Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund. einen künstlichen Haß gegen alles Deutsche geschaffen und genährthat, mit dem die Dynastie rechnen muß, auch wenn der Kaiser die deutsche Freundschaft pflegen will. Doch dürfte die Feindschaft der russischen Massen gegen das Deutschthum kaum schärfer zugespitzt sein, wie die der Czechen in Böhmen und Mähren, der Slowenen in dem frühern deutschen Bundesgebiete und der Polen in Galizien. Kurz, wenn ich in der Wahl zwischen dem russischen und dem öst¬ reichischen Bündniß das letztre vorgezogen habe, so bin ich keines¬ wegs blind gewesen gegen die Zweifel, welche die Wahl erschwerten. Ich habe die Pflege nachbarlicher Beziehungen zu Rußland neben unserm defensiven Bunde mit Oestreich nach wie vor für geboten angesehn, denn eine sichre Assecuranz gegen einen Schiffbruch der gewählten Combination ist für Deutschland nicht vorhanden, wohl aber die Möglichkeit, antideutsche Belleitäten in Oestreich-Ungarn in Schach zu halten, so lange die deutsche Politik sich die Brücke, die nach Petersburg führt, nicht abbricht und keinen Riß zwischen Ru߬ land und uns herstellt, der sich nicht überbrücken ließe. So lange ein solcher unheilbarer Riß nicht vorhanden ist, wird es für Wien möglich bleiben, die dem deutschen Bündnisse feindlichen oder frem¬ den Elemente im Zaume zu halten. Wenn aber der Bruch zwischen uns und Rußland, schon die Entfremdung, unheilbar erschiene, würden auch in Wien die Ansprüche wachsen, die man an die Dienste des deutschen Bundesgenossen glauben würde stellen zu können, erstens in Erweiterung des casus foederis, der sich bisher nach dem veröffentlichten Texte doch nur auf die Abwehr eines russischen Angriffes auf Oestreich erstreckt, und zweitens in dem Verlangen, dem bezeichneten casus foederis die Vertretung öst¬ reichischer Interessen im Balkan und im Orient zu substituiren, was selbst in unsrer Presse schon mit Erfolg versucht worden ist. Es ist natürlich, daß die Bewohner des Donaubeckens Bedürfnisse und Pläne haben, die sich über die heutigen Grenzen der östreichisch¬ ungarischen Monarchie hinaus erstrecken; und die deutsche Reichs¬ verfassung zeigt den Weg an, auf dem Oestreich eine Versöhnung Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund. einen künſtlichen Haß gegen alles Deutſche geſchaffen und genährthat, mit dem die Dynaſtie rechnen muß, auch wenn der Kaiſer die deutſche Freundſchaft pflegen will. Doch dürfte die Feindſchaft der ruſſiſchen Maſſen gegen das Deutſchthum kaum ſchärfer zugeſpitzt ſein, wie die der Czechen in Böhmen und Mähren, der Slowenen in dem frühern deutſchen Bundesgebiete und der Polen in Galizien. Kurz, wenn ich in der Wahl zwiſchen dem ruſſiſchen und dem öſt¬ reichiſchen Bündniß das letztre vorgezogen habe, ſo bin ich keines¬ wegs blind geweſen gegen die Zweifel, welche die Wahl erſchwerten. Ich habe die Pflege nachbarlicher Beziehungen zu Rußland neben unſerm defenſiven Bunde mit Oeſtreich nach wie vor für geboten angeſehn, denn eine ſichre Aſſecuranz gegen einen Schiffbruch der gewählten Combination iſt für Deutſchland nicht vorhanden, wohl aber die Möglichkeit, antideutſche Belleitäten in Oeſtreich-Ungarn in Schach zu halten, ſo lange die deutſche Politik ſich die Brücke, die nach Petersburg führt, nicht abbricht und keinen Riß zwiſchen Ru߬ land und uns herſtellt, der ſich nicht überbrücken ließe. So lange ein ſolcher unheilbarer Riß nicht vorhanden iſt, wird es für Wien möglich bleiben, die dem deutſchen Bündniſſe feindlichen oder frem¬ den Elemente