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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Antrag auf Einsetzung einer Regentschaft.
Prinzen von Preußen, eine Regentschaft der Prinzessin für ihren
minderjährigen Sohn herzustellen. Ich lehnte sofort ab und er¬
klärte, daß ich einen Antrag des Inhalts mit dem Antrage auf
gerichtliches Verfahren wegen Hochverraths beantworten würde.
Vincke vertheidigte seine Anregung als eine politisch gebotene,
durchdachte und vorbereitete Maßregel. Er hielt den Prinzen
wegen der von ihm leider nicht verdienten Bezeichnung "Kartätschen¬
prinz" für unmöglich und behauptete, daß dessen Einverständniß
schriftlich vorliege. Damit hatte er eine Erklärung im Sinne,
welche der ritterliche Herr ausgestellt haben soll, daß er, wenn
sein König dadurch vor Gefahr geschützt werden könne, bereit sei
auf sein Erbrecht zu verzichten. Ich habe die Erklärung nie gesehn,
und der hohe Herr hat mir nie davon gesprochen. Herr von Vincke
gab seinen Versuch, mich für die Regentschaft der Prinzessin zu
gewinnen, schließlich kühl und leicht mit der Erklärung auf, ohne Mit¬
wirkung der äußersten Rechten, die er als durch mich vertreten ansah,
werde der König nicht zum Rücktritt zu bestimmen sein. Die Ver¬
handlung fand bei mir im Hotel des Princes, parterre rechts,
statt und enthielt beiderseits mehr, als sich niederschreiben läßt.

Von diesem Vorgange und von der Aussprache, welche ich
von seiner Gemalin während der Märztage in dem Potsdamer
Stadtschlosse zu hören bekommen hatte, habe ich dem Kaiser Wilhelm
niemals gesprochen und weiß nicht, ob Andre es gethan haben.
Ich habe ihm diese Erlebnisse verschwiegen auch in Zeiten wie die
des vierjährigen Conflicts, des östreichischen Krieges und des Cultur¬
kampfs, wo ich in der Königin Augusta den Gegner erkennen mußte,
welcher meine Fähigkeit, zu vertreten was ich für meine Pflicht hielt,
und meine Nerven auf die schwerste Probe im Leben gestellt hat.

Dagegen muß sie ihrem Gemal nach England geschrieben
haben, daß ich versucht hatte, zu ihm zu gelangen, um seine Unter¬
stützung für eine contrarevolutionäre Bewegung zur Befreiung des
Königs zu gewinnen; denn als er auf der Rückkehr am 7. Juni
einige Minuten auf dem Genthiner Bahnhof verweilte und ich

Antrag auf Einſetzung einer Regentſchaft.
Prinzen von Preußen, eine Regentſchaft der Prinzeſſin für ihren
minderjährigen Sohn herzuſtellen. Ich lehnte ſofort ab und er¬
klärte, daß ich einen Antrag des Inhalts mit dem Antrage auf
gerichtliches Verfahren wegen Hochverraths beantworten würde.
Vincke vertheidigte ſeine Anregung als eine politiſch gebotene,
durchdachte und vorbereitete Maßregel. Er hielt den Prinzen
wegen der von ihm leider nicht verdienten Bezeichnung „Kartätſchen¬
prinz“ für unmöglich und behauptete, daß deſſen Einverſtändniß
ſchriftlich vorliege. Damit hatte er eine Erklärung im Sinne,
welche der ritterliche Herr ausgeſtellt haben ſoll, daß er, wenn
ſein König dadurch vor Gefahr geſchützt werden könne, bereit ſei
auf ſein Erbrecht zu verzichten. Ich habe die Erklärung nie geſehn,
und der hohe Herr hat mir nie davon geſprochen. Herr von Vincke
gab ſeinen Verſuch, mich für die Regentſchaft der Prinzeſſin zu
gewinnen, ſchließlich kühl und leicht mit der Erklärung auf, ohne Mit¬
wirkung der äußerſten Rechten, die er als durch mich vertreten anſah,
werde der König nicht zum Rücktritt zu beſtimmen ſein. Die Ver¬
handlung fand bei mir im Hôtel des Princes, parterre rechts,
ſtatt und enthielt beiderſeits mehr, als ſich niederſchreiben läßt.

