Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Zweiunddreißigstes Kapitel: Kaiser Wilhelm I. Vaters. Der Einfluß seiner Gemalin brachte ihn in reifernJahren in Opposition gegen das traditionelle Prinzip, und die Un¬ fähigkeit seiner Minister der Neuen Aera und das überstürzende Ungeschick der liberalen Parlamentarier in der Conflictszeit weckte in ihm wiederum den alten Pulsschlag des preußischen Prinzen und Offiziers, zumal er mit der Frage, ob die Bahn, die er ein¬ schlug, gefährlich sei, niemals rechnete. Wenn er überzeugt war, daß Pflicht und Ehre, oder eins von beiden, ihm geboten, einen Weg zu betreten, so ging er ihn ohne Rücksicht auf die Gefahren, denen er ausgesetzt sein konnte, in der Politik ebenso wie auf dem Schlachtfelde. Einzuschüchtern war er nicht. Die Königin war es, und das Bedürfniß des häuslichen Friedens mit ihr war ein un¬ berechenbares Gewicht, aber parlamentarische Grobheiten oder Droh¬ ungen hatten nur die Wirkung, seine Entschlossenheit im Wider¬ stande zu stärken. Mit dieser Eigenschaft hatten die Minister der Neuen Aera und ihre parlamentarischen Stützen und Gefolgschaften niemals gerechnet. Graf Schwerin war in seinem Mißverstehn dieses furchtlosen Offiziers auf dem Throne so weit gegangen, zu glauben, ihn durch Ueberhebung und Mangel an Höflichkeit ein¬ schüchtern zu können1). In diesen Vorgängen lag der Wendepunkt des Einflusses der Minister der Neuen Aera, der Altliberalen und der Bethmann-Hollwegschen Partei, von dem ab die Bewegung rückläufig wurde, die Leitung in Roons Hände fiel und der Mi¬ nisterpräsident Fürst Hohenzollern mit seinem Adjuncten Auerswald meinen Eintritt in das Ministerium wünschten. Die Königin und Schleinitz verhinderten ihn einstweilen noch, als ich im Früh¬ jahr 1860 in Berlin war, aber die Aeußerlichkeiten, die zwischen dem Herrn und seinen Ministern vorgekommen waren, hatten in die gegenseitigen Beziehungen doch einen Riß gebracht, der nicht mehr vernarbte. 1) S. Bd. I 212.
Zweiunddreißigſtes Kapitel: Kaiſer Wilhelm I. Vaters. Der Einfluß ſeiner Gemalin brachte ihn in reifernJahren in Oppoſition gegen das traditionelle Prinzip, und die Un¬ fähigkeit ſeiner Miniſter der Neuen Aera und das überſtürzende Ungeſchick der liberalen Parlamentarier in der Conflictszeit weckte in ihm wiederum den alten Pulsſchlag des preußiſchen Prinzen und Offiziers, zumal er mit der Frage, ob die Bahn, die er ein¬ ſchlug, gefährlich ſei, niemals rechnete. Wenn er überzeugt war, daß Pflicht und Ehre, oder eins von beiden, ihm geboten, einen Weg zu betreten, ſo ging er ihn ohne Rückſicht auf die Gefahren, denen er ausgeſetzt ſein konnte, in der Politik ebenſo wie auf dem Schlachtfelde. Einzuſchüchtern war er nicht. Die Königin war es, und das Bedürfniß des häuslichen Friedens mit ihr war ein un¬ berechenbares Gewicht, aber parlamentariſche Grobheiten oder Droh¬ ungen hatten nur die Wirkung, ſeine Entſchloſſenheit im Wider¬ ſtande zu ſtärken. Mit dieſer Eigenſchaft hatten die Miniſter der Neuen Aera und ihre parlamentariſchen Stützen und Gefolgſchaften niemals gerechnet. Graf Schwerin war in ſeinem Mißverſtehn dieſes furchtloſen Offiziers auf dem Throne ſo weit gegangen, zu glauben, ihn durch Ueberhebung und Mangel an Höflichkeit ein¬ ſchüchtern zu können1). In dieſen Vorgängen lag der Wendepunkt des Einfluſſes der Miniſter der Neuen Aera, der Altliberalen und der Bethmann-Hollwegſchen Partei, von dem ab die Bewegung rückläufig wurde, die Leitung in Roons Hände fiel und der Mi¬ niſterpräſident Fürſt Hohenzollern mit ſeinem Adjuncten Auerswald meinen Eintritt in das Miniſterium wünſchten. Die Königin und Schleinitz verhinderten ihn einſtweilen noch, als ich im Früh¬ jahr 1860 in Berlin war, aber die Aeußerlichkeiten, die zwiſchen dem Herrn und ſeinen Miniſtern vorgekommen waren, hatten in die gegenſeitigen Beziehungen doch einen Riß gebracht, der nicht mehr vernarbte. 1) S. Bd. I 212.
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Zweiunddreißigſtes Kapitel: Kaiſer Wilhelm I.
Vaters. Der Einfluß ſeiner Gemalin brachte ihn in reifern
Jahren in Oppoſition gegen das traditionelle Prinzip, und die Un¬
fähigkeit ſeiner Miniſter der Neuen Aera und das überſtürzende
Ungeſchick der liberalen Parlamentarier in der Conflictszeit weckte
in ihm wiederum den alten Pulsſchlag des preußiſchen Prinzen
und Offiziers, zumal er mit der Frage, ob die Bahn, die er ein¬
ſchlug, gefährlich ſei, niemals rechnete. Wenn er überzeugt war,
daß Pflicht und Ehre, oder eins von beiden, ihm geboten, einen
Weg zu betreten, ſo ging er ihn ohne Rückſicht auf die Gefahren,
denen er ausgeſetzt ſein konnte, in der Politik ebenſo wie auf dem
Schlachtfelde. Einzuſchüchtern war er nicht. Die Königin war es,
und das Bedürfniß des häuslichen Friedens mit ihr war ein un¬
berechenbares Gewicht, aber parlamentariſche Grobheiten oder Droh¬
ungen hatten nur die Wirkung, ſeine Entſchloſſenheit im Wider¬
ſtande zu ſtärken. Mit dieſer Eigenſchaft hatten die Miniſter der
Neuen Aera und ihre parlamentariſchen Stützen und Gefolgſchaften
niemals gerechnet. Graf Schwerin war in ſeinem Mißverſtehn
dieſes furchtloſen Offiziers auf dem Throne ſo weit gegangen, zu
glauben, ihn durch Ueberhebung und Mangel an Höflichkeit ein¬
ſchüchtern zu können 1). In dieſen Vorgängen lag der Wendepunkt
des Einfluſſes der Miniſter der Neuen Aera, der Altliberalen und
der Bethmann-Hollwegſchen Partei, von dem ab die Bewegung
rückläufig wurde, die Leitung in Roons Hände fiel und der Mi¬
niſterpräſident Fürſt Hohenzollern mit ſeinem Adjuncten Auerswald
meinen Eintritt in das Miniſterium wünſchten. Die Königin und
Schleinitz verhinderten ihn einſtweilen noch, als ich im Früh¬
jahr 1860 in Berlin war, aber die Aeußerlichkeiten, die zwiſchen
dem Herrn und ſeinen Miniſtern vorgekommen waren, hatten in
die gegenſeitigen Beziehungen doch einen Riß gebracht, der nicht
mehr vernarbte.
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