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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Fünfundzwanzigstes Kapitel: Bruch mit den Conservativen.
leumders bereitwillig übernehmen? Sobald man aber vor dem
eignen Gewissen und vor der Fraction sich damit decken kann, daß
man im Parteiinteresse auftritt, so gilt jede Gemeinheit für erlaubt
oder doch für entschuldbar.

Gegen mich begannen die Verleumdungen in dem Blatte,
das unter dem christlichen Symbol des Kreuzes und mit dem
Motto "Mit Gott für König und Vaterland" seit Jahren nicht
mehr die conservative Fraction und noch weniger das Christenthum,
sondern nur den Ehrgeiz und die gehässige Verbissenheit einzelner
Redacteure vertritt. Als ich über die Giftmischereien des Blattes
am 9. Februar 1876 in öffentlicher Rede Klage geführt hatte1), ant¬
wortete mir die Kundgebung der sogenannten Declaranten, deren
wissenschaftliches Contingent aus einigen Hundert evangelischen Geist¬
lichen bestand, die in ihrem amtlichen Charakter mir in dieser Form
als Eideshelfer der Kreuzzeitungslügen entgegentraten und ihre
Mission als Diener der christlichen Kirche und ihres Friedens da¬
durch bethätigten, daß sie die Verleumdungen des Blattes öffentlich
contrasignirten. Ich habe gegen Politiker in langen Kleidern,
weiblichen und priesterlichen, immer Mißtrauen gehegt, und dieses
Pronunciamiento einiger Hundert evangelischer Pfarrer zu Gunsten
einer der frivolsten, gegen den ersten Beamten des Landes gerich¬
teten Verleumdung war nicht geeignet, mein Vertrauen grade zu
Politikern, die im Priesterrock, auch in einem evangelischen, stecken,
zu stärken. Zwischen mir und allen Declaranten, von denen viele
bis dahin zu meinen Bekannten, sogar zu meinen Freunden gehört
hatten, war, nachdem sie sich die ehrenrührigen Beschimpfungen
aus der Feder Perrots angeeignet hatten, die Möglichkeit eines
persönlichen Verkehrs vollständig abgeschnitten.

Für die Nerven eines Mannes in reifen Jahren ist es eine
harte Probe, plötzlich mit allen oder fast allen Freunden und Be¬
kannten den bisherigen Umgang abzubrechen. Meine Gesundheit

1) Politische Reden VI 351.

Fünfundzwanzigſtes Kapitel: Bruch mit den Conſervativen.
leumders bereitwillig übernehmen? Sobald man aber vor dem
eignen Gewiſſen und vor der Fraction ſich damit decken kann, daß
man im Parteiintereſſe auftritt, ſo gilt jede Gemeinheit für erlaubt
oder doch für entſchuldbar.

Gegen mich begannen die Verleumdungen in dem Blatte,
das unter dem chriſtlichen Symbol des Kreuzes und mit dem
Motto „Mit Gott für König und Vaterland“ ſeit Jahren nicht
mehr die conſervative Fraction und noch weniger das Chriſtenthum,
ſondern nur den Ehrgeiz und die gehäſſige Verbiſſenheit einzelner
Redacteure vertritt. Als ich über die Giftmiſchereien des Blattes
am 9. Februar 1876 in öffentlicher Rede Klage geführt hatte1), ant¬
wortete mir die Kundgebung der ſogenannten Declaranten, deren
wiſſenſchaftliches Contingent aus einigen Hundert evangeliſchen Geiſt¬
lichen beſtand, die in ihrem amtlichen Charakter mir in dieſer Form
als Eideshelfer der Kreuzzeitungslügen entgegentraten und ihre
Miſſion als Diener der chriſtlichen Kirche und ihres Friedens da¬
durch bethätigten, daß ſie die Verleumdungen des Blattes öffentlich
contraſignirten. Ich habe gegen Politiker in langen Kleidern,
weiblichen und prieſterlichen, immer Mißtrauen gehegt, und dieſes
Pronunciamiento einiger Hundert evangeliſcher Pfarrer zu Gunſten
einer der frivolſten, gegen den erſten Beamten des Landes gerich¬
teten Verleumdung war nicht geeignet, mein Vertrauen grade zu
Politikern, die im Prieſterrock, auch in einem evangeliſchen, ſtecken,
zu ſtärken. Zwiſchen mir und allen Declaranten, von denen viele
bis dahin zu meinen Bekannten, ſogar zu meinen Freunden gehört
hatten, war, nachdem ſie ſich die ehrenrührigen Beſchimpfungen
aus der Feder Perrots angeeignet hatten, die Möglichkeit eines
perſönlichen Verkehrs vollſtändig abgeſchnitten.

Für die Nerven eines Mannes in reifen Jahren iſt es eine
harte Probe, plötzlich mit allen oder faſt allen Freunden und Be¬
kannten den bisherigen Umgang abzubrechen. Meine Geſundheit

1) Politiſche Reden VI 351.
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[156/0180] Fünfundzwanzigſtes Kapitel: Bruch mit den Conſervativen. leumders bereitwillig übernehmen? Sobald man aber vor dem eignen Gewiſſen und vor der Fraction ſich damit decken kann, daß man im Parteiintereſſe auftritt, ſo gilt jede Gemeinheit für erlaubt oder doch für entſchuldbar. Gegen mich begannen die Verleumdungen in dem Blatte, das unter dem chriſtlichen Symbol des Kreuzes und mit dem Motto „Mit Gott für König und Vaterland“ ſeit Jahren nicht mehr die conſervative Fraction und noch weniger das Chriſtenthum, ſondern nur den Ehrgeiz und die gehäſſige Verbiſſenheit einzelner Redacteure vertritt. Als ich über die Giftmiſchereien des Blattes am 9. Februar 1876 in öffentlicher Rede Klage geführt hatte 1), ant¬ wortete mir die Kundgebung der ſogenannten Declaranten, deren wiſſenſchaftliches Contingent aus einigen Hundert evangeliſchen Geiſt¬ lichen beſtand, die in ihrem amtlichen Charakter mir in dieſer Form als Eideshelfer der Kreuzzeitungslügen entgegentraten und ihre Miſſion als Diener der chriſtlichen Kirche und ihres Friedens da¬ durch bethätigten, daß ſie die Verleumdungen des Blattes öffentlich contraſignirten. Ich habe gegen Politiker in langen Kleidern, weiblichen und prieſterlichen, immer Mißtrauen gehegt, und dieſes Pronunciamiento einiger Hundert evangeliſcher Pfarrer zu Gunſten einer der frivolſten, gegen den erſten Beamten des Landes gerich¬ teten Verleumdung war nicht geeignet, mein Vertrauen grade zu Politikern, die im Prieſterrock, auch in einem evangeliſchen, ſtecken, zu ſtärken. Zwiſchen mir und allen Declaranten, von denen viele bis dahin zu meinen Bekannten, ſogar zu meinen Freunden gehört hatten, war, nachdem ſie ſich die ehrenrührigen Beſchimpfungen aus der Feder Perrots angeeignet hatten, die Möglichkeit eines perſönlichen Verkehrs vollſtändig abgeſchnitten. Für die Nerven eines Mannes in reifen Jahren iſt es eine harte Probe, plötzlich mit allen oder faſt allen Freunden und Be¬ kannten den bisherigen Umgang abzubrechen. Meine Geſundheit 1) Politiſche Reden VI 351.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/180>, abgerufen am 23.11.2024.