Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Moltke als Humorist. Diplomat und Soldat. sich empfehle, einen Krieg, der uns früher oder später wahrscheinlichbevorstand, anticipando herbeizuführen, bevor der Gegner zu besserer Rüstung gelange. Ich bin der bejahenden Theorie nicht blos zur Luxemburger Zeit, sondern auch später, zwanzig Jahre lang, stets entgegengetreten in der Ueberzeugung, daß auch siegreiche Kriege nur dann, wenn sie aufgezwungen sind, verantwortet werden können, und daß man der Vorsehung nicht so in die Karten sehn kann, um der geschichtlichen Entwicklung nach eigner Berechnung vor¬ zugreifen. Es ist natürlich, daß in dem Generalstabe der Armee nicht nur jüngere strebsame Offiziere, sondern auch erfahrne Stra¬ tegen das Bedürfniß haben, die Tüchtigkeit der von ihnen geleiteten Truppen und die eigne Befähigung zu dieser Leitung zu verwerthen und in der Geschichte zur Anschauung zu bringen. Es wäre zu bedauern, wenn diese Wirkung kriegerischen Geistes in der Armee nicht stattfände; die Aufgabe, das Ergebniß derselben in den Schran¬ ken zu halten, auf welche das Friedensbedürfniß der Völker berech¬ tigten Anspruch hat, liegt den politischen, nicht den militärischen Spitzen des Staates ob. Daß sich der Generalstab und seine Chefs zur Zeit der Luxemburger Frage, während der von Gortschakow und Frankreich fingirten Krisis von 1875 und bis in die neuste Zeit hinein zur Gefährdung des Friedens haben verleiten lassen, liegt in dem nothwendigen Geiste der Institution, den ich nicht missen möchte, und wird gefährlich nur unter einem Monarchen, dessen Politik das Augenmaß und die Widerstandsfähigkeit gegen einseitige und verfassungsmäßig unberechtigte Einflüsse fehlt. Moltke als Humoriſt. Diplomat und Soldat. ſich empfehle, einen Krieg, der uns früher oder ſpäter wahrſcheinlichbevorſtand, anticipando herbeizuführen, bevor der Gegner zu beſſerer Rüſtung gelange. Ich bin der bejahenden Theorie nicht blos zur Luxemburger Zeit, ſondern auch ſpäter, zwanzig Jahre lang, ſtets entgegengetreten in der Ueberzeugung, daß auch ſiegreiche Kriege nur dann, wenn ſie aufgezwungen ſind, verantwortet werden können, und daß man der Vorſehung nicht ſo in die Karten ſehn kann, um der geſchichtlichen Entwicklung nach eigner Berechnung vor¬ zugreifen. Es iſt natürlich, daß in dem Generalſtabe der Armee nicht nur jüngere ſtrebſame Offiziere, ſondern auch erfahrne Stra¬ tegen das Bedürfniß haben, die Tüchtigkeit der von ihnen geleiteten Truppen und die eigne Befähigung zu dieſer Leitung zu verwerthen und in der Geſchichte zur Anſchauung zu bringen. Es wäre zu bedauern, wenn dieſe Wirkung kriegeriſchen Geiſtes in der Armee nicht ſtattfände; die Aufgabe, das Ergebniß derſelben in den Schran¬ ken zu halten, auf welche das Friedensbedürfniß der Völker berech¬ tigten Anſpruch hat, liegt den politiſchen, nicht den militäriſchen Spitzen des Staates ob. Daß ſich der Generalſtab und ſeine Chefs zur Zeit der Luxemburger Frage, während der von Gortſchakow und Frankreich fingirten Kriſis von 1875 und bis in die neuſte Zeit hinein zur Gefährdung des Friedens haben verleiten laſſen, liegt in dem nothwendigen Geiſte der Inſtitution, den ich nicht miſſen möchte, und wird gefährlich nur unter einem Monarchen, deſſen Politik das Augenmaß und die Widerſtandsfähigkeit gegen einſeitige und verfaſſungsmäßig unberechtigte Einflüſſe fehlt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0117" n="93"/><fw place="top" type="header">Moltke als Humoriſt. Diplomat und Soldat.<lb/></fw> ſich empfehle, einen Krieg, der uns früher oder ſpäter wahrſcheinlich<lb/> bevorſtand, <hi rendition="#aq">anticipando</hi> herbeizuführen, bevor der Gegner zu beſſerer<lb/> Rüſtung gelange. 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Moltke als Humoriſt. Diplomat und Soldat.
ſich empfehle, einen Krieg, der uns früher oder ſpäter wahrſcheinlich
bevorſtand, anticipando herbeizuführen, bevor der Gegner zu beſſerer
Rüſtung gelange. Ich bin der bejahenden Theorie nicht blos zur
Luxemburger Zeit, ſondern auch ſpäter, zwanzig Jahre lang, ſtets
entgegengetreten in der Ueberzeugung, daß auch ſiegreiche Kriege
nur dann, wenn ſie aufgezwungen ſind, verantwortet werden können,
und daß man der Vorſehung nicht ſo in die Karten ſehn kann,
um der geſchichtlichen Entwicklung nach eigner Berechnung vor¬
zugreifen. Es iſt natürlich, daß in dem Generalſtabe der Armee
nicht nur jüngere ſtrebſame Offiziere, ſondern auch erfahrne Stra¬
tegen das Bedürfniß haben, die Tüchtigkeit der von ihnen geleiteten
Truppen und die eigne Befähigung zu dieſer Leitung zu verwerthen
und in der Geſchichte zur Anſchauung zu bringen. Es wäre zu
bedauern, wenn dieſe Wirkung kriegeriſchen Geiſtes in der Armee
nicht ſtattfände; die Aufgabe, das Ergebniß derſelben in den Schran¬
ken zu halten, auf welche das Friedensbedürfniß der Völker berech¬
tigten Anſpruch hat, liegt den politiſchen, nicht den militäriſchen
Spitzen des Staates ob. Daß ſich der Generalſtab und ſeine Chefs
zur Zeit der Luxemburger Frage, während der von Gortſchakow und
Frankreich fingirten Kriſis von 1875 und bis in die neuſte Zeit
hinein zur Gefährdung des Friedens haben verleiten laſſen, liegt
in dem nothwendigen Geiſte der Inſtitution, den ich nicht miſſen
möchte, und wird gefährlich nur unter einem Monarchen, deſſen
Politik das Augenmaß und die Widerſtandsfähigkeit gegen einſeitige
und verfaſſungsmäßig unberechtigte Einflüſſe fehlt.
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