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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Der Landrath sonst und jetzt. Verhandlungen mit Bennigsen.
machen; er aber faßte die Sache so auf, als ob es sich um einen
durch die politische Situation gegebenen Systemwechsel handelte,
um die Uebernahme der Leitung durch die nationalliberale Partei.
Das Streben nach dem Mitbesitz des Regiments hatte sich schon
erkennbar gemacht in dem Eifer, mit dem die Partei das Stell¬
vertretungsgesetz betrieben hatte in der Meinung, auf diesem Wege
ein collegialisches Reichsministerium anzubahnen, in dem anstatt
des allein verantwortlichen Reichskanzlers selbständige Ressorts
mit collegialischer Abstimmung wie in Preußen die Entscheidung
hätten. Bennigsen wollte daher nicht einfach Eulenburgs Nach¬
folger werden, sondern verlangte, daß mit ihm wenigstens Forcken¬
beck und Stauffenberg einträten. Der Erstre sei der geeignete
Mann für das Innere und werde dort dieselbe Geschicklichkeit und
Thatkraft wie in der Verwaltung der Stadt Berlin bewähren; er
selbst würde das Finanzministerium wählen; Stauffenberg müsse
an die Spitze des Reichsschatzamts treten, um mit ihm zusammen
zu wirken.

Ich sagte ihm, es sei nichts vacant als die Stelle Eulenburgs;
ich sei bereit, ihn für diese dem Könige vorzuschlagen, und würde
mich freuen, wenn ich den Vorschlag durchsetzte. Wenn ich aber
Sr. Majestät rathen wollte, noch zwei Ministerposten proprio
motu
frei zu machen, um sie mit Nationalliberalen zu besetzen,
so werde der hohe Herr das Gefühl haben, daß es sich nicht
um eine zweckmäßige Stellenbesetzung, sondern um einen System¬
wechsel handle, und einen solchen werde er prinzipiell ablehnen.
Bennigsen dürfe überhaupt nicht darauf rechnen, daß es dem Könige
und unsrer ganzen politischen Lage gegenüber möglich sein werde,
seine Fraction gewissermaßen mit in das Ministerium zu nehmen
und als ihr Führer den ihrer Bedeutung entsprechenden Ein¬
fluß im Schoße der Regirung auszuüben, gewissermaßen ein con¬
stitutionelles Majoritätsministerium zu schaffen. Bei uns sei der
König thatsächlich und ohne Widerspruch mit dem Verfassungstexte
Ministerpräsident, und Bennigsen würde, wenn er als Minister

Der Landrath ſonſt und jetzt. Verhandlungen mit Bennigſen.
machen; er aber faßte die Sache ſo auf, als ob es ſich um einen
durch die politiſche Situation gegebenen Syſtemwechſel handelte,
um die Uebernahme der Leitung durch die nationalliberale Partei.
Das Streben nach dem Mitbeſitz des Regiments hatte ſich ſchon
erkennbar gemacht in dem Eifer, mit dem die Partei das Stell¬
vertretungsgeſetz betrieben hatte in der Meinung, auf dieſem Wege
ein collegialiſches Reichsminiſterium anzubahnen, in dem anſtatt
des allein verantwortlichen Reichskanzlers ſelbſtändige Reſſorts
mit collegialiſcher Abſtimmung wie in Preußen die Entſcheidung
hätten. Bennigſen wollte daher nicht einfach Eulenburgs Nach¬
folger werden, ſondern verlangte, daß mit ihm wenigſtens Forcken¬
beck und Stauffenberg einträten. Der Erſtre ſei der geeignete
Mann für das Innere und werde dort dieſelbe Geſchicklichkeit und
Thatkraft wie in der Verwaltung der Stadt Berlin bewähren; er
ſelbſt würde das Finanzminiſterium wählen; Stauffenberg müſſe
an die Spitze des Reichsſchatzamts treten, um mit ihm zuſammen
zu wirken.

