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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Zweiunddreißigstes Kapitel: Kaiser Wilhelm I.
dichterische Ergießung datirte er von dem Tage vor einer Schlacht
und theilte sie brieflich mit der Unterschrift mit: Pas trop mal
a la veille d'une bataille.

Eine Eitelkeit der Art war dem Kaiser Wilhelm I. durch¬
aus fremd; dagegen war ihm die Furcht vor berechtigter
Kritik der Mit- und Nachwelt in hohem Maße eigen. Er war
darin ganz preußischer Offizier, der, sobald er durch höhern
Befehl gedeckt ist, ohne Schwanken dem sichern Tode entgegen geht,
aber durch die Furcht vor dem Tadel des Vorgesetzten und der
öffentlichen Meinung in zweifelnde Unsicherheit geräth, die ihn das
Falsche wählen läßt. Niemand hätte gewagt, ihm eine platte
Schmeichelei zu sagen. In dem Gefühle königlicher Würde würde
er gedacht haben: wenn Einer das Recht hätte, mich in's Gesicht
zu loben, so hätte er auch das Recht, mich in's Gesicht zu tadeln.
Beides gab er nicht zu.

Monarch und Parlament hatten einander in schweren innern
Kämpfen gegenseitig kennen und achten gelernt; die Ehrlichkeit der
königlichen Würde, die sichre Ruhe des Königs hatten schließlich
die Achtung auch seiner Gegner erzwungen, und der König selbst
war durch sein hohes persönliches Ehrgefühl zu einer gerechten
Beurtheilung der beiderseitigen Situationen befähigt. Das Gefühl
der Gerechtigkeit nicht blos seinen Freunden und seinen Dienern
gegenüber, sondern auch im Kampfe mit seinen Gegnern beherrschte
ihn. Er war ein gentleman ins Königliche übersetzt, ein Edel¬
mann im besten Sinne des Wortes, der sich durch keine Versuchung
der ihm zufallenden Machtvollkommenheiten von dem Satze noblesse
oblige
dispensirt fühlte; sein Verhalten in der innern wie in der
äußern Politik war den Grundsätzen des Cavaliers alter Schule
und des normalen preußischen Offiziersgefühls jederzeit unter¬
geordnet. Er hielt auf Treue und Ehre nicht nur Fürsten, sondern
auch seinen Dienern bis zum Kammerdiener gegenüber. Wenn er
durch augenblickliche Erregung seinem feinen Gefühl für königliche
Würde und Pflicht zu nah getreten war, so fand er sich schnell

Zweiunddreißigſtes Kapitel: Kaiſer Wilhelm I.
dichteriſche Ergießung datirte er von dem Tage vor einer Schlacht
und theilte ſie brieflich mit der Unterſchrift mit: Pas trop mal
à la veille d'une bataille.

Eine Eitelkeit der Art war dem Kaiſer Wilhelm I. durch¬
aus fremd; dagegen war ihm die Furcht vor berechtigter
Kritik der Mit- und Nachwelt in hohem Maße eigen. Er war
darin ganz preußiſcher Offizier, der, ſobald er durch höhern
Befehl gedeckt iſt, ohne Schwanken dem ſichern Tode entgegen geht,
aber durch die Furcht vor dem Tadel des Vorgeſetzten und der
öffentlichen Meinung in zweifelnde Unſicherheit geräth, die ihn das
Falſche wählen läßt. Niemand hätte gewagt, ihm eine platte
Schmeichelei zu ſagen. In dem Gefühle königlicher Würde würde
er gedacht haben: wenn Einer das Recht hätte, mich in's Geſicht
zu loben, ſo hätte er auch das Recht, mich in's Geſicht zu tadeln.
Beides gab er nicht zu.

Monarch und Parlament hatten einander in ſchweren innern
Kämpfen gegenſeitig kennen und achten gelernt; die Ehrlichkeit der
königlichen Würde, die ſichre Ruhe des Königs hatten ſchließlich
die Achtung auch ſeiner Gegner erzwungen, und der König ſelbſt
war durch ſein hohes perſönliches Ehrgefühl zu einer gerechten
Beurtheilung der beiderſeitigen Situationen befähigt. Das Gefühl
der Gerechtigkeit nicht blos ſeinen Freunden und ſeinen Dienern
gegenüber, ſondern auch im Kampfe mit ſeinen Gegnern beherrſchte
ihn. Er war ein gentleman ins Königliche überſetzt, ein Edel¬
mann im beſten Sinne des Wortes, der ſich durch keine Verſuchung
der ihm zufallenden Machtvollkommenheiten von dem Satze noblesse
oblige
diſpenſirt fühlte; ſein Verhalten in der innern wie in der
äußern Politik war den Grundſätzen des Cavaliers alter Schule
und des normalen preußiſchen Offiziersgefühls jederzeit unter¬
geordnet. Er hielt auf Treue und Ehre nicht nur Fürſten, ſondern
auch ſeinen Dienern bis zum Kammerdiener gegenüber. Wenn er
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[288/0312] Zweiunddreißigſtes Kapitel: Kaiſer Wilhelm I. dichteriſche Ergießung datirte er von dem Tage vor einer Schlacht und theilte ſie brieflich mit der Unterſchrift mit: Pas trop mal à la veille d'une bataille. Eine Eitelkeit der Art war dem Kaiſer Wilhelm I. durch¬ aus fremd; dagegen war ihm die Furcht vor berechtigter Kritik der Mit- und Nachwelt in hohem Maße eigen. Er war darin ganz preußiſcher Offizier, der, ſobald er durch höhern Befehl gedeckt iſt, ohne Schwanken dem ſichern Tode entgegen geht, aber durch die Furcht vor dem Tadel des Vorgeſetzten und der öffentlichen Meinung in zweifelnde Unſicherheit geräth, die ihn das Falſche wählen läßt. Niemand hätte gewagt, ihm eine platte Schmeichelei zu ſagen. In dem Gefühle königlicher Würde würde er gedacht haben: wenn Einer das Recht hätte, mich in's Geſicht zu loben, ſo hätte er auch das Recht, mich in's Geſicht zu tadeln. Beides gab er nicht zu. Monarch und Parlament hatten einander in ſchweren innern Kämpfen gegenſeitig kennen und achten gelernt; die Ehrlichkeit der königlichen Würde, die ſichre Ruhe des Königs hatten ſchließlich die Achtung auch ſeiner Gegner erzwungen, und der König ſelbſt war durch ſein hohes perſönliches Ehrgefühl zu einer gerechten Beurtheilung der beiderſeitigen Situationen befähigt. Das Gefühl der Gerechtigkeit nicht blos ſeinen Freunden und ſeinen Dienern gegenüber, ſondern auch im Kampfe mit ſeinen Gegnern beherrſchte ihn. Er war ein gentleman ins Königliche überſetzt, ein Edel¬ mann im beſten Sinne des Wortes, der ſich durch keine Verſuchung der ihm zufallenden Machtvollkommenheiten von dem Satze noblesse oblige diſpenſirt fühlte; ſein Verhalten in der innern wie in der äußern Politik war den Grundſätzen des Cavaliers alter Schule und des normalen preußiſchen Offiziersgefühls jederzeit unter¬ geordnet. Er hielt auf Treue und Ehre nicht nur Fürſten, ſondern auch ſeinen Dienern bis zum Kammerdiener gegenüber. Wenn er durch augenblickliche Erregung ſeinem feinen Gefühl für königliche Würde und Pflicht zu nah getreten war, ſo fand er ſich ſchnell

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/312>, abgerufen am 24.11.2024.