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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Siebenundzwanzigstes Kapitel: Die Ressorts.
dieser postalische Erlaß durch Militärberichte zu seiner Kenntniß
gekommen war. Die Farbe der empfohlenen Blätter allein hätte
genügt, um Stephan bei Wilhelm I. in Ungnade zu bringen; noch
verstimmender aber wirkte die Berufung auf ein Mitglied der könig¬
lichen Familie und grade der Frau Kronprinzessin. Ich stellte den
Frieden mit Sr. Majestät her. Das Bedürfniß hoher Anerkennung
ist eins der Passiva, die auf den meisten ungewöhnlichen Begabungen
lasten. Ich nahm an, daß die Schwächen, welche Stephan aus
seinen Anfängen in seine höhern Stellungen hinübergebracht hatte,
je älter und je vornehmer er werde, desto mehr von ihm abfallen
würden. Ich kann nur wünschen, daß er in seinem Amte alt werde
und gesund bleibe, und würde seinen Verlust für schwer ersetzlich
halten1), vermuthe aber, daß auch er bei meinem Abgange zu denen
gehörte, welche eine Erleichterung zu empfinden glaubten. Ich bin
stets der Meinung gewesen, daß der Transport- und Correspondenz-
Verkehr zu dem Staatszwecke beizusteuern habe und diese Beisteuer in
der Porto- und Frachtvergütung einzubegreifen sei. Stephan ist mehr
Ressortpatriot und als solcher allerdings nicht nur seinem Ressort
und dessen Beamten, sondern auch dem Reiche in einem Maße nützlich
gewesen, das für jeden Nachfolger schwer erreichbar sein wird. Ich
bin seinen Eigenmächtigkeiten stets mit dem Wohlwollen entgegen
getreten, das die Achtung vor seiner eminenten Begabung mir ein¬
flößte, auch wenn sie in meine Competenz als Kanzler und stimm¬
führender Vertreter Preußens einschnitten, oder er durch seine Vor¬
liebe für Prachtbauten die finanziellen Ergebnisse schädigte.


1) Stephan starb 8. April 1897.

Siebenundzwanzigſtes Kapitel: Die Reſſorts.
dieſer poſtaliſche Erlaß durch Militärberichte zu ſeiner Kenntniß
gekommen war. Die Farbe der empfohlenen Blätter allein hätte
genügt, um Stephan bei Wilhelm I. in Ungnade zu bringen; noch
verſtimmender aber wirkte die Berufung auf ein Mitglied der könig¬
lichen Familie und grade der Frau Kronprinzeſſin. Ich ſtellte den
Frieden mit Sr. Majeſtät her. Das Bedürfniß hoher Anerkennung
iſt eins der Paſſiva, die auf den meiſten ungewöhnlichen Begabungen
laſten. Ich nahm an, daß die Schwächen, welche Stephan aus
ſeinen Anfängen in ſeine höhern Stellungen hinübergebracht hatte,
je älter und je vornehmer er werde, deſto mehr von ihm abfallen
würden. Ich kann nur wünſchen, daß er in ſeinem Amte alt werde
und geſund bleibe, und würde ſeinen Verluſt für ſchwer erſetzlich
halten1), vermuthe aber, daß auch er bei meinem Abgange zu denen
gehörte, welche eine Erleichterung zu empfinden glaubten. Ich bin
ſtets der Meinung geweſen, daß der Transport- und Correſpondenz-
Verkehr zu dem Staatszwecke beizuſteuern habe und dieſe Beiſteuer in
der Porto- und Frachtvergütung einzubegreifen ſei. Stephan iſt mehr
Reſſortpatriot und als ſolcher allerdings nicht nur ſeinem Reſſort
und deſſen Beamten, ſondern auch dem Reiche in einem Maße nützlich
geweſen, das für jeden Nachfolger ſchwer erreichbar ſein wird. Ich
bin ſeinen Eigenmächtigkeiten ſtets mit dem Wohlwollen entgegen
getreten, das die Achtung vor ſeiner eminenten Begabung mir ein¬
flößte, auch wenn ſie in meine Competenz als Kanzler und ſtimm¬
führender Vertreter Preußens einſchnitten, oder er durch ſeine Vor¬
liebe für Prachtbauten die finanziellen Ergebniſſe ſchädigte.


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[210/0234] Siebenundzwanzigſtes Kapitel: Die Reſſorts. dieſer poſtaliſche Erlaß durch Militärberichte zu ſeiner Kenntniß gekommen war. Die Farbe der empfohlenen Blätter allein hätte genügt, um Stephan bei Wilhelm I. in Ungnade zu bringen; noch verſtimmender aber wirkte die Berufung auf ein Mitglied der könig¬ lichen Familie und grade der Frau Kronprinzeſſin. Ich ſtellte den Frieden mit Sr. Majeſtät her. Das Bedürfniß hoher Anerkennung iſt eins der Paſſiva, die auf den meiſten ungewöhnlichen Begabungen laſten. Ich nahm an, daß die Schwächen, welche Stephan aus ſeinen Anfängen in ſeine höhern Stellungen hinübergebracht hatte, je älter und je vornehmer er werde, deſto mehr von ihm abfallen würden. Ich kann nur wünſchen, daß er in ſeinem Amte alt werde und geſund bleibe, und würde ſeinen Verluſt für ſchwer erſetzlich halten 1), vermuthe aber, daß auch er bei meinem Abgange zu denen gehörte, welche eine Erleichterung zu empfinden glaubten. Ich bin ſtets der Meinung geweſen, daß der Transport- und Correſpondenz- Verkehr zu dem Staatszwecke beizuſteuern habe und dieſe Beiſteuer in der Porto- und Frachtvergütung einzubegreifen ſei. Stephan iſt mehr Reſſortpatriot und als ſolcher allerdings nicht nur ſeinem Reſſort und deſſen Beamten, ſondern auch dem Reiche in einem Maße nützlich geweſen, das für jeden Nachfolger ſchwer erreichbar ſein wird. Ich bin ſeinen Eigenmächtigkeiten ſtets mit dem Wohlwollen entgegen getreten, das die Achtung vor ſeiner eminenten Begabung mir ein¬ flößte, auch wenn ſie in meine Competenz als Kanzler und ſtimm¬ führender Vertreter Preußens einſchnitten, oder er durch ſeine Vor¬ liebe für Prachtbauten die finanziellen Ergebniſſe ſchädigte. 1) Stephan ſtarb 8. April 1897.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/234>, abgerufen am 21.11.2024.