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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Weibliche Einwirkungen. Werth des Kaisertitels.
örterung geworden. Alle gegen die Darstellung Roons gerichteten
Ausführungen umgehn die Berliner Einflüsse und die englischen,
auch die Thatsache, daß 800, nach Andern 1500 Axen mit
Lebensmitteln für die Pariser wochenlang festlagen; und alle,
mit Ausnahme eines anonymen Zeitungsartikels, umgehn ebenso
die Frage, ob die Heeresleitung rechtzeitig für die Herbeischaffung
von Belagerungsgeschütz Sorge getragen habe. Ich habe keinen
Anlaß gefunden, an meinen vorstehenden, vor dem Erscheinen der
betreffenden Nummern der "Deutschen Revue" gemachten Aufzeich¬
nungen irgend etwas zu ändern.

IV.

Die Annahme des Kaisertitels durch den König bei Erweiterung
des Norddeutschen Bundes war ein politisches Bedürfniß, weil er
in den Erinnerungen aus Zeiten, da er rechtlich mehr, factisch
weniger als heut zu bedeuten hatte, ein werbendes Element für
Einheit und Centralisation bildete; und ich war überzeugt, daß der
festigende Druck auf unsre Reichsinstitutionen um so nachhaltiger
sein müßte, je mehr der preußische Träger desselben das gefähr¬
liche, aber der deutschen Vorgeschichte innelebende Bestreben ver¬
miede, den andern Dynastien die Ueberlegenheit der eignen
unter die Augen zu rücken. König Wilhelm I. war nicht frei
von der Neigung dazu, und sein Widerstreben gegen den Titel
war nicht ohne Zusammenhang mit dem Bedürfnisse, grade
das überlegne Ansehn der angestammten preußischen Krone mehr
als das des Kaisertitels zur Anerkennung zu bringen. Die
Kaiserkrone erschien ihm im Lichte eines übertragenen modernen
Amtes, dessen Autorität von Friedrich dem Großen bekämpft
war, den Großen Kurfürsten bedrückt hatte. Bei den ersten
Erörterungen sagte er: "Was soll mir der Charakter-Major?"
worauf ich u. A. erwiderte: "Ew. Majestät wollen doch nicht ewig

Weibliche Einwirkungen. Werth des Kaiſertitels.
örterung geworden. Alle gegen die Darſtellung Roons gerichteten
Ausführungen umgehn die Berliner Einflüſſe und die engliſchen,
auch die Thatſache, daß 800, nach Andern 1500 Axen mit
Lebensmitteln für die Pariſer wochenlang feſtlagen; und alle,
mit Ausnahme eines anonymen Zeitungsartikels, umgehn ebenſo
die Frage, ob die Heeresleitung rechtzeitig für die Herbeiſchaffung
von Belagerungsgeſchütz Sorge getragen habe. Ich habe keinen
Anlaß gefunden, an meinen vorſtehenden, vor dem Erſcheinen der
betreffenden Nummern der „Deutſchen Revue“ gemachten Aufzeich¬
nungen irgend etwas zu ändern.

IV.

Die Annahme des Kaiſertitels durch den König bei Erweiterung
des Norddeutſchen Bundes war ein politiſches Bedürfniß, weil er
in den Erinnerungen aus Zeiten, da er rechtlich mehr, factiſch
weniger als heut zu bedeuten hatte, ein werbendes Element für
Einheit und Centraliſation bildete; und ich war überzeugt, daß der
feſtigende Druck auf unſre Reichsinſtitutionen um ſo nachhaltiger
ſein müßte, je mehr der preußiſche Träger deſſelben das gefähr¬
liche, aber der deutſchen Vorgeſchichte innelebende Beſtreben ver¬
miede, den andern Dynaſtien die Ueberlegenheit der eignen
unter die Augen zu rücken. König Wilhelm I. war nicht frei
von der Neigung dazu, und ſein Widerſtreben gegen den Titel
war nicht ohne Zuſammenhang mit dem Bedürfniſſe, grade
das überlegne Anſehn der angeſtammten preußiſchen Krone mehr
als das des Kaiſertitels zur Anerkennung zu bringen. Die
Kaiſerkrone erſchien ihm im Lichte eines übertragenen modernen
Amtes, deſſen Autorität von Friedrich dem Großen bekämpft
war, den Großen Kurfürſten bedrückt hatte. Bei den erſten
Erörterungen ſagte er: „Was ſoll mir der Charakter-Major?“
worauf ich u. A. erwiderte: „Ew. Majeſtät wollen doch nicht ewig

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[115/0139] Weibliche Einwirkungen. Werth des Kaiſertitels. örterung geworden. Alle gegen die Darſtellung Roons gerichteten Ausführungen umgehn die Berliner Einflüſſe und die engliſchen, auch die Thatſache, daß 800, nach Andern 1500 Axen mit Lebensmitteln für die Pariſer wochenlang feſtlagen; und alle, mit Ausnahme eines anonymen Zeitungsartikels, umgehn ebenſo die Frage, ob die Heeresleitung rechtzeitig für die Herbeiſchaffung von Belagerungsgeſchütz Sorge getragen habe. Ich habe keinen Anlaß gefunden, an meinen vorſtehenden, vor dem Erſcheinen der betreffenden Nummern der „Deutſchen Revue“ gemachten Aufzeich¬ nungen irgend etwas zu ändern. IV. Die Annahme des Kaiſertitels durch den König bei Erweiterung des Norddeutſchen Bundes war ein politiſches Bedürfniß, weil er in den Erinnerungen aus Zeiten, da er rechtlich mehr, factiſch weniger als heut zu bedeuten hatte, ein werbendes Element für Einheit und Centraliſation bildete; und ich war überzeugt, daß der feſtigende Druck auf unſre Reichsinſtitutionen um ſo nachhaltiger ſein müßte, je mehr der preußiſche Träger deſſelben das gefähr¬ liche, aber der deutſchen Vorgeſchichte innelebende Beſtreben ver¬ miede, den andern Dynaſtien die Ueberlegenheit der eignen unter die Augen zu rücken. König Wilhelm I. war nicht frei von der Neigung dazu, und ſein Widerſtreben gegen den Titel war nicht ohne Zuſammenhang mit dem Bedürfniſſe, grade das überlegne Anſehn der angeſtammten preußiſchen Krone mehr als das des Kaiſertitels zur Anerkennung zu bringen. Die Kaiſerkrone erſchien ihm im Lichte eines übertragenen modernen Amtes, deſſen Autorität von Friedrich dem Großen bekämpft war, den Großen Kurfürſten bedrückt hatte. Bei den erſten Erörterungen ſagte er: „Was ſoll mir der Charakter-Major?“ worauf ich u. A. erwiderte: „Ew. Majeſtät wollen doch nicht ewig

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/139>, abgerufen am 23.11.2024.