zu diesen Manifestationen. Die Aeußerung Gramonts in der Sitzung des gesetzgebenden Körpers vom 6. Juli:
"Wir glauben nicht, daß die Achtung vor den Rechten eines Nachbarvolkes uns verpflichtet zu dulden, daß eine fremde Macht einen ihrer Prinzen auf den Thron Karls V. setze ... Dieser Fall wird nicht eintreten, dessen sind wir ganz gewiß. ... Sollte es anders kommen, so würden wir ... unsre Pflicht ohne Zaudern und ohne Schwäche zu erfüllen wissen"
schon diese Aeußerung war eine amtliche internationale Bedrohung mit der Hand am Degengriff. Die Phrase: "La Prusse cane" bil¬ dete in der Presse eine Erläuterung zu der Tragweite der Parla¬ mentsverhandlungen vom 6. und 7. Juli, die für unser nationales Ehrgefühl nach meiner Empfindung jede Nachgiebigkeit unmöglich machte.
Ich entschloß mich, am 12. Juli von Varzin nach Ems auf¬ zubrechen, um bei Sr. Majestät die Berufung des Reichstags behufs der Mobilmachung zu befürworten. Als ich durch Wussow fuhr, stand mein Freund, der alte Prediger Mulert, vor der Thür des Pfarrhofes und grüßte mich freundlich; meine Antwort im offnen Wagen war ein Lufthieb in Quart und Terz, und er verstand, daß ich glaubte in den Krieg zu gehn. In den Hof meiner Berliner Wohnung einfahrend und bevor ich den Wagen verlassen hatte, empfing ich Telegramme, aus denen hervorging, daß der König nach den französischen Bedrohungen und Beleidigungen im Parla¬ ment und in der Presse mit Benedetti zu verhandeln fortfuhr, ohne ihn in kühler Zurückhaltung an seine Minister zu verweisen. Während des Essens, an dem Moltke und Roon Theil nahmen, traf von der Botschaft in Paris die Meldung ein, daß der Prinz von Hohenzollern der Candidatur entsagt habe, um den Krieg ab¬ zuwenden, mit dem uns Frankreich bedrohte. Mein erster Gedanke war, aus dem Dienste zu scheiden, weil ich nach allen beleidigenden Provocationen, die vorhergegangen waren, in diesem erpreßten Nach¬
Zweiundzwanzigſtes Kapitel: Die Emſer Depeſche.
zu dieſen Manifeſtationen. Die Aeußerung Gramonts in der Sitzung des geſetzgebenden Körpers vom 6. Juli:
„Wir glauben nicht, daß die Achtung vor den Rechten eines Nachbarvolkes uns verpflichtet zu dulden, daß eine fremde Macht einen ihrer Prinzen auf den Thron Karls V. ſetze ... Dieſer Fall wird nicht eintreten, deſſen ſind wir ganz gewiß. ... Sollte es anders kommen, ſo würden wir ... unſre Pflicht ohne Zaudern und ohne Schwäche zu erfüllen wiſſen“
ſchon dieſe Aeußerung war eine amtliche internationale Bedrohung mit der Hand am Degengriff. Die Phraſe: „La Prusse cane“ bil¬ dete in der Preſſe eine Erläuterung zu der Tragweite der Parla¬ mentsverhandlungen vom 6. und 7. Juli, die für unſer nationales Ehrgefühl nach meiner Empfindung jede Nachgiebigkeit unmöglich machte.
Ich entſchloß mich, am 12. Juli von Varzin nach Ems auf¬ zubrechen, um bei Sr. Majeſtät die Berufung des Reichstags behufs der Mobilmachung zu befürworten. Als ich durch Wuſſow fuhr, ſtand mein Freund, der alte Prediger Mulert, vor der Thür des Pfarrhofes und grüßte mich freundlich; meine Antwort im offnen Wagen war ein Lufthieb in Quart und Terz, und er verſtand, daß ich glaubte in den Krieg zu gehn. In den Hof meiner Berliner Wohnung einfahrend und bevor ich den Wagen verlaſſen hatte, empfing ich Telegramme, aus denen hervorging, daß der König nach den franzöſiſchen Bedrohungen und Beleidigungen im Parla¬ ment und in der Preſſe mit Benedetti zu verhandeln fortfuhr, ohne ihn in kühler Zurückhaltung an ſeine Miniſter zu verweiſen. Während des Eſſens, an dem Moltke und Roon Theil nahmen, traf von der Botſchaft in Paris die Meldung ein, daß der Prinz von Hohenzollern der Candidatur entſagt habe, um den Krieg ab¬ zuwenden, mit dem uns Frankreich bedrohte. Mein erſter Gedanke war, aus dem Dienſte zu ſcheiden, weil ich nach allen beleidigenden Provocationen, die vorhergegangen waren, in dieſem erpreßten Nach¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0108"n="84"/><fwplace="top"type="header">Zweiundzwanzigſtes Kapitel: Die Emſer Depeſche.<lb/></fw>zu dieſen Manifeſtationen. Die Aeußerung Gramonts in der Sitzung<lb/>
des geſetzgebenden Körpers vom 6. Juli:<lb/><floatingTextrendition="#et"><body><div><p>„Wir glauben nicht, daß die Achtung vor den Rechten<lb/>
