Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Marginal des Königs. Feindliche Haltung des Stuttgarter Hofes. Politik und gab ihre antiöstreichische Gesinnung dadurch zu er¬kennen, daß sie im Hause ihres Gesandten Herrn von Scherff mich, nicht ohne Unhöflichkeit gegen den östreichischen Präsidial-Gesandten Baron Prokesch, tendenziös auszeichnete, zu einer Zeit, wo Louis Napoleon noch Hoffnung auf ein preußisches Bündniß gegen Oest¬ reich hegte und den italienischen Krieg bereits im Sinne hatte. Ich lasse unentschieden, ob schon damals die Vorliebe für das Napoleonische Frankreich allein die Politik der Königin von Holland bestimmte, oder ob nur das unruhige Bedürfniß, überhaupt Politik zu treiben, sie zu einer Parteinahme in dem preußisch-östreichischen Streit und zu einer auffällig schlechten Behandlung meines öst¬ reichischen Collegen und Bevorzugung meiner bewog. Jedenfalls habe ich nach 1866 die mir früher so gnädige Fürstin unter den schärfsten Gegnern meiner in Voraussicht des Bruches von 1870 befolgten Politik gefunden. Im Jahre 1867 wurden wir zuerst durch amtliche französische Kundgebungen verdächtigt, Absichten auf Holland zu haben, namentlich in der Aeußerung des Ministers Rouher in einer Rede gegen Thiers, 16. März 1867, daß Frank¬ reich unser Vordringen an die "Zuider-See" nicht dulden könne. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Zuider-See von dem Franzosen selbständig entdeckt worden und sogar die Orthographie des Namens in der französischen Presse ohne fremde Hülfe richtig gegeben worden ist: man darf vermuthen, daß der Gedanke an dieses Gewässer von Holland aus dem französischen Mißtrauen suppeditirt worden war. Auch die niederländische Abstammung des Herrn Drouyn de Lhuys berechtigt mich nicht, eine so genaue Localkenntniß in der Geo¬ graphie außerhalb der französischen Grenzen bei seinem Collegen vorauszusetzen. Die Einschätzung der würtembergischen Politik in die Rhein¬ Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 4
Marginal des Königs. Feindliche Haltung des Stuttgarter Hofes. Politik und gab ihre antiöſtreichiſche Geſinnung dadurch zu er¬kennen, daß ſie im Hauſe ihres Geſandten Herrn von Scherff mich, nicht ohne Unhöflichkeit gegen den öſtreichiſchen Präſidial-Geſandten Baron Prokeſch, tendenziös auszeichnete, zu einer Zeit, wo Louis Napoleon noch Hoffnung auf ein preußiſches Bündniß gegen Oeſt¬ reich hegte und den italieniſchen Krieg bereits im Sinne hatte. Ich laſſe unentſchieden, ob ſchon damals die Vorliebe für das Napoleoniſche Frankreich allein die Politik der Königin von Holland beſtimmte, oder ob nur das unruhige Bedürfniß, überhaupt Politik zu treiben, ſie zu einer Parteinahme in dem preußiſch-öſtreichiſchen Streit und zu einer auffällig ſchlechten Behandlung