Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holstein. Stimme hat in London und Petersburg das Gewicht, was ihr seit20 Jahren verloren war; und das acht Monate, nachdem Sie mir die gefährlichste Isolirung wegen unsrer polnischen Politik prophe¬ zeiten. Wenn wir jetzt den Großmächten den Rücken drehn, um uns der in dem Netze der Vereinsdemokratie gefangenen Politik der Kleinstaaten in die Arme zu werfen, so wäre das die elendeste Lage, in die man die Monarchie nach Innen und Außen bringen könnte. Wir würden geschoben statt zu schieben; wir würden uns auf Elemente stützen, die wir nicht beherrschen und die uns noth¬ wendig feindlich sind, denen wir uns aber auf Gnade oder Ungnade zu ergeben hätten. Sie glauben, daß in der ,deutschen öffentlichen Meinung', Kammern, Zeitungen etc. irgend etwas steckt, was uns in einer Unions- oder Hegemonie-Politik stützen und helfen könnte. Ich halte das für einen radicalen Irrthum, für ein Phantasie¬ gebilde. Unsre Stärkung kann nicht aus Kammern- und Pre߬ politik, sondern nur aus waffenmäßiger Großmachtspolitik hervor¬ gehn, und wir haben nicht nachhaltiger Kraft genug, um sie in falscher Front und für Phrasen und Augustenburg zu verpuffen. Sie überschätzen die ganze dänische Frage und lassen sich dadurch blenden, daß dieselbe das allgemeine Feldgeschrei der Demokratie geworden ist, die über das Sprachrohr von Presse und Vereinen disponirt und diese an sich mittelmäßige Frage zum Moussiren bringt. Vor zwölf Monaten hieß es zweijährige Dienstzeit, vor acht Monaten Polen, jetzt Schleswig-Holstein. Wie sahn Sie selbst die europäische Lage im Sommer an? Sie fürchteten Ge¬ fahren jeder Art für uns und haben in Kissingen kein Hehl ge¬ macht über die Unfähigkeit unsrer Politik; sind denn nun diese Gefahren durch den Tod des Königs von Dänemark plötzlich ge¬ schwunden und sollen wir jetzt an der Seite von Pfordten, Coburg und Augustenburg, gestützt auf alle Schwätzer und Schwindler der Bewegungspartei, plötzlich stark genug sein, alle vier Gro߬ mächte zu brüskiren, und sind letztre plötzlich so gutmüthig oder so machtlos geworden, daß wir uns dreist in jede Verlegen¬ Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. Stimme hat in London und Petersburg das Gewicht, was ihr ſeit20 Jahren verloren war; und das acht Monate, nachdem Sie mir die gefährlichſte Iſolirung wegen unſrer polniſchen Politik prophe¬ zeiten. Wenn wir jetzt den Großmächten den Rücken drehn, um uns der in dem Netze der Vereinsdemokratie gefangenen Politik der Kleinſtaaten in die Arme zu werfen, ſo wäre das die elendeſte Lage, in die man die Monarchie nach Innen und Außen bringen könnte. Wir würden geſchoben ſtatt zu ſchieben; wir würden uns auf Elemente ſtützen, die wir nicht beherrſchen und die uns noth¬ wendig feindlich ſind, denen wir uns aber auf Gnade oder Ungnade zu ergeben hätten. Sie glauben, daß in der ‚deutſchen öffentlichen Meinung‘, Kammern, Zeitungen ꝛc. irgend etwas ſteckt, was uns in einer Unions- oder Hegemonie-Politik ſtützen und helfen könnte. Ich halte das für einen radicalen Irrthum, für ein Phantaſie¬ gebilde. Unſre Stärkung kann nicht aus Kammern- und Pre߬ politik, ſondern nur aus waffenmäßiger Großmachtspolitik hervor¬ gehn, und wir haben nicht nachhaltiger Kraft genug, um ſie in falſcher Front und für Phraſen und Auguſtenburg zu verpuffen. Sie überſchätzen die ganze däniſche Frage und laſſen ſich dadurch blenden, daß dieſelbe das allgemeine