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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Sechsundzwanzigstes Kapitel: Intrigen.
durch die Feindschaften am Hofe, die katholischen und weiblichen
Einflüsse daselbst waren meine Stützpunkte außerhalb der national¬
liberalen Fraction schwächer geworden und bestanden allein in dem
persönlichen Verhältniß des Kaisers zu mir. Die Nationalliberalen
nahmen davon nicht etwa einen Anlaß, unsre gegenseitigen Be¬
ziehungen dadurch zu stärken, daß sie mich unterstützten, sondern
machten im Gegentheil den Versuch, mich gegen meinen Willen in
das Schlepptau zu nehmen. Zu diesem Zwecke wurden Beziehungen
zu mehren meiner Collegen angeknüpft; durch die Minister Frieden¬
thal und Botho Eulenburg, welcher Letztre das Ohr meines Ver¬
treters im Präsidium, des Grafen Stolberg hatte, wurden ohne
mein Wissen amtliche Verständigungen mit den Präsidien beider
Parlamente nicht nur bezüglich der Sitzungs- und Vertagungs¬
fragen, sondern auch in Betreff materieller Vorlagen gegen meinen,
den Collegen bekannten Willen eingeleitet. Der Gesammtandrang
auf meine Stellung, das Streben nach Mitregentschaft oder Allein¬
herrschaft an meiner Stelle, das sich in dem Plane selbständiger
Reichsminister und in den erwähnten Heimlichkeiten verrathen hatte,
trat handgreiflich zu Tage in der Conseilsitzung, die der Kronprinz
als Vertreter seines verwundeten Vaters am 5. Juni 1878 ab¬
hielt, um über die Auflösung des Reichstags nach dem Nobiling¬
schen Attentate zu beschließen. Die Hälfte meiner Collegen oder
mehr, jedenfalls die Majorität des Ministeriums und des Conseils,
stimmte abweichend von meinem Votum gegen die Auflösung und
machte dafür geltend, daß der vorhandene Reichstag, nachdem das
Nobilingsche Attentat auf das Hödelsche gefolgt sei, bereit sein
werde, seine jüngste Abstimmung zu ändern und der Regirung ent¬
gegen zu kommen. Die Zuversicht, die meine Collegen bei dieser
Gelegenheit kundgaben, beruhte offenbar auf vertraulicher Verständi¬
gung zwischen ihnen und einflußreichen Parlamentariern, während
mir gegenüber kein Einziger von den letztern auch nur eine Aus¬
sprache versucht hatte. Es schien, daß man sich über die Theilung
meiner Erbschaft bereits verständigt hatte.

Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
durch die Feindſchaften am Hofe, die katholiſchen und weiblichen
Einflüſſe daſelbſt waren meine Stützpunkte außerhalb der national¬
liberalen Fraction ſchwächer geworden und beſtanden allein in dem
perſönlichen Verhältniß des Kaiſers zu mir. Die Nationalliberalen
nahmen davon nicht etwa einen Anlaß, unſre gegenſeitigen Be¬
ziehungen dadurch zu ſtärken, daß ſie mich unterſtützten, ſondern
machten im Gegentheil den Verſuch, mich gegen meinen Willen in
das Schlepptau zu nehmen. Zu dieſem Zwecke wurden Beziehungen
zu mehren meiner Collegen angeknüpft; durch die Miniſter Frieden¬
thal und Botho Eulenburg, welcher Letztre das Ohr meines Ver¬
treters im Präſidium, des Grafen Stolberg hatte, wurden ohne
mein Wiſſen amtliche Verſtändigungen mit den Präſidien beider
Parlamente nicht nur bezüglich der Sitzungs- und Vertagungs¬
fragen, ſondern auch in Betreff materieller Vorlagen gegen meinen,
den Collegen bekannten Willen eingeleitet. Der Geſammtandrang
auf meine Stellung, das Streben nach Mitregentſchaft oder Allein¬
