Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Sechsundzwanzigstes Kapitel: Intrigen. Correspondenz fand in den letzten Tagen des Jahres 1877 statt,und meine neue Erkrankung fiel grade in die Neujahrsnacht. Der Kaiser antwortete mir auf das Schreiben Roons, er sei Wenn die nationalliberalen Führer ihre Politik geschickt be¬ Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen. Correſpondenz fand in den letzten Tagen des Jahres 1877 ſtatt,und meine neue Erkrankung fiel grade in die Neujahrsnacht. Der Kaiſer antwortete mir auf das Schreiben Roons, er ſei Wenn die nationalliberalen Führer ihre Politik geſchickt be¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0208" n="184"/><fw place="top" type="header">Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.<lb/></fw> Correſpondenz fand in den letzten Tagen des Jahres 1877 ſtatt,<lb/> und meine neue Erkrankung fiel grade in die Neujahrsnacht.</p><lb/> <p>Der Kaiſer antwortete mir auf das Schreiben Roons, er ſei<lb/> über das Sachverhältniß getäuſcht worden und wünſche, daß ich<lb/> ſeinen vorhergehenden Brief als nicht geſchrieben betrachte. Jede<lb/> weitre Verhandlung mit Bennigſen verbot ſich durch dieſen Vor¬<lb/> gang von ſelbſt, ich hielt es aber in unſerm politiſchen Intereſſe<lb/> nicht für zweckmäßig, Letztern von der Beurtheilung in Kenntniß<lb/> zu ſetzen, die ſeine Perſon und Candidatur bei dem Kaiſer ge¬<lb/> funden hatte. Ich ließ die für mich definitiv abgeſchloſſene Unter¬<lb/> handlung äußerlich <hi rendition="#aq">in suspenso</hi>; als ich dann wieder in Berlin war,<lb/> ergriff Bennigſen die Initiative, um die ſeiner Meinung nach noch<lb/> ſchwebende Angelegenheit in freundſchaftlicher Form zum negativen<lb/> Abſchluß zu bringen. Er fragte mich im Reichstagsgebäude, ob es<lb/> wahr ſei, daß ich das Tabakmonopol einzuführen ſtrebe, und er¬<lb/> klärte auf meine bejahende Antwort, daß er dann die Mitwirkung<lb/> als Miniſter ablehnen müſſe. Ich verſchwieg ihm auch dann noch,<lb/> daß mir jede Möglichkeit, mit ihm zu verhandeln, durch den Kaiſer<lb/> ſchon ſeit Neujahr abgeſchnitten war. Vielleicht hatte er ſich auf<lb/> anderm Wege überzeugt, daß ſein Plan einer grundſätzlichen Modi¬<lb/> fication der Regirungspolitik im Sinne der nationalliberalen An¬<lb/> ſchauungen bei dem Kaiſer auf unüberwindliche Hinderniſſe ſtoßen<lb/> würde, namentlich ſeit einer von Stauffenberg gehaltenen Rede<lb/> über die Nothwendigkeit der Abſchaffung des Art. 109 der preußi¬<lb/> ſchen Verfaſſung (Forterhebung der Steuern).</p><lb/> <p>Wenn die nationalliberalen Führer ihre Politik geſchickt be¬<lb/> trieben hätten, ſo hätten ſie längſt wiſſen müſſen, daß bei dem<lb/> Kaiſer, deſſen Unterſchrift ſie zu ihrer Ernennung bedurften und<lb/> begehrten, es keinen empfindlicheren politiſchen Punkt gab als dieſen<lb/> Artikel, und daß ſie ſich den hohen Herrn nicht ſichrer entfremden<lb/> konnten als durch den Verſuch, ihm dieſes Palladium zu entreißen.<lb/> Als ich Sr. Majeſtät vertraulich den Verlauf meiner Verhandlungen<lb/> mit Bennigſen erzählte und deſſen Wunſch in Betreff Stauffenbergs<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [184/0208]
Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
Correſpondenz fand in den letzten Tagen des Jahres 1877 ſtatt,
und meine neue Erkrankung fiel grade in die Neujahrsnacht.
Der Kaiſer antwortete mir auf das Schreiben Roons, er ſei
über das Sachverhältniß getäuſcht worden und wünſche, daß ich
ſeinen vorhergehenden Brief als nicht geſchrieben betrachte. Jede
weitre Verhandlung mit Bennigſen verbot ſich durch dieſen Vor¬
gang von ſelbſt, ich hielt es aber in unſerm politiſchen Intereſſe
nicht für zweckmäßig, Letztern von der Beurtheilung in Kenntniß
zu ſetzen, die ſeine Perſon und Candidatur bei dem Kaiſer ge¬
funden hatte. Ich ließ die für mich definitiv abgeſchloſſene Unter¬
handlung äußerlich in suspenso; als ich dann wieder in Berlin war,
ergriff Bennigſen die Initiative, um die ſeiner Meinung nach noch
ſchwebende Angelegenheit in freundſchaftlicher Form zum negativen
Abſchluß zu bringen. Er fragte mich im Reichstagsgebäude, ob es
wahr ſei, daß ich das Tabakmonopol einzuführen ſtrebe, und er¬
klärte auf meine bejahende Antwort, daß er dann die Mitwirkung
als Miniſter ablehnen müſſe. Ich verſchwieg ihm auch dann noch,
daß mir jede Möglichkeit, mit ihm zu verhandeln, durch den Kaiſer
ſchon ſeit Neujahr abgeſchnitten war. Vielleicht hatte er ſich auf
anderm Wege überzeugt, daß ſein Plan einer grundſätzlichen Modi¬
fication der Regirungspolitik im Sinne der nationalliberalen An¬
ſchauungen bei dem Kaiſer auf unüberwindliche Hinderniſſe ſtoßen
würde, namentlich ſeit einer von Stauffenberg gehaltenen Rede
über die Nothwendigkeit der Abſchaffung des Art. 109 der preußi¬
ſchen Verfaſſung (Forterhebung der Steuern).
Wenn die nationalliberalen Führer ihre Politik geſchickt be¬
trieben hätten, ſo hätten ſie längſt wiſſen müſſen, daß bei dem
Kaiſer, deſſen Unterſchrift ſie zu ihrer Ernennung bedurften und
begehrten, es keinen empfindlicheren politiſchen Punkt gab als dieſen
Artikel, und daß ſie ſich den hohen Herrn nicht ſichrer entfremden
konnten als durch den Verſuch, ihm dieſes Palladium zu entreißen.
Als ich Sr. Majeſtät vertraulich den Verlauf meiner Verhandlungen
mit Bennigſen erzählte und deſſen Wunſch in Betreff Stauffenbergs
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