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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holstein.
in dieser Richtung entwickelte öffentliche Meinung, auch der Präsident
Ludwig von Gerlach, ein kindliches Vertrauen zu dem Beistande, den
England dem isolirten Preußen leisten würde. Viel leichter als
die englische wäre die französische Genossenschaft zu erlangen ge¬
wesen, wenn wir den Preis hätten zahlen wollen, den sie uns
voraussichtlich gekostet haben würde. Ich habe nie in der Ueber¬
zeugung geschwankt, daß Preußen, gestützt nur auf die Waffen und
Genossen von 1848, öffentliche Meinung, Landtage, Vereine, Frei¬
schaaren und die kleinen Contingente in ihrer damaligen Verfassung,
sich auf ein hoffnungsloses Beginnen eingelassen und unter den
großen Mächten nur Feinde gefunden hätte, auch in England. Ich
hätte den Minister als Schwindler und Landesverräther betrachtet,
der in die falsche Politik von 1848, 49, 50 zurückgefallen wäre,
die uns ein neues Olmütz bereiten mußte. Sobald aber Oestreich
mit uns war, schwand die Wahrscheinlichkeit einer Coalition der
andern Mächte gegen uns.

Wenn auch durch Landtagsbeschlüsse, Zeitungen und Schützen¬
feste die deutsche Einheit nicht hergestellt werden konnte, so übte
doch der Liberalismus einen Druck auf die Fürsten, der sie zu
Concessionen für das Reich geneigter machte. Die Stimmung der
Höfe schwankte zwischen dem Wunsche, dem Andringen der Liberalen
gegenüber die fürstliche Stellung in particularistischer und auto¬
kratischer Sonderpolitik zu befestigen, und der Sorge vor Friedens¬
störungen durch äußere oder innere Gewalt. An ihrer deutschen
Gesinnung ließ keine deutsche Regirung einen Zweifel, doch über
die Art, wie die deutsche Zukunft gestaltet werden sollte, stimmten
weder die Regirungen noch die Parteien überein. Es ist nicht
wahrscheinlich, daß Kaiser Wilhelm als Regent und später als
König auf dem Wege, den er zuerst unter dem Einflusse seiner
Gemalin mit der neuen Aera betreten hatte, je dahin gebracht
worden wäre, das zur Erreichung der Einheit Nothwendige zu thun,
indem er dem Bunde absagte und die preußische Armee für die
deutsche Sache einsetzte. Auf der andern Seite aber ist es auch

Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.
in dieſer Richtung entwickelte öffentliche Meinung, auch der Präſident
Ludwig von Gerlach, ein kindliches Vertrauen zu dem Beiſtande, den
England dem iſolirten Preußen leiſten würde. Viel leichter als
die engliſche wäre die franzöſiſche Genoſſenſchaft zu erlangen ge¬
weſen, wenn wir den Preis hätten zahlen wollen, den ſie uns
vorausſichtlich gekoſtet haben würde. Ich habe nie in der Ueber¬
zeugung geſchwankt, daß Preußen, geſtützt nur auf die Waffen und
Genoſſen von 1848, öffentliche Meinung, Landtage, Vereine, Frei¬
ſchaaren und die kleinen Contingente in ihrer damaligen Verfaſſung,
ſich auf ein hoffnungsloſes Beginnen eingelaſſen und unter den
großen Mächten nur Feinde gefunden hätte, auch in England. Ich
hätte den Miniſter als Schwindler und Landesverräther betrachtet,
der in die falſche Politik von 1848, 49, 50 zurückgefallen wäre,
die uns ein neues Olmütz bereiten mußte. Sobald aber Oeſtreich
mit uns war, ſchwand die Wahrſcheinlichkeit einer Coalition der
andern Mächte gegen uns.

Wenn auch durch Landtagsbeſchlüſſe, Zeitungen und Schützen¬
feſte die deutſche Einheit nicht hergeſtellt werden konnte, ſo übte
doch der Liberalismus einen Druck auf die Fürſten, der ſie zu
Conceſſionen für das Reich geneigter machte. Die Stimmung der
Höfe ſchwankte zwiſchen dem Wunſche, dem Andringen der Liberalen
gegenüber die fürſtliche Stellung in particulariſtiſcher und auto¬
kratiſcher Sonderpolitik zu befeſtigen, und der Sorge vor Friedens¬
ſtörungen durch äußere oder innere Gewalt. An ihrer deutſchen
Geſinnung ließ keine deutſche Regirung einen Zweifel, doch über
die Art, wie die deutſche Zukunft geſtaltet werden ſollte, ſtimmten
weder die Regirungen noch die Parteien überein. Es iſt nicht
wahrſcheinlich, daß Kaiſer Wilhelm als Regent und ſpäter als
König auf dem Wege, den er zuerſt unter dem Einfluſſe ſeiner
Gemalin mit der neuen Aera betreten hatte, je dahin gebracht
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[10/0034] Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. in dieſer Richtung entwickelte öffentliche Meinung, auch der Präſident Ludwig von Gerlach, ein kindliches Vertrauen zu dem Beiſtande, den England dem iſolirten Preußen leiſten würde. Viel leichter als die engliſche wäre die franzöſiſche Genoſſenſchaft zu erlangen ge¬ weſen, wenn wir den Preis hätten zahlen wollen, den ſie uns vorausſichtlich gekoſtet haben würde. Ich habe nie in der Ueber¬ zeugung geſchwankt, daß Preußen, geſtützt nur auf die Waffen und Genoſſen von 1848, öffentliche Meinung, Landtage, Vereine, Frei¬ ſchaaren und die kleinen Contingente in ihrer damaligen Verfaſſung, ſich auf ein hoffnungsloſes Beginnen eingelaſſen und unter den großen Mächten nur Feinde gefunden hätte, auch in England. Ich hätte den Miniſter als Schwindler und Landesverräther betrachtet, der in die falſche Politik von 1848, 49, 50 zurückgefallen wäre, die uns ein neues Olmütz bereiten mußte. Sobald aber Oeſtreich mit uns war, ſchwand die Wahrſcheinlichkeit einer Coalition der andern Mächte gegen uns. Wenn auch durch Landtagsbeſchlüſſe, Zeitungen und Schützen¬ feſte die deutſche Einheit nicht hergeſtellt werden konnte, ſo übte doch der Liberalismus einen Druck auf die Fürſten, der ſie zu Conceſſionen für das Reich geneigter machte. Die Stimmung der Höfe ſchwankte zwiſchen dem Wunſche, dem Andringen der Liberalen gegenüber die fürſtliche Stellung in particulariſtiſcher und auto¬ kratiſcher Sonderpolitik zu befeſtigen, und der Sorge vor Friedens¬ ſtörungen durch äußere oder innere Gewalt. An ihrer deutſchen Geſinnung ließ keine deutſche Regirung einen Zweifel, doch über die Art, wie die deutſche Zukunft geſtaltet werden ſollte, ſtimmten weder die Regirungen noch die Parteien überein. Es iſt nicht wahrſcheinlich, daß Kaiſer Wilhelm als Regent und ſpäter als König auf dem Wege, den er zuerſt unter dem Einfluſſe ſeiner Gemalin mit der neuen Aera betreten hatte, je dahin gebracht worden wäre, das zur Erreichung der Einheit Nothwendige zu thun, indem er dem Bunde abſagte und die preußiſche Armee für die deutſche Sache einſetzte. Auf der andern Seite aber iſt es auch

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/34>, abgerufen am 23.11.2024.