Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund. Aufnahme und die Bereitwilligkeit, mit uns abzuschließen. Ummich der Zustimmung meines allergnädigsten Herrn zu versichern, hatte ich schon in Gastein täglich einen Theil der für die Cur be¬ stimmten Zeit am Schreibtische zugebracht und auseinandergesetzt, daß es nothwendig sei, den Kreis der möglichen gegen uns ge¬ richteten Coalitionen einzuschränken, und daß der zweckmäßigste Weg dazu ein Bündniß mit Oestreich sei. Ich hatte freilich wenig Hoffnung, daß der todte Buchstabe meiner Abhandlungen die mehr auf Gemüthsregungen als auf politischer Erwägung beruhende Auf¬ fassung Sr. Majestät ändern werde. Der Abschluß eines Vertrages, dessen wenn auch defensives doch kriegerisches Ziel ein Ausdruck des Mißtrauens gegen den Freund und Neffen war, mit dem er eben in Alexandrowo von Neuem unter Thränen und in der vollsten Aufrichtigkeit des Herzens die Versicherungen der alther¬ gebrachten Freundschaft ausgetauscht hatte, lief zu sehr gegen die ritterlichen Gefühle, mit denen der Kaiser sein Verhältniß zu einem ebenbürtigen Freunde auffaßte. Ich zweifelte zwar nicht, daß die gleiche rückhaltlose Ehrlichkeit des Empfindens bei dem Kaiser Alexander vorhanden war; aber ich wußte, daß er nicht die Schärfe des politischen Urtheils und nicht die Arbeitsamkeit besaß, die ihn dauernd gegen die unaufrichtigen Einflüsse seiner Um¬ gebung gedeckt hätten, auch nicht die gewissenhafte Zuverlässigkeit in persönlichen Beziehungen, die meinen hohen Herrn auszeichnete. Die Offenheit, die der Kaiser Nicolaus im Guten wie im Bösen bewiesen hatte, war auf die weichere Natur seines Nachfolgers nicht vollständig übergegangen; auch weiblichen Einflüssen gegen¬ über war die Unabhängigkeit des Sohnes nicht auf derselben Höhe wie die des Vaters. Nun ist aber die einzige Bürgschaft für die Dauer der russischen Freundschaft die Persönlichkeit des regirenden Kaisers, und sobald letztre eine minder sichre Unterlage gewährt, als Alexander I., der 1813 eine auf demselben Throne nicht immer vorauszusetzende Treue gegen das preußische Königshaus bewährt hat, wird man auf das russische Bündniß, wenn man seiner Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund. Aufnahme und die Bereitwilligkeit, mit uns abzuſchließen. Ummich der Zuſtimmung meines allergnädigſten Herrn zu verſichern, hatte ich ſchon in Gaſtein täglich einen Theil der für die Cur be¬ ſtimmten Zeit am Schreibtiſche zugebracht und auseinandergeſetzt, daß es nothwendig ſei, den Kreis der möglichen gegen uns ge¬ richteten Coalitionen einzuſchränken, und daß der zweckmäßigſte Weg dazu ein Bündniß mit Oeſtreich ſei. Ich hatte freilich wenig Hoffnung, daß der todte Buchſtabe meiner Abhandlungen die mehr auf Gemüthsregungen als auf politiſcher Erwägung beruhende Auf¬ faſſung Sr. Majeſtät ändern werde. Der Abſchluß eines Vertrages, deſſen wenn auch defenſives doch kriegeriſches Ziel ein Ausdruck des Mißtrauens gegen den Freund und Neffen war, mit dem er eben in Alexandrowo von Neuem unter Thränen und in der vollſten Aufrichtigkeit des Herzens die Verſicherungen der alther¬ gebrachten Freundſchaft ausgetauſcht hatte, lief zu ſehr gegen die ritterlichen Gefühle, mit denen der Kaiſer ſein Verhältniß zu einem ebenbürtigen Freunde auffaßte. Ich zweifelte zwar nicht, daß die gleiche rückhaltloſe Ehrlichkeit des Empfindens bei dem Kaiſer Alexander vorhanden war; aber ich wußte, daß er nicht die Schärfe des politiſchen Urtheils und nicht die Arbeitſamkeit beſaß, die ihn dauernd gegen die unaufrichtigen Einflüſſe ſeiner Um¬ gebung gedeckt hätten, auch nicht die gewiſſenhafte