eines Nachbarvolkes uns verpflichtet zu dulden, daß eine fremde<lb/>
Macht einen ihrer Prinzen auf den Thron Karls <hirendition="#aq">V</hi>. ſetze ...<lb/>
Dieſer Fall wird nicht eintreten, deſſen ſind wir ganz gewiß. ...<lb/>
Sollte es anders kommen, ſo würden wir ... unſre Pflicht<lb/>
ohne Zaudern und ohne Schwäche zu erfüllen wiſſen“</p></div></body><lb/></floatingText>ſchon dieſe Aeußerung war eine amtliche internationale Bedrohung<lb/>
mit der Hand am Degengriff. Die Phraſe: „<hirendition="#aq">La Prusse cane</hi>“ bil¬<lb/>
dete in der Preſſe eine Erläuterung zu der Tragweite der Parla¬<lb/>
mentsverhandlungen vom 6. und 7. Juli, die für unſer nationales<lb/>
Ehrgefühl nach meiner Empfindung jede Nachgiebigkeit unmöglich<lb/>
machte.</p><lb/><p>Ich entſchloß mich, am 12. Juli von Varzin nach Ems auf¬<lb/>
zubrechen, um bei Sr. Majeſtät die Berufung des Reichstags behufs<lb/>
der Mobilmachung zu befürworten. Als ich durch Wuſſow fuhr,<lb/>ſtand mein Freund, der alte Prediger Mulert, vor der Thür des<lb/>
Pfarrhofes und grüßte mich freundlich; meine Antwort im offnen<lb/>
Wagen war ein Lufthieb in Quart und Terz, und er verſtand, daß<lb/>
ich glaubte in den Krieg zu gehn. In den Hof meiner Berliner<lb/>
Wohnung einfahrend und bevor ich den Wagen verlaſſen hatte,<lb/>
empfing ich Telegramme, aus denen hervorging, daß der König<lb/>
nach den franzöſiſchen Bedrohungen und Beleidigungen im Parla¬<lb/>
ment und in der Preſſe mit Benedetti zu verhandeln fortfuhr,<lb/>
ohne ihn in kühler Zurückhaltung an ſeine Miniſter zu verweiſen.<lb/>
Während des Eſſens, an dem Moltke und Roon Theil nahmen,<lb/>
traf von der Botſchaft in Paris die Meldung ein, daß der Prinz<lb/>
von Hohenzollern der Candidatur entſagt habe, um den Krieg ab¬<lb/>
zuwenden, mit dem uns Frankreich bedrohte. Mein erſter Gedanke<lb/>
war, aus dem Dienſte zu ſcheiden, weil ich nach allen beleidigenden<lb/>
Provocationen, die vorhergegangen waren, in dieſem erpreßten Nach¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[84/0108]
Zweiundzwanzigſtes Kapitel: Die Emſer Depeſche.
zu dieſen Manifeſtationen. Die Aeußerung Gramonts in der Sitzung
des geſetzgebenden Körpers vom 6. Juli:
„Wir glauben nicht, daß die Achtung vor den Rechten
eines Nachbarvolkes uns verpflichtet zu dulden, daß eine fremde
Macht einen ihrer Prinzen auf den Thron Karls V. ſetze ...
Dieſer Fall wird nicht eintreten, deſſen ſind wir ganz gewiß. ...
Sollte es anders kommen, ſo würden wir ... unſre Pflicht
ohne Zaudern und ohne Schwäche zu erfüllen wiſſen“
ſchon dieſe Aeußerung war eine amtliche internationale Bedrohung
mit der Hand am Degengriff. Die Phraſe: „La Prusse cane“ bil¬
dete in der Preſſe eine Erläuterung zu der Tragweite der Parla¬
mentsverhandlungen vom 6. und 7. Juli, die für unſer nationales
Ehrgefühl nach meiner Empfindung jede Nachgiebigkeit unmöglich
machte.
Ich entſchloß mich, am 12. Juli von Varzin nach Ems auf¬
zubrechen, um bei Sr. Majeſtät die Berufung des Reichstags behufs
der Mobilmachung zu befürworten. Als ich durch Wuſſow fuhr,
ſtand mein Freund, der alte Prediger Mulert, vor der Thür des
Pfarrhofes und grüßte mich freundlich; meine Antwort im offnen
Wagen war ein Lufthieb in Quart und Terz, und er verſtand, daß
ich glaubte in den Krieg zu gehn. In den Hof meiner Berliner
Wohnung einfahrend und bevor ich den Wagen verlaſſen hatte,
empfing ich Telegramme, aus denen hervorging, daß der König
nach den franzöſiſchen Bedrohungen und Beleidigungen im Parla¬
ment und in der Preſſe mit Benedetti zu verhandeln fortfuhr,
ohne ihn in kühler Zurückhaltung an ſeine Miniſter zu verweiſen.
Während des Eſſens, an dem Moltke und Roon Theil nahmen,
traf von der Botſchaft in Paris die Meldung ein, daß der Prinz
von Hohenzollern der Candidatur entſagt habe, um den Krieg ab¬
zuwenden, mit dem uns Frankreich bedrohte. Mein erſter Gedanke
war, aus dem Dienſte zu ſcheiden, weil ich nach allen beleidigenden
Provocationen, die vorhergegangen waren, in dieſem erpreßten Nach¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/108>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.