Feldgeſchrei der Demokratie geworden iſt, die über das Sprachrohr von Preſſe und Vereinen diſponirt und dieſe an ſich mittelmäßige Frage zum Mouſſiren bringt. Vor zwölf Monaten hieß es zweijährige Dienſtzeit, vor acht Monaten Polen, jetzt Schleswig-Holſtein. Wie ſahn Sie ſelbſt die europäiſche Lage im Sommer an? Sie fürchteten Ge¬ fahren jeder Art für uns und haben in Kiſſingen kein Hehl ge¬ macht über die Unfähigkeit unſrer Politik; ſind denn nun dieſe Gefahren durch den Tod des Königs von Dänemark plötzlich ge¬ ſchwunden und ſollen wir jetzt an der Seite von Pfordten, Coburg und Auguſtenburg, geſtützt auf alle Schwätzer und Schwindler der Bewegungspartei, plötzlich ſtark genug ſein, alle vier Gro߬ mächte zu brüskiren, und ſind letztre plötzlich ſo gutmüthig oder ſo machtlos geworden, daß wir uns dreiſt in jede Verlegen¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0028" n="4"/><fw place="top" type="header">Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.<lb/></fw>Stimme hat in London und Petersburg das Gewicht, was ihr ſeit<lb/> 20 Jahren verloren war; und das acht Monate, nachdem Sie mir<lb/> die gefährlichſte Iſolirung wegen unſrer polniſchen Politik prophe¬<lb/> zeiten. 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Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.
Stimme hat in London und Petersburg das Gewicht, was ihr ſeit
20 Jahren verloren war; und das acht Monate, nachdem Sie mir
die gefährlichſte Iſolirung wegen unſrer polniſchen Politik prophe¬
zeiten. Wenn wir jetzt den Großmächten den Rücken drehn, um
uns der in dem Netze der Vereinsdemokratie gefangenen Politik
der Kleinſtaaten in die Arme zu werfen, ſo wäre das die elendeſte
Lage, in die man die Monarchie nach Innen und Außen bringen
könnte. Wir würden geſchoben ſtatt zu ſchieben; wir würden uns
auf Elemente ſtützen, die wir nicht beherrſchen und die uns noth¬
wendig feindlich ſind, denen wir uns aber auf Gnade oder Ungnade
zu ergeben hätten. Sie glauben, daß in der ‚deutſchen öffentlichen
Meinung‘, Kammern, Zeitungen ꝛc. irgend etwas ſteckt, was uns
in einer Unions- oder Hegemonie-Politik ſtützen und helfen könnte.
Ich halte das für einen radicalen Irrthum, für ein Phantaſie¬
gebilde. Unſre Stärkung kann nicht aus Kammern- und Pre߬
politik, ſondern nur aus waffenmäßiger Großmachtspolitik hervor¬
gehn, und wir haben nicht nachhaltiger Kraft genug, um ſie in
falſcher Front und für Phraſen und Auguſtenburg zu verpuffen.
Sie überſchätzen die ganze däniſche Frage und laſſen ſich dadurch
blenden, daß dieſelbe das allgemeine Feldgeſchrei der Demokratie
geworden iſt, die über das Sprachrohr von Preſſe und Vereinen
diſponirt und dieſe an ſich mittelmäßige Frage zum Mouſſiren
bringt. Vor zwölf Monaten hieß es zweijährige Dienſtzeit, vor
acht Monaten Polen, jetzt Schleswig-Holſtein. Wie ſahn Sie
ſelbſt die europäiſche Lage im Sommer an? Sie fürchteten Ge¬
fahren jeder Art für uns und haben in Kiſſingen kein Hehl ge¬
macht über die Unfähigkeit unſrer Politik; ſind denn nun dieſe
Gefahren durch den Tod des Königs von Dänemark plötzlich ge¬
ſchwunden und ſollen wir jetzt an der Seite von Pfordten, Coburg
und Auguſtenburg, geſtützt auf alle Schwätzer und Schwindler
der Bewegungspartei, plötzlich ſtark genug ſein, alle vier Gro߬
mächte zu brüskiren, und ſind letztre plötzlich ſo gutmüthig oder
ſo machtlos geworden, daß wir uns dreiſt in jede Verlegen¬
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