Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Brandenburg für die Erfurter Politik. H. v. Gagern. eine Verständigung zwischen uns und der Gagern'schen Parteianzubahnen. Er that das in der Weise, daß er Gagern und mich allein zu Tisch einlud und uns beide, während wir noch bei der Flasche saßen, allein ließ, ohne uns eine vermittelnde oder ein¬ leitende Andeutung zu hinterlassen. Gagern wiederholte mir, nur minder genau und verständlich, was uns als Programm seiner Partei und etwas abgemindert als Regirungsvorlage bekannt war. Er sprach, ohne mich anzublicken, schräg weg gegen den Himmel sehend. Auf meine Aeußerung, wir royalistische Preußen befürch¬ teten in erster Linie, daß mit dieser Verfassung die monarchische Gewalt nicht stark genug bleiben werde, versank er nach der langen und declamatorischen Darlegung in ein geringschätziges Schweigen, was den Eindruck machte, den man mit Roma locuta est über¬ setzen kann. Als Manteuffel wieder eintrat, hatten wir mehre Minuten schweigend gesessen, ich, weil ich Gagern's Erwiderung erwartete, er, weil er in der Erinnerung an seine Frankfurter Stellung es unter seiner Würde hielt, mit einem preußischen Land¬ junker anders als maßgebend zu verhandeln. Er war eben mehr zum parlamentarischen Redner und Präsidenten als zum politischen Geschäftsmann veranlagt und hatte sich in das Bewußtsein eines Jupiter tonans hineingelebt. Nachdem er sich entfernt hatte, fragte Manteuffel mich, was er gesagt habe. "Er hat mir eine Rede gehalten, als ob ich eine Volksversammlung wäre," antwortete ich. Es ist merkwürdig, daß in den beiden Familien, welche da¬ Brandenburg für die Erfurter Politik. H. v. Gagern. eine Verſtändigung zwiſchen uns und der Gagern'ſchen Parteianzubahnen. Er that das in der Weiſe, daß er Gagern und mich allein zu Tiſch einlud und uns beide, während wir noch bei der Flaſche ſaßen, allein ließ, ohne uns eine vermittelnde oder ein¬ leitende Andeutung zu hinterlaſſen. Gagern wiederholte mir, nur minder genau und verſtändlich, was uns als Programm ſeiner Partei und etwas abgemindert als Regirungsvorlage bekannt war. Er ſprach, ohne mich anzublicken, ſchräg weg gegen den Himmel ſehend. Auf meine Aeußerung, wir royaliſtiſche Preußen befürch¬ teten in erſter Linie, daß mit dieſer Verfaſſung die monarchiſche Gewalt nicht ſtark genug bleiben werde, verſank er nach der langen und declamatoriſchen Darlegung in ein geringſchätziges Schweigen, was den Eindruck machte, den man mit Roma locuta est über¬ ſetzen kann. Als Manteuffel wieder eintrat, hatten wir mehre Minuten ſchweigend geſeſſen, ich, weil ich Gagern's Erwiderung erwartete, er, weil er in der Erinnerung an ſeine Frankfurter Stellung es unter ſeiner Würde hielt, mit einem preußiſchen Land¬ junker anders als maßgebend zu verhandeln. Er war eben mehr zum parlamentariſchen Redner und Präſidenten als zum politiſchen Geſchäftsmann veranlagt und hatte ſich in das Bewußtſein eines Jupiter tonans hineingelebt. Nachdem er ſich entfernt hatte, fragte Manteuffel mich, was er geſagt habe. „Er hat mir eine Rede gehalten, als ob ich eine Volksverſammlung wäre,“ antwortete ich. Es iſt merkwürdig, daß in den beiden Familien, welche da¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0094" n="67"/><fw place="top" type="header">Brandenburg für die Erfurter Politik. H. v. Gagern.<lb/></fw> eine Verſtändigung zwiſchen uns und der Gagern'ſchen Partei<lb/> anzubahnen. 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Brandenburg für die Erfurter Politik. H. v. Gagern.
eine Verſtändigung zwiſchen uns und der Gagern'ſchen Partei
anzubahnen. Er that das in der Weiſe, daß er Gagern und mich
allein zu Tiſch einlud und uns beide, während wir noch bei der
Flaſche ſaßen, allein ließ, ohne uns eine vermittelnde oder ein¬
leitende Andeutung zu hinterlaſſen. Gagern wiederholte mir, nur
minder genau und verſtändlich, was uns als Programm ſeiner
Partei und etwas abgemindert als Regirungsvorlage bekannt war.
Er ſprach, ohne mich anzublicken, ſchräg weg gegen den Himmel
ſehend. Auf meine Aeußerung, wir royaliſtiſche Preußen befürch¬
teten in erſter Linie, daß mit dieſer Verfaſſung die monarchiſche
Gewalt nicht ſtark genug bleiben werde, verſank er nach der langen
und declamatoriſchen Darlegung in ein geringſchätziges Schweigen,
was den Eindruck machte, den man mit Roma locuta est über¬
ſetzen kann. Als Manteuffel wieder eintrat, hatten wir mehre
Minuten ſchweigend geſeſſen, ich, weil ich Gagern's Erwiderung
erwartete, er, weil er in der Erinnerung an ſeine Frankfurter
Stellung es unter ſeiner Würde hielt, mit einem preußiſchen Land¬
junker anders als maßgebend zu verhandeln. Er war eben mehr
zum parlamentariſchen Redner und Präſidenten als zum politiſchen
Geſchäftsmann veranlagt und hatte ſich in das Bewußtſein eines
Jupiter tonans hineingelebt. Nachdem er ſich entfernt hatte, fragte
Manteuffel mich, was er geſagt habe. „Er hat mir eine Rede
gehalten, als ob ich eine Volksverſammlung wäre,“ antwortete ich.
Es iſt merkwürdig, daß in den beiden Familien, welche da¬
mals in Deutſchland und in Preußen den nationalen Liberalismus
vertraten, Gagern und Auerswald, je drei Brüder vorhanden
waren, unter denen je ein General, daß dieſe beiden Generale die
praktiſcheren Politiker unter ihren Brüdern waren und beide in
Folge der revolutionären Bewegungen ermordet wurden, deren
Entwicklung jeder von ihnen in ſeinem Wirkungskreiſe in gutem
patriotiſchen Glauben gefördert hatte. Der General von Auers¬
wald, der am 18. September 1848 bei Frankfurt ermordet wurde,
wie man ſagt, weil er für Radowitz gehalten wurde, hatte ſich zur
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