Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Aus der Rede vom 1. Juni 1865. Stärke des Parteihasses. Mittel, durch das es Ihnen gelingen wird, unsern constitutionellenEinrichtungen diejenige Festigkeit und weitre Ausbildung zu geben, deren sie bedürfen." -- Die Forderung für die Marine wurde abgelehnt. Es liegt im Rückblick auf diese Situation ein bedauerlicher Aus der Rede vom 1. Juni 1865. Stärke des Parteihaſſes. Mittel, durch das es Ihnen gelingen wird, unſern conſtitutionellenEinrichtungen diejenige Feſtigkeit und weitre Ausbildung zu geben, deren ſie bedürfen.“ — Die Forderung für die Marine wurde abgelehnt. Es liegt im Rückblick auf dieſe Situation ein bedauerlicher <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0045" n="21"/><fw place="top" type="header">Aus der Rede vom 1. Juni 1865. Stärke des Parteihaſſes.<lb/></fw> Mittel, durch das es Ihnen gelingen wird, unſern conſtitutionellen<lb/> Einrichtungen diejenige Feſtigkeit und weitre Ausbildung zu geben,<lb/> deren ſie bedürfen.“ —</p><lb/> <p>Die Forderung für die Marine wurde abgelehnt.</p><lb/> <p>Es liegt im Rückblick auf dieſe Situation ein bedauerlicher<lb/> Beweis, bis zu welchem Maße von Unehrlichkeit und Vaterlands¬<lb/> loſigkeit die politiſchen Parteien bei uns auf dem Wege des<lb/> Parteihaſſes gelangen. Es mag Aehnliches anderswo vorgekommen<lb/> ſein, doch weiß ich kein Land, wo das allgemeine Nationalgefühl<lb/> und die Liebe zum Geſammtvaterlande den Ausſchreitungen der<lb/> Parteileidenſchaft ſo geringe Hinderniſſe bereitet wie bei uns. Die<lb/> für apokryph gehaltene Aeußerung, welche Plutarch dem Cäſar in<lb/> den Mund legt, lieber in einem elenden Gebirgsdorfe der Erſte,<lb/> als in Rom der Zweite ſein zu wollen, hat mir immer den Ein¬<lb/> druck eines ächt deutſchen Gedankens gemacht. Nur zu viele unter<lb/> uns deuten im öffentlichen Leben ſo und ſuchen das Dörfchen, und<lb/> wenn ſie es geographiſch nicht finden können, die Fraction, reſp.<lb/> Unterfraction und Coterie, wo ſie die Erſten ſein können. Dieſe<lb/> Sinnesrichtung, die man nach Belieben Egoismus oder Unabhängig¬<lb/> keit nennen kann, hat in der ganzen deutſchen Geſchichte von den<lb/> rebelliſchen Herzogen der erſten Kaiſerzeiten bis auf die unzähligen<lb/> reichsunmittelbaren Landesherrn, Reichs-Städte, Reichs-Dörfer,<lb/> -Abteien und -Ritter und die damit verbundene Schwäche und<lb/> Wehrloſigkeit des Reiches ihre Bethätigung gefunden. Einſtweilen<lb/> findet ſie im Parteiweſen, welches die Nation zerklüftet, ſtärkern<lb/> Ausdruck als in der rechtlichen oder dynaſtiſchen Zerriſſenheit. Die<lb/> Parteien ſcheiden ſich weniger durch Programme und Prinzipien<lb/> als durch die Perſonen, welche als Condottieri an der Spitze einer<lb/> jeden ſtehn und für ſich eine möglichſt große Gefolgſchaft von<lb/> Abgeordneten und publiciſtiſchen Strebern anzuwerben ſuchen, die<lb/> hoffen, mit dem Führer oder den Führern zur Macht zu gelangen.<lb/> Prinzipielle programmatiſche Unterſchiede, durch welche die Fractionen<lb/> zu Kampf und Feindſchaft gegen einander genöthigt würden, liegen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0045]
Aus der Rede vom 1. Juni 1865. Stärke des Parteihaſſes.
Mittel, durch das es Ihnen gelingen wird, unſern conſtitutionellen
Einrichtungen diejenige Feſtigkeit und weitre Ausbildung zu geben,
deren ſie bedürfen.“ —
Die Forderung für die Marine wurde abgelehnt.
Es liegt im Rückblick auf dieſe Situation ein bedauerlicher
Beweis, bis zu welchem Maße von Unehrlichkeit und Vaterlands¬
loſigkeit die politiſchen Parteien bei uns auf dem Wege des
Parteihaſſes gelangen. Es mag Aehnliches anderswo vorgekommen
ſein, doch weiß ich kein Land, wo das allgemeine Nationalgefühl
und die Liebe zum Geſammtvaterlande den Ausſchreitungen der
Parteileidenſchaft ſo geringe Hinderniſſe bereitet wie bei uns. Die
für apokryph gehaltene Aeußerung, welche Plutarch dem Cäſar in
den Mund legt, lieber in einem elenden Gebirgsdorfe der Erſte,
als in Rom der Zweite ſein zu wollen, hat mir immer den Ein¬
druck eines ächt deutſchen Gedankens gemacht. Nur zu viele unter
uns deuten im öffentlichen Leben ſo und ſuchen das Dörfchen, und
wenn ſie es geographiſch nicht finden können, die Fraction, reſp.
Unterfraction und Coterie, wo ſie die Erſten ſein können. Dieſe
Sinnesrichtung, die man nach Belieben Egoismus oder Unabhängig¬
keit nennen kann, hat in der ganzen deutſchen Geſchichte von den
rebelliſchen Herzogen der erſten Kaiſerzeiten bis auf die unzähligen
reichsunmittelbaren Landesherrn, Reichs-Städte, Reichs-Dörfer,
-Abteien und -Ritter und die damit verbundene Schwäche und
Wehrloſigkeit des Reiches ihre Bethätigung gefunden. Einſtweilen
findet ſie im Parteiweſen, welches die Nation zerklüftet, ſtärkern
Ausdruck als in der rechtlichen oder dynaſtiſchen Zerriſſenheit. Die
Parteien ſcheiden ſich weniger durch Programme und Prinzipien
als durch die Perſonen, welche als Condottieri an der Spitze einer
jeden ſtehn und für ſich eine möglichſt große Gefolgſchaft von
Abgeordneten und publiciſtiſchen Strebern anzuwerben ſuchen, die
hoffen, mit dem Führer oder den Führern zur Macht zu gelangen.
Prinzipielle programmatiſche Unterſchiede, durch welche die Fractionen
zu Kampf und Feindſchaft gegen einander genöthigt würden, liegen
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