Haltung Rußlands. Uebelwollen Gortschakows. Seine Eitelkeit.
Gebiete eingeräumt war, war für eine große Nation eine auf die Dauer nicht erträgliche Demüthigung. Wir hatten hierin eine Handhabe, um unsre Beziehungen zu Rußland zu pflegen.
Fürst Gortschakow ist auf die Initiative, mit der ich ihn in dieser Richtung sondirte, nur widerstrebend eingegangen. Sein persönliches Uebelwollen war stärker als sein russisches Pflicht¬ gefühl. Er wollte keine Gefälligkeit von uns, sondern Entfrem¬ dung gegen Deutschland und Dank bei Frankreich. Um unser Anerbieten in Petersburg wirksam zu machen, habe ich der durch¬ aus ehrlichen und stets wohlwollenden Mitwirkung des damaligen russischen Militärbevollmächtigten Grafen Kutusoff bedurft. Ich werde dem Fürsten Gortschakow kaum Unrecht thun, wenn ich nach meinen mehre Jahrzehnte dauernden Beziehungen zu ihm annehme, daß die persönliche Rivalität mit mir bei ihm schwerer wog, als die Interessen Rußlands: seine Eitelkeit, seine Eifersucht gegen mich waren größer als sein Patriotismus.
Bezeichnend für die krankhafte Eitelkeit Gortschakows waren einige gelegentliche Aeußerungen mir gegenüber, gelegentlich seiner Berliner Anwesenheit im Mai 1876. Er sprach von seiner Er¬ müdung und seiner Neigung, abzuscheiden, und sagte dabei: "Je ne puis cependant me presenter devant Saint-Pierre au ciel sans avoir preside la moindre chose en Europe." Ich bat ihn in Folge dessen, das Präsidium in der damaligen Diplomaten¬ conferenz, die aber nur eine officiöse war, zu übernehmen, was er that. In der Muße des Zuhörens bei seiner längeren Präsidial¬ rede schrieb ich mit Bleistift: pompons, pompo, pomp, pom, po. Mein Nachbar, Lord Odo Russell, entriß mir das Blatt und be¬ hielt es.
Eine andre Aeußerung bei dieser Gelegenheit lautete dahin: "Si je me retire, je ne veux pas m'eteindre comme une lampe qui file, je veux me coucher comme un astre." Es ist nach diesen Auffassungen nicht verwunderlich, daß ihm sein letztes Auftreten im Berliner Congreß 1878 nicht genügte, zu dem der
Haltung Rußlands. Uebelwollen Gortſchakows. Seine Eitelkeit.
Gebiete eingeräumt war, war für eine große Nation eine auf die Dauer nicht erträgliche Demüthigung. Wir hatten hierin eine Handhabe, um unſre Beziehungen zu Rußland zu pflegen.
Fürſt Gortſchakow iſt auf die Initiative, mit der ich ihn in dieſer Richtung ſondirte, nur widerſtrebend eingegangen. Sein perſönliches Uebelwollen war ſtärker als ſein ruſſiſches Pflicht¬ gefühl. Er wollte keine Gefälligkeit von uns, ſondern Entfrem¬ dung gegen Deutſchland und Dank bei Frankreich. Um unſer Anerbieten in Petersburg wirkſam zu machen, habe ich der durch¬ aus ehrlichen und ſtets wohlwollenden Mitwirkung des damaligen ruſſiſchen Militärbevollmächtigten Grafen Kutuſoff bedurft. Ich werde dem Fürſten Gortſchakow kaum Unrecht thun, wenn ich nach meinen mehre Jahrzehnte dauernden Beziehungen zu ihm annehme, daß die perſönliche Rivalität mit mir bei ihm ſchwerer wog, als die Intereſſen Rußlands: ſeine Eitelkeit, ſeine Eiferſucht gegen mich waren größer als ſein Patriotismus.
