Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Haltung der Nationalliberalen. Fractionsbeschränktheit. und mit mir brach, und als ob man bemüht wäre, den Bruch zuerweitern und bei mir den Stachel tiefer einzudrücken. Liberale und Conservative waren darüber einig, je nach dem Fractions¬ interesse mich zu verbrauchen, fallen zu lassen und anzugreifen. Die Frage, ob es dem Lande, dem allgemeinen Interesse nützlich sei, wird theoretisch natürlich von jeder Fraction als die dominirende bezeichnet, und jede behauptet, daß sie eben auf dem Fractions¬ wege das Wohl der Gesammtheit suche und finde. In der That aber ist mir der Eindruck verblieben, daß jede unsrer Fractionen ihre Politik betreibt, als ob sie allein da sei, ohne Rücksicht auf das Ganze und auf das Ausland sich auf ihrer Fractionsinsel isolirt. Dabei kann man nicht einmal sagen, daß die verschiedenen Wege der Fractionen auf dem politischen Kampfplatz durch Ver¬ schiedenheit der politischen Grundsätze und Ueberzeugungen in jedem Einzelnen zu einer Gewissensfrage und Nothwendigkeit würden; es geht den meisten Fractionsmitgliedern wie den meisten Bekennern verschiedener Confessionen; sie gerathen in Verlegenheit, wenn man sie bittet, die unterscheidenden Merkmale der eignen Ueberzeugung den andern concurrirenden gegenüber anzuführen. In unsern Fractionen ist der eigentliche Krystallisationspunkt nicht ein Pro¬ gramm, sondern eine Person, ein parlamentarischer Condottiere. Auch die Beschlüsse entspringen nicht aus den Ansichten der Haltung der Nationalliberalen. Fractionsbeſchränktheit. und mit mir brach, und als ob man bemüht wäre, den Bruch zuerweitern und bei mir den Stachel tiefer einzudrücken. Liberale und Conſervative waren darüber einig, je nach dem Fractions¬ intereſſe mich zu verbrauchen, fallen zu laſſen und anzugreifen. Die Frage, ob es dem Lande, dem allgemeinen Intereſſe nützlich ſei, wird theoretiſch natürlich von jeder Fraction als die dominirende bezeichnet, und jede behauptet, daß ſie eben auf dem Fractions¬ wege das Wohl der Geſammtheit ſuche und finde. In der That aber iſt mir der Eindruck verblieben, daß jede unſrer Fractionen ihre Politik betreibt, als ob ſie allein da ſei, ohne Rückſicht auf das Ganze und auf das Ausland ſich auf ihrer Fractionsinſel iſolirt. Dabei kann man nicht einmal ſagen, daß die verſchiedenen Wege der Fractionen auf dem politiſchen Kampfplatz durch Ver¬ ſchiedenheit der politiſchen Grundſätze und Ueberzeugungen in jedem Einzelnen zu einer Gewiſſensfrage und Nothwendigkeit würden; es geht den meiſten Fractionsmitgliedern wie den meiſten Bekennern verſchiedener Confeſſionen; ſie gerathen in Verlegenheit, wenn man ſie bittet, die unterſcheidenden Merkmale der eignen Ueberzeugung den andern concurrirenden gegenüber anzuführen. In unſern Fractionen iſt der eigentliche Kryſtalliſationspunkt nicht ein Pro¬ gramm, ſondern eine Perſon, ein parlamentariſcher Condottiere. Auch die Beſchlüſſe entſpringen nicht aus den Anſichten der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0183" n="159"/><fw place="top" type="header">Haltung der Nationalliberalen. Fractionsbeſchränktheit.<lb/></fw> und mit mir brach, und als ob man bemüht wäre, den Bruch zu<lb/> erweitern und bei mir den Stachel tiefer einzudrücken. Liberale<lb/> und Conſervative waren darüber einig, je nach dem Fractions¬<lb/> intereſſe mich zu verbrauchen, fallen zu laſſen und anzugreifen. Die<lb/> Frage, ob es dem Lande, dem allgemeinen Intereſſe nützlich ſei,<lb/> wird theoretiſch natürlich von jeder Fraction als die dominirende<lb/> bezeichnet, und jede behauptet, daß ſie eben auf dem Fractions¬<lb/> wege das Wohl der Geſammtheit ſuche und finde. In der That<lb/> aber iſt mir der Eindruck verblieben, daß jede unſrer Fractionen<lb/> ihre Politik betreibt, als ob ſie allein da ſei, ohne Rückſicht auf<lb/> das Ganze