecte Besteuerung mehr von dem
Schutzzollsystem zu Gunsten inländischer Fabrication und Gewerbe
sprechen, als von dem für die ackerbautreibende Bevölkerung nöthigen
freien Handel. Es ist wie gesagt natürlich, daß ein Theil der
städtischen Bevölkerung mit Rücksicht auf die beregten Streitpunkte
kein Mittel scheut, bei den bevorstehenden Wahlen das eigne
Interesse zur Geltung zu bringen und die Vertretung der Land¬
bewohner zu schwächen. Ein sehr wirksamer Hebel zu letzterem
Zweck liegt in den Bestrebungen, der ländlichen Bevölkerung die¬
jenigen ihrer Mitglieder zu verdächtigen, deren Bildung und
Intelligenz sie befähigen könnte, die Interessen des Grund und
Bodens auf der Nationalversammlung mit Erfolg zu vertreten;
man bemüht sich daher, eine Mißstimmung gegen die Ritterguts¬
besitzer künstlich zu befördern, indem man meint, wenn man diese
Klasse unschädlich macht, so müssen die Landbewohner entweder
Advokaten oder andre Städter wählen, die nach den ländlichen
Interessen nicht viel fragen, oder es kommen meist schlichte Land¬
leute, und die denkt man durch die Beredsamkeit und kluge Politik
der Parteiführer in der Nationalversammlung schon unvermerkt

Ein Zeitungsartikel.
deſſen Umfang nie etwas verheimlicht werden kann. Es iſt natür¬
lich, daß die Städter dahin ſtreben, den Steuererheber von der
Fabrikinduſtrie, von dem ſtädtiſchen Häuſerwerth, von dem Rentier
und Capitaliſten ſo fern als möglich zu halten, und ihn lieber auf
Acker und Wieſen und deren Producte anzuweiſen. Ein Anfang
iſt damit gemacht, daß in den bisher mahlſteuerpflichtigen Städten
die unterſten Stufen von der neuen directen Steuer frei bleiben,
während ſie auf dem Lande nach wie vor Klaſſenſteuer zahlen.
Wir hören ferner von Maßregeln zur Unterſtützung der Induſtrie
auf Koſten der Staatskaſſen, aber wir hören nicht davon, daß
man dem Landmanne zu Hülfe kommen wolle, der wegen der
kriegeriſchen Ausſichten auf der Seeſeite ſeine Producte nicht ver¬
werthen kann, aber der durch Kündigung von Capitalien in dieſer
geldarmen Zeit ſeinen Hof zu verkaufen genöthigt wird. Ebenſo
hören wir mit Bezug auf indirecte Beſteuerung mehr von dem
Schutzzollſyſtem zu Gunſten inländiſcher Fabrication und Gewerbe
ſprechen, als von dem für die ackerbautreibende Bevölkerung nöthigen
freien Handel. Es iſt wie geſagt natürlich, daß ein Theil der
ſtädtiſchen Bevölkerung mit Rückſicht auf die beregten Streitpunkte
kein Mittel ſcheut, bei den bevorſtehenden Wahlen das eigne
Intereſſe zur Geltung zu bringen und die Vertretung der Land¬
bewohner zu ſchwächen. Ein ſehr wirkſamer Hebel zu letzterem
Zweck liegt in den Beſtrebungen, der ländlichen Bevölkerung die¬
jenigen ihrer Mitglieder zu verdächtigen, deren Bildung und
Intelligenz ſie befähigen könnte, die Intereſſen des Grund und
Bodens auf der Nationalverſammlung mit Erfolg zu vertreten;
man bemüht ſich daher, eine Mißſtimmung gegen die Ritterguts¬
beſitzer künſtlich zu befördern, indem man meint, wenn man dieſe
Klaſſe unſchädlich macht, ſo müſſen die Landbewohner entweder
Advokaten oder andre Städter wählen, die nach den ländlichen
Intereſſen nicht viel fragen, oder es kommen meiſt ſchlichte Land¬
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der Parteiführer in der Nationalverſammlung ſchon unvermerkt

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[35/0062] Ein Zeitungsartikel. deſſen Umfang nie etwas verheimlicht werden kann. Es iſt natür¬ lich, daß die Städter dahin ſtreben, den Steuererheber von der Fabrikinduſtrie, von dem ſtädtiſchen Häuſerwerth, von dem Rentier und Capitaliſten ſo fern als möglich zu halten, und ihn lieber auf Acker und Wieſen und deren Producte anzuweiſen. Ein Anfang iſt damit gemacht, daß in den bisher mahlſteuerpflichtigen Städten die unterſten Stufen von der neuen directen Steuer frei bleiben, während ſie auf dem Lande nach wie vor Klaſſenſteuer zahlen. Wir hören ferner von Maßregeln zur Unterſtützung der Induſtrie auf Koſten der Staatskaſſen, aber wir hören nicht davon, daß man dem Landmanne zu Hülfe kommen wolle, der wegen der kriegeriſchen Ausſichten auf der Seeſeite ſeine Producte nicht ver¬ werthen kann, aber der durch Kündigung von Capitalien in dieſer geldarmen Zeit ſeinen Hof zu verkaufen genöthigt wird. Ebenſo hören wir mit Bezug auf indirecte Beſteuerung mehr von dem Schutzzollſyſtem zu Gunſten inländiſcher Fabrication und Gewerbe ſprechen, als von dem für die ackerbautreibende Bevölkerung nöthigen freien Handel. Es iſt wie geſagt natürlich, daß ein Theil der ſtädtiſchen Bevölkerung mit Rückſicht auf die beregten Streitpunkte kein Mittel ſcheut, bei den bevorſtehenden Wahlen das eigne Intereſſe zur Geltung zu bringen und die Vertretung der Land¬ bewohner zu ſchwächen. Ein ſehr wirkſamer Hebel zu letzterem Zweck liegt in den Beſtrebungen, der ländlichen Bevölkerung die¬ jenigen ihrer Mitglieder zu verdächtigen, deren Bildung und Intelligenz ſie befähigen könnte, die Intereſſen des Grund und Bodens auf der Nationalverſammlung mit Erfolg zu vertreten; man bemüht ſich daher, eine Mißſtimmung gegen die Ritterguts¬ beſitzer künſtlich zu befördern, indem man meint, wenn man dieſe Klaſſe unſchädlich macht, ſo müſſen die Landbewohner entweder Advokaten oder andre Städter wählen, die nach den ländlichen Intereſſen nicht viel fragen, oder es kommen meiſt ſchlichte Land¬ leute, und die denkt man durch die Beredſamkeit und kluge Politik der Parteiführer in der Nationalverſammlung ſchon unvermerkt

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/62>, abgerufen am 27.11.2024.