im Zaume zu halten. Wenn aber der Bruch zwiſchen uns und Rußland, ſchon die Entfremdung, unheilbar erſchiene, würden auch in Wien die Anſprüche wachſen, die man an die Dienſte des deutſchen Bundesgenoſſen glauben würde ſtellen zu können, erſtens in Erweiterung des casus foederis, der ſich bisher nach dem veröffentlichten Texte doch nur auf die Abwehr eines ruſſiſchen Angriffes auf Oeſtreich erſtreckt, und zweitens in dem Verlangen, dem bezeichneten casus foederis die Vertretung öſt¬ reichiſcher Intereſſen im Balkan und im Orient zu ſubſtituiren, was ſelbſt in unſrer Preſſe ſchon mit Erfolg verſucht worden iſt. Es iſt natürlich, daß die Bewohner des Donaubeckens Bedürfniſſe und Pläne haben, die ſich über die heutigen Grenzen der öſtreichiſch¬ ungariſchen Monarchie hinaus erſtrecken; und die deutſche Reichs¬ verfaſſung zeigt den Weg an, auf dem Oeſtreich eine Verſöhnung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0276" n="252"/><fw place="top" type="header">Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.<lb/></fw> einen künſtlichen Haß gegen alles Deutſche geſchaffen und genährt<lb/> hat, mit dem die Dynaſtie rechnen muß, auch wenn der Kaiſer die<lb/> deutſche Freundſchaft pflegen will. 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Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.
einen künſtlichen Haß gegen alles Deutſche geſchaffen und genährt
hat, mit dem die Dynaſtie rechnen muß, auch wenn der Kaiſer die
deutſche Freundſchaft pflegen will. Doch dürfte die Feindſchaft der
ruſſiſchen Maſſen gegen das Deutſchthum kaum ſchärfer zugeſpitzt
ſein, wie die der Czechen in Böhmen und Mähren, der Slowenen
in dem frühern deutſchen Bundesgebiete und der Polen in Galizien.
Kurz, wenn ich in der Wahl zwiſchen dem ruſſiſchen und dem öſt¬
reichiſchen Bündniß das letztre vorgezogen habe, ſo bin ich keines¬
wegs blind geweſen gegen die Zweifel, welche die Wahl erſchwerten.
Ich habe die Pflege nachbarlicher Beziehungen zu Rußland neben
unſerm defenſiven Bunde mit Oeſtreich nach wie vor für geboten
angeſehn, denn eine ſichre Aſſecuranz gegen einen Schiffbruch der
gewählten Combination iſt für Deutſchland nicht vorhanden, wohl
aber die Möglichkeit, antideutſche Belleitäten in Oeſtreich-Ungarn in
Schach zu halten, ſo lange die deutſche Politik ſich die Brücke, die
nach Petersburg führt, nicht abbricht und keinen Riß zwiſchen Ru߬
land und uns herſtellt, der ſich nicht überbrücken ließe. So lange
ein ſolcher unheilbarer Riß nicht vorhanden iſt, wird es für Wien
möglich bleiben, die dem deutſchen Bündniſſe feindlichen oder frem¬
den Elemente im Zaume zu halten. Wenn aber der Bruch zwiſchen
uns und Rußland, ſchon die Entfremdung, unheilbar erſchiene,
würden auch in Wien die Anſprüche wachſen, die man an die
Dienſte des deutſchen Bundesgenoſſen glauben würde ſtellen zu
können, erſtens in Erweiterung des casus foederis, der ſich bisher
nach dem veröffentlichten Texte doch nur auf die Abwehr eines
ruſſiſchen Angriffes auf Oeſtreich erſtreckt, und zweitens in dem
Verlangen, dem bezeichneten casus foederis die Vertretung öſt¬
reichiſcher Intereſſen im Balkan und im Orient zu ſubſtituiren,
was ſelbſt in unſrer Preſſe ſchon mit Erfolg verſucht worden iſt.
Es iſt natürlich, daß die Bewohner des Donaubeckens Bedürfniſſe
und Pläne haben, die ſich über die heutigen Grenzen der öſtreichiſch¬
ungariſchen Monarchie hinaus erſtrecken; und die deutſche Reichs¬
verfaſſung zeigt den Weg an, auf dem Oeſtreich eine Verſöhnung
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