Von dieſem Vorgange und von der Ausſprache, welche ich
von ſeiner Gemalin während der Märztage in dem Potsdamer
Stadtſchloſſe zu hören bekommen hatte, habe ich dem Kaiſer Wilhelm
niemals geſprochen und weiß nicht, ob Andre es gethan haben.
Ich habe ihm dieſe Erlebniſſe verſchwiegen auch in Zeiten wie die
des vierjährigen Conflicts, des öſtreichiſchen Krieges und des Cultur¬
kampfs, wo ich in der Königin Auguſta den Gegner erkennen mußte,
welcher meine Fähigkeit, zu vertreten was ich für meine Pflicht hielt,
und meine Nerven auf die ſchwerſte Probe im Leben geſtellt hat.

Dagegen muß ſie ihrem Gemal nach England geſchrieben
haben, daß ich verſucht hatte, zu ihm zu gelangen, um ſeine Unter¬
ſtützung für eine contrarevolutionäre Bewegung zur Befreiung des
Königs zu gewinnen; denn als er auf der Rückkehr am 7. Juni
einige Minuten auf dem Genthiner Bahnhof verweilte und ich

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[37/0064] Antrag auf Einſetzung einer Regentſchaft. Prinzen von Preußen, eine Regentſchaft der Prinzeſſin für ihren minderjährigen Sohn herzuſtellen. Ich lehnte ſofort ab und er¬ klärte, daß ich einen Antrag des Inhalts mit dem Antrage auf gerichtliches Verfahren wegen Hochverraths beantworten würde. Vincke vertheidigte ſeine Anregung als eine politiſch gebotene, durchdachte und vorbereitete Maßregel. Er hielt den Prinzen wegen der von ihm leider nicht verdienten Bezeichnung „Kartätſchen¬ prinz“ für unmöglich und behauptete, daß deſſen Einverſtändniß ſchriftlich vorliege. Damit hatte er eine Erklärung im Sinne, welche der ritterliche Herr ausgeſtellt haben ſoll, daß er, wenn ſein König dadurch vor Gefahr geſchützt werden könne, bereit ſei auf ſein Erbrecht zu verzichten. Ich habe die Erklärung nie geſehn, und der hohe Herr hat mir nie davon geſprochen. Herr von Vincke gab ſeinen Verſuch, mich für die Regentſchaft der Prinzeſſin zu gewinnen, ſchließlich kühl und leicht mit der Erklärung auf, ohne Mit¬ wirkung der äußerſten Rechten, die er als durch mich vertreten anſah, werde der König nicht zum Rücktritt zu beſtimmen ſein. Die Ver¬ handlung fand bei mir im Hôtel des Princes, parterre rechts, ſtatt und enthielt beiderſeits mehr, als ſich niederſchreiben läßt. Von dieſem Vorgange und von der Ausſprache, welche ich von ſeiner Gemalin während der Märztage in dem Potsdamer Stadtſchloſſe zu hören bekommen hatte, habe ich dem Kaiſer Wilhelm niemals geſprochen und weiß nicht, ob Andre es gethan haben. Ich habe ihm dieſe Erlebniſſe verſchwiegen auch in Zeiten wie die des vierjährigen Conflicts, des öſtreichiſchen Krieges und des Cultur¬ kampfs, wo ich in der Königin Auguſta den Gegner erkennen mußte, welcher meine Fähigkeit, zu vertreten was ich für meine Pflicht hielt, und meine Nerven auf die ſchwerſte Probe im Leben geſtellt hat. Dagegen muß ſie ihrem Gemal nach England geſchrieben haben, daß ich verſucht hatte, zu ihm zu gelangen, um ſeine Unter¬ ſtützung für eine contrarevolutionäre Bewegung zur Befreiung des Königs zu gewinnen; denn als er auf der Rückkehr am 7. Juni einige Minuten auf dem Genthiner Bahnhof verweilte und ich

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/64>, abgerufen am 26.11.2024.