herrſchaft an meiner Stelle, das ſich in dem Plane ſelbſtändiger
Reichsminiſter und in den erwähnten Heimlichkeiten verrathen hatte,
trat handgreiflich zu Tage in der Conſeilſitzung, die der Kronprinz
als Vertreter ſeines verwundeten Vaters am 5. Juni 1878 ab¬
hielt, um über die Auflöſung des Reichstags nach dem Nobiling¬
ſchen Attentate zu beſchließen. Die Hälfte meiner Collegen oder
mehr, jedenfalls die Majorität des Miniſteriums und des Conſeils,
ſtimmte abweichend von meinem Votum gegen die Auflöſung und
machte dafür geltend, daß der vorhandene Reichstag, nachdem das
Nobilingſche Attentat auf das Hödelſche gefolgt ſei, bereit ſein
werde, ſeine jüngſte Abſtimmung zu ändern und der Regirung ent¬
gegen zu kommen. Die Zuverſicht, die meine Collegen bei dieſer
Gelegenheit kundgaben, beruhte offenbar auf vertraulicher Verſtändi¬
gung zwiſchen ihnen und einflußreichen Parlamentariern, während
mir gegenüber kein Einziger von den letztern auch nur eine Aus¬
ſprache verſucht hatte. Es ſchien, daß man ſich über die Theilung
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[186/0210] Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen. durch die Feindſchaften am Hofe, die katholiſchen und weiblichen Einflüſſe daſelbſt waren meine Stützpunkte außerhalb der national¬ liberalen Fraction ſchwächer geworden und beſtanden allein in dem perſönlichen Verhältniß des Kaiſers zu mir. Die Nationalliberalen nahmen davon nicht etwa einen Anlaß, unſre gegenſeitigen Be¬ ziehungen dadurch zu ſtärken, daß ſie mich unterſtützten, ſondern machten im Gegentheil den Verſuch, mich gegen meinen Willen in das Schlepptau zu nehmen. Zu dieſem Zwecke wurden Beziehungen zu mehren meiner Collegen angeknüpft; durch die Miniſter Frieden¬ thal und Botho Eulenburg, welcher Letztre das Ohr meines Ver¬ treters im Präſidium, des Grafen Stolberg hatte, wurden ohne mein Wiſſen amtliche Verſtändigungen mit den Präſidien beider Parlamente nicht nur bezüglich der Sitzungs- und Vertagungs¬ fragen, ſondern auch in Betreff materieller Vorlagen gegen meinen, den Collegen bekannten Willen eingeleitet. Der Geſammtandrang auf meine Stellung, das Streben nach Mitregentſchaft oder Allein¬ herrſchaft an meiner Stelle, das ſich in dem Plane ſelbſtändiger Reichsminiſter und in den erwähnten Heimlichkeiten verrathen hatte, trat handgreiflich zu Tage in der Conſeilſitzung, die der Kronprinz als Vertreter ſeines verwundeten Vaters am 5. Juni 1878 ab¬ hielt, um über die Auflöſung des Reichstags nach dem Nobiling¬ ſchen Attentate zu beſchließen. Die Hälfte meiner Collegen oder mehr, jedenfalls die Majorität des Miniſteriums und des Conſeils, ſtimmte abweichend von meinem Votum gegen die Auflöſung und machte dafür geltend, daß der vorhandene Reichstag, nachdem das Nobilingſche Attentat auf das Hödelſche gefolgt ſei, bereit ſein werde, ſeine jüngſte Abſtimmung zu ändern und der Regirung ent¬ gegen zu kommen. Die Zuverſicht, die meine Collegen bei dieſer Gelegenheit kundgaben, beruhte offenbar auf vertraulicher Verſtändi¬ gung zwiſchen ihnen und einflußreichen Parlamentariern, während mir gegenüber kein Einziger von den letztern auch nur eine Aus¬ ſprache verſucht hatte. Es ſchien, daß man ſich über die Theilung meiner Erbſchaft bereits verſtändigt hatte.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/210>, abgerufen am 21.11.2024.