Bezeichnend für die krankhafte Eitelkeit Gortſchakows waren einige gelegentliche Aeußerungen mir gegenüber, gelegentlich ſeiner Berliner Anweſenheit im Mai 1876. Er ſprach von ſeiner Er¬ müdung und ſeiner Neigung, abzuſcheiden, und ſagte dabei: „Je ne puis cependant me présenter devant Saint-Pierre au ciel sans avoir présidé la moindre chose en Europe.“ Ich bat ihn in Folge deſſen, das Präſidium in der damaligen Diplomaten¬ conferenz, die aber nur eine officiöſe war, zu übernehmen, was er that. In der Muße des Zuhörens bei ſeiner längeren Präſidial¬ rede ſchrieb ich mit Bleiſtift: pompons, pompo, pomp, pom, po. Mein Nachbar, Lord Odo Ruſſell, entriß mir das Blatt und be¬ hielt es.
Eine andre Aeußerung bei dieſer Gelegenheit lautete dahin: „Si je me retire, je ne veux pas m'éteindre comme une lampe qui file, je veux me coucher comme un astre.“ Es iſt nach dieſen Auffaſſungen nicht verwunderlich, daß ihm ſein letztes Auftreten im Berliner Congreß 1878 nicht genügte, zu dem der
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Haltung Rußlands. Uebelwollen Gortſchakows. Seine Eitelkeit.
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Dauer nicht erträgliche Demüthigung. Wir hatten hierin eine
Handhabe, um unſre Beziehungen zu Rußland zu pflegen.
Fürſt Gortſchakow iſt auf die Initiative, mit der ich ihn in
dieſer Richtung ſondirte, nur widerſtrebend eingegangen. Sein
perſönliches Uebelwollen war ſtärker als ſein ruſſiſches Pflicht¬
gefühl. Er wollte keine Gefälligkeit von uns, ſondern Entfrem¬
dung gegen Deutſchland und Dank bei Frankreich. Um unſer
Anerbieten in Petersburg wirkſam zu machen, habe ich der durch¬
aus ehrlichen und ſtets wohlwollenden Mitwirkung des damaligen
ruſſiſchen Militärbevollmächtigten Grafen Kutuſoff bedurft. Ich
werde dem Fürſten Gortſchakow kaum Unrecht thun, wenn ich nach
meinen mehre Jahrzehnte dauernden Beziehungen zu ihm annehme,
daß die perſönliche Rivalität mit mir bei ihm ſchwerer wog, als
die Intereſſen Rußlands: ſeine Eitelkeit, ſeine Eiferſucht gegen mich
waren größer als ſein Patriotismus.
Bezeichnend für die krankhafte Eitelkeit Gortſchakows waren
einige gelegentliche Aeußerungen mir gegenüber, gelegentlich ſeiner
Berliner Anweſenheit im Mai 1876. Er ſprach von ſeiner Er¬
müdung und ſeiner Neigung, abzuſcheiden, und ſagte dabei:
„Je ne puis cependant me présenter devant Saint-Pierre au
ciel sans avoir présidé la moindre chose en Europe.“ Ich bat
ihn in Folge deſſen, das Präſidium in der damaligen Diplomaten¬
conferenz, die aber nur eine officiöſe war, zu übernehmen, was
er that. In der Muße des Zuhörens bei ſeiner längeren Präſidial¬
rede ſchrieb ich mit Bleiſtift: pompons, pompo, pomp, pom, po.
Mein Nachbar, Lord Odo Ruſſell, entriß mir das Blatt und be¬
hielt es.
Eine andre Aeußerung bei dieſer Gelegenheit lautete dahin:
„Si je me retire, je ne veux pas m'éteindre comme une lampe
qui file, je veux me coucher comme un astre.“ Es iſt nach
dieſen Auffaſſungen nicht verwunderlich, daß ihm ſein letztes
Auftreten im Berliner Congreß 1878 nicht genügte, zu dem der
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/129>, abgerufen am 16.07.2024.
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