Zuverläſſigkeit in perſönlichen Beziehungen, die meinen hohen Herrn auszeichnete. Die Offenheit, die der Kaiſer Nicolaus im Guten wie im Böſen bewieſen hatte, war auf die weichere Natur ſeines Nachfolgers nicht vollſtändig übergegangen; auch weiblichen Einflüſſen gegen¬ über war die Unabhängigkeit des Sohnes nicht auf derſelben Höhe wie die des Vaters. Nun iſt aber die einzige Bürgſchaft für die Dauer der ruſſiſchen Freundſchaft die Perſönlichkeit des regirenden Kaiſers, und ſobald letztre eine minder ſichre Unterlage gewährt, als Alexander I., der 1813 eine auf demſelben Throne nicht immer vorauszuſetzende Treue gegen das preußiſche Königshaus bewährt hat, wird man auf das ruſſiſche Bündniß, wenn man ſeiner <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0270" n="246"/><fw place="top" type="header">Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.<lb/></fw>Aufnahme und die Bereitwilligkeit, mit uns abzuſchließen. Um<lb/> mich der Zuſtimmung meines allergnädigſten Herrn zu verſichern,<lb/> hatte ich ſchon in Gaſtein täglich einen Theil der für die Cur be¬<lb/> ſtimmten Zeit am Schreibtiſche zugebracht und auseinandergeſetzt,<lb/> daß es nothwendig ſei, den Kreis der möglichen gegen uns ge¬<lb/> richteten Coalitionen einzuſchränken, und daß der zweckmäßigſte Weg<lb/> dazu ein Bündniß mit Oeſtreich ſei. 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Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.
Aufnahme und die Bereitwilligkeit, mit uns abzuſchließen. Um
mich der Zuſtimmung meines allergnädigſten Herrn zu verſichern,
hatte ich ſchon in Gaſtein täglich einen Theil der für die Cur be¬
ſtimmten Zeit am Schreibtiſche zugebracht und auseinandergeſetzt,
daß es nothwendig ſei, den Kreis der möglichen gegen uns ge¬
richteten Coalitionen einzuſchränken, und daß der zweckmäßigſte Weg
dazu ein Bündniß mit Oeſtreich ſei. Ich hatte freilich wenig
Hoffnung, daß der todte Buchſtabe meiner Abhandlungen die mehr
auf Gemüthsregungen als auf politiſcher Erwägung beruhende Auf¬
faſſung Sr. Majeſtät ändern werde. Der Abſchluß eines Vertrages,
deſſen wenn auch defenſives doch kriegeriſches Ziel ein Ausdruck
des Mißtrauens gegen den Freund und Neffen war, mit dem
er eben in Alexandrowo von Neuem unter Thränen und in der
vollſten Aufrichtigkeit des Herzens die Verſicherungen der alther¬
gebrachten Freundſchaft ausgetauſcht hatte, lief zu ſehr gegen
die ritterlichen Gefühle, mit denen der Kaiſer ſein Verhältniß zu
einem ebenbürtigen Freunde auffaßte. Ich zweifelte zwar nicht,
daß die gleiche rückhaltloſe Ehrlichkeit des Empfindens bei dem
Kaiſer Alexander vorhanden war; aber ich wußte, daß er nicht die
Schärfe des politiſchen Urtheils und nicht die Arbeitſamkeit beſaß,
die ihn dauernd gegen die unaufrichtigen Einflüſſe ſeiner Um¬
gebung gedeckt hätten, auch nicht die gewiſſenhafte Zuverläſſigkeit
in perſönlichen Beziehungen, die meinen hohen Herrn auszeichnete.
Die Offenheit, die der Kaiſer Nicolaus im Guten wie im Böſen
bewieſen hatte, war auf die weichere Natur ſeines Nachfolgers
nicht vollſtändig übergegangen; auch weiblichen Einflüſſen gegen¬
über war die Unabhängigkeit des Sohnes nicht auf derſelben Höhe
wie die des Vaters. Nun iſt aber die einzige Bürgſchaft für die
Dauer der ruſſiſchen Freundſchaft die Perſönlichkeit des regirenden
Kaiſers, und ſobald letztre eine minder ſichre Unterlage gewährt,
als Alexander I., der 1813 eine auf demſelben Throne nicht immer
vorauszuſetzende Treue gegen das preußiſche Königshaus bewährt
hat, wird man auf das ruſſiſche Bündniß, wenn man ſeiner
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