und auf das Ausland ſich auf ihrer Fractionsinſel<lb/> iſolirt. Dabei kann man nicht einmal ſagen, daß die verſchiedenen<lb/> Wege der Fractionen auf dem politiſchen Kampfplatz durch Ver¬<lb/> ſchiedenheit der politiſchen Grundſätze und Ueberzeugungen in jedem<lb/> Einzelnen zu einer Gewiſſensfrage und Nothwendigkeit würden; es<lb/> geht den meiſten Fractionsmitgliedern wie den meiſten Bekennern<lb/> verſchiedener Confeſſionen; ſie gerathen in Verlegenheit, wenn man<lb/> ſie bittet, die unterſcheidenden Merkmale der eignen Ueberzeugung<lb/> den andern concurrirenden gegenüber anzuführen. In unſern<lb/> Fractionen iſt der eigentliche Kryſtalliſationspunkt nicht ein Pro¬<lb/> gramm, ſondern eine Perſon, ein parlamentariſcher Condottiere.</p><lb/> <p>Auch die Beſchlüſſe entſpringen nicht aus den Anſichten der<lb/> Mitglieder, ſondern aus dem Willen des Führers oder eines her¬<lb/> vorragenden Redners, was in der Regel zuſammenfällt. Der<lb/> Verſuch einzelner Mitglieder, gegen die Fractionsleitung, gegen den<lb/> ſchlagfertigern Redner aufzukommen, iſt mit ſo viel Unannehm¬<lb/> lichkeiten, mit Niederlage in der Abſtimmung, mit Störungen in<lb/> dem täglichen, gewohnten Privatverkehr verbunden, daß ſchon ein<lb/> recht ſelbſtändiger Charakter dazu gehört, eine von der Fractions¬<lb/> leitung abweichende Meinung zu vertreten; und Charakter genügt<lb/> nicht, wenn nicht ein ausreichendes Maß von Wiſſen und Arbeits¬<lb/> kraft hinzukommt. Die letztre aber nimmt zu in der Richtung<lb/> nach links. Die erhaltenden Parteien ſetzen ſich im Ganzen zu¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [159/0183]
Haltung der Nationalliberalen. Fractionsbeſchränktheit.
und mit mir brach, und als ob man bemüht wäre, den Bruch zu
erweitern und bei mir den Stachel tiefer einzudrücken. Liberale
und Conſervative waren darüber einig, je nach dem Fractions¬
intereſſe mich zu verbrauchen, fallen zu laſſen und anzugreifen. Die
Frage, ob es dem Lande, dem allgemeinen Intereſſe nützlich ſei,
wird theoretiſch natürlich von jeder Fraction als die dominirende
bezeichnet, und jede behauptet, daß ſie eben auf dem Fractions¬
wege das Wohl der Geſammtheit ſuche und finde. In der That
aber iſt mir der Eindruck verblieben, daß jede unſrer Fractionen
ihre Politik betreibt, als ob ſie allein da ſei, ohne Rückſicht auf
das Ganze und auf das Ausland ſich auf ihrer Fractionsinſel
iſolirt. Dabei kann man nicht einmal ſagen, daß die verſchiedenen
Wege der Fractionen auf dem politiſchen Kampfplatz durch Ver¬
ſchiedenheit der politiſchen Grundſätze und Ueberzeugungen in jedem
Einzelnen zu einer Gewiſſensfrage und Nothwendigkeit würden; es
geht den meiſten Fractionsmitgliedern wie den meiſten Bekennern
verſchiedener Confeſſionen; ſie gerathen in Verlegenheit, wenn man
ſie bittet, die unterſcheidenden Merkmale der eignen Ueberzeugung
den andern concurrirenden gegenüber anzuführen. In unſern
Fractionen iſt der eigentliche Kryſtalliſationspunkt nicht ein Pro¬
gramm, ſondern eine Perſon, ein parlamentariſcher Condottiere.
Auch die Beſchlüſſe entſpringen nicht aus den Anſichten der
Mitglieder, ſondern aus dem Willen des Führers oder eines her¬
vorragenden Redners, was in der Regel zuſammenfällt. Der
Verſuch einzelner Mitglieder, gegen die Fractionsleitung, gegen den
ſchlagfertigern Redner aufzukommen, iſt mit ſo viel Unannehm¬
lichkeiten, mit Niederlage in der Abſtimmung, mit Störungen in
dem täglichen, gewohnten Privatverkehr verbunden, daß ſchon ein
recht ſelbſtändiger Charakter dazu gehört, eine von der Fractions¬
leitung abweichende Meinung zu vertreten; und Charakter genügt
nicht, wenn nicht ein ausreichendes Maß von Wiſſen und Arbeits¬
kraft hinzukommt. Die letztre aber nimmt zu in der Richtung
nach links. Die erhaltenden Parteien ſetzen ſich im Ganzen zu¬
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |