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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Fünfundzwanzigstes Kapitel: Bruch mit den Conservativen.
damals über die Stellung von Strafanträgen noch keine bestimmten
Grundsätze gebildet, und die Erfahrungen, welche ich in der Con¬
flictszeit gemacht hatte, waren nicht grade ermuthigend; ich erinnere
mich, daß ein Ortsgericht, ich glaube in Stendal, in den Gründen
seines Erkenntnisses die Schwere der öffentlich gegen mich gerich¬
teten Beleidigungen zwar reichlich zugab, aber die Festsetzung einer
Minimalstrafe von 10 Thalern damit motivirte, daß ich wirklich
ein übler Minister sei.

Als die Perrotschen Artikel erschienen, sah ich auch noch nicht
voraus, welchen Umfang der Verleumdungsfeldzug gegen mich von
Seiten meiner frühern Parteigenossen und namentlich in den
Kreisen meiner Standesgenossen annehmen sollte.

V.

Jeder, der heutiger Zeit in politischen Kämpfen gestanden hat,
wird die Wahrnehmung gemacht haben, daß Parteimänner, über
deren Wohlerzogenheit und Rechtlichkeit im Privatleben nie Zweifel
aufgekommen sind, sobald sie in Kämpfe der Art gerathen, sich
von den Regeln des Ehrgefühls und der Schicklichkeit, deren
Autorität sie sonst anerkennen, für entbunden halten und aus einer
karikirenden Uebertreibung des Satzes salus publica suprema lex
die Rechtfertigung für Gemeinheiten und Rohheiten in Sprache
und Handlungen ableiten, durch die sie sich außerhalb der poli¬
tischen und religiösen Streitigkeiten selbst angewidert fühlen würden.
Diese Lossagung von Allem, was schicklich und ehrlich ist, hängt
undeutlich mit dem Gefühle zusammen, daß man im Interesse der
Partei, das man dem des Vaterlandes unterschiebt, mit anderm
Maße zu messen habe als im Privatleben, und daß die Gebote
der Ehre und Erziehung in Parteikämpfen anders und loser aus¬
zulegen seien, als selbst im Kriegsgebrauch gegen ausländische Feinde.
Die Reizbarkeit, die zur Ueberschreitung der sonst üblichen Formen

Fünfundzwanzigſtes Kapitel: Bruch mit den Conſervativen.
damals über die Stellung von Strafanträgen noch keine beſtimmten
Grundſätze gebildet, und die Erfahrungen, welche ich in der Con¬
flictszeit gemacht hatte, waren nicht grade ermuthigend; ich erinnere
mich, daß ein Ortsgericht, ich glaube in Stendal, in den Gründen
ſeines Erkenntniſſes die Schwere der öffentlich gegen mich gerich¬
teten Beleidigungen zwar reichlich zugab, aber die Feſtſetzung einer
Minimalſtrafe von 10 Thalern damit motivirte, daß ich wirklich
ein übler Miniſter ſei.

Als die Perrotſchen Artikel erſchienen, ſah ich auch noch nicht
voraus, welchen Umfang der Verleumdungsfeldzug gegen mich von
Seiten meiner frühern Parteigenoſſen und namentlich in den
Kreiſen meiner Standesgenoſſen annehmen ſollte.

V.

Jeder, der heutiger Zeit in politiſchen Kämpfen geſtanden hat,
wird die Wahrnehmung gemacht haben, daß Parteimänner, über
deren Wohlerzogenheit und Rechtlichkeit im Privatleben nie Zweifel
aufgekommen ſind, ſobald ſie in Kämpfe der Art gerathen, ſich
von den Regeln des Ehrgefühls und der Schicklichkeit, deren
Autorität ſie ſonſt anerkennen, für entbunden halten und aus einer
karikirenden Uebertreibung des Satzes salus publica suprema lex
die Rechtfertigung für Gemeinheiten und Rohheiten in Sprache
und Handlungen ableiten, durch die ſie ſich außerhalb der poli¬
tiſchen und religiöſen Streitigkeiten ſelbſt angewidert fühlen würden.
Dieſe Losſagung von Allem, was ſchicklich und ehrlich iſt, hängt
undeutlich mit dem Gefühle zuſammen, daß man im Intereſſe der
Partei, das man dem des Vaterlandes unterſchiebt, mit anderm
Maße zu meſſen habe als im Privatleben, und daß die Gebote
der Ehre und Erziehung in Parteikämpfen anders und loſer aus¬
zulegen ſeien, als ſelbſt im Kriegsgebrauch gegen ausländiſche Feinde.
Die Reizbarkeit, die zur Ueberſchreitung der ſonſt üblichen Formen

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[154/0178] Fünfundzwanzigſtes Kapitel: Bruch mit den Conſervativen. damals über die Stellung von Strafanträgen noch keine beſtimmten Grundſätze gebildet, und die Erfahrungen, welche ich in der Con¬ flictszeit gemacht hatte, waren nicht grade ermuthigend; ich erinnere mich, daß ein Ortsgericht, ich glaube in Stendal, in den Gründen ſeines Erkenntniſſes die Schwere der öffentlich gegen mich gerich¬ teten Beleidigungen zwar reichlich zugab, aber die Feſtſetzung einer Minimalſtrafe von 10 Thalern damit motivirte, daß ich wirklich ein übler Miniſter ſei. Als die Perrotſchen Artikel erſchienen, ſah ich auch noch nicht voraus, welchen Umfang der Verleumdungsfeldzug gegen mich von Seiten meiner frühern Parteigenoſſen und namentlich in den Kreiſen meiner Standesgenoſſen annehmen ſollte. V. Jeder, der heutiger Zeit in politiſchen Kämpfen geſtanden hat, wird die Wahrnehmung gemacht haben, daß Parteimänner, über deren Wohlerzogenheit und Rechtlichkeit im Privatleben nie Zweifel aufgekommen ſind, ſobald ſie in Kämpfe der Art gerathen, ſich von den Regeln des Ehrgefühls und der Schicklichkeit, deren Autorität ſie ſonſt anerkennen, für entbunden halten und aus einer karikirenden Uebertreibung des Satzes salus publica suprema lex die Rechtfertigung für Gemeinheiten und Rohheiten in Sprache und Handlungen ableiten, durch die ſie ſich außerhalb der poli¬ tiſchen und religiöſen Streitigkeiten ſelbſt angewidert fühlen würden. Dieſe Losſagung von Allem, was ſchicklich und ehrlich iſt, hängt undeutlich mit dem Gefühle zuſammen, daß man im Intereſſe der Partei, das man dem des Vaterlandes unterſchiebt, mit anderm Maße zu meſſen habe als im Privatleben, und daß die Gebote der Ehre und Erziehung in Parteikämpfen anders und loſer aus¬ zulegen ſeien, als ſelbſt im Kriegsgebrauch gegen ausländiſche Feinde. Die Reizbarkeit, die zur Ueberſchreitung der ſonſt üblichen Formen

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/178>, abgerufen am 23.11.2024.