Ich ſagte ihm, es ſei nichts vacant als die Stelle Eulenburgs;
ich ſei bereit, ihn für dieſe dem Könige vorzuſchlagen, und würde
mich freuen, wenn ich den Vorſchlag durchſetzte. Wenn ich aber
Sr. Majeſtät rathen wollte, noch zwei Miniſterpoſten proprio
motu
frei zu machen, um ſie mit Nationalliberalen zu beſetzen,
ſo werde der hohe Herr das Gefühl haben, daß es ſich nicht
um eine zweckmäßige Stellenbeſetzung, ſondern um einen Syſtem¬
wechſel handle, und einen ſolchen werde er prinzipiell ablehnen.
Bennigſen dürfe überhaupt nicht darauf rechnen, daß es dem Könige
und unſrer ganzen politiſchen Lage gegenüber möglich ſein werde,
ſeine Fraction gewiſſermaßen mit in das Miniſterium zu nehmen
und als ihr Führer den ihrer Bedeutung entſprechenden Ein¬
fluß im Schoße der Regirung auszuüben, gewiſſermaßen ein con¬
ſtitutionelles Majoritätsminiſterium zu ſchaffen. Bei uns ſei der
König thatſächlich und ohne Widerſpruch mit dem Verfaſſungstexte
Miniſterpräſident, und Bennigſen würde, wenn er als Miniſter

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[181/0205] Der Landrath ſonſt und jetzt. Verhandlungen mit Bennigſen. machen; er aber faßte die Sache ſo auf, als ob es ſich um einen durch die politiſche Situation gegebenen Syſtemwechſel handelte, um die Uebernahme der Leitung durch die nationalliberale Partei. Das Streben nach dem Mitbeſitz des Regiments hatte ſich ſchon erkennbar gemacht in dem Eifer, mit dem die Partei das Stell¬ vertretungsgeſetz betrieben hatte in der Meinung, auf dieſem Wege ein collegialiſches Reichsminiſterium anzubahnen, in dem anſtatt des allein verantwortlichen Reichskanzlers ſelbſtändige Reſſorts mit collegialiſcher Abſtimmung wie in Preußen die Entſcheidung hätten. Bennigſen wollte daher nicht einfach Eulenburgs Nach¬ folger werden, ſondern verlangte, daß mit ihm wenigſtens Forcken¬ beck und Stauffenberg einträten. Der Erſtre ſei der geeignete Mann für das Innere und werde dort dieſelbe Geſchicklichkeit und Thatkraft wie in der Verwaltung der Stadt Berlin bewähren; er ſelbſt würde das Finanzminiſterium wählen; Stauffenberg müſſe an die Spitze des Reichsſchatzamts treten, um mit ihm zuſammen zu wirken. Ich ſagte ihm, es ſei nichts vacant als die Stelle Eulenburgs; ich ſei bereit, ihn für dieſe dem Könige vorzuſchlagen, und würde mich freuen, wenn ich den Vorſchlag durchſetzte. Wenn ich aber Sr. Majeſtät rathen wollte, noch zwei Miniſterpoſten proprio motu frei zu machen, um ſie mit Nationalliberalen zu beſetzen, ſo werde der hohe Herr das Gefühl haben, daß es ſich nicht um eine zweckmäßige Stellenbeſetzung, ſondern um einen Syſtem¬ wechſel handle, und einen ſolchen werde er prinzipiell ablehnen. Bennigſen dürfe überhaupt nicht darauf rechnen, daß es dem Könige und unſrer ganzen politiſchen Lage gegenüber möglich ſein werde, ſeine Fraction gewiſſermaßen mit in das Miniſterium zu nehmen und als ihr Führer den ihrer Bedeutung entſprechenden Ein¬ fluß im Schoße der Regirung auszuüben, gewiſſermaßen ein con¬ ſtitutionelles Majoritätsminiſterium zu ſchaffen. Bei uns ſei der König thatſächlich und ohne Widerſpruch mit dem Verfaſſungstexte Miniſterpräſident, und Bennigſen würde, wenn er als Miniſter

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/205>, abgerufen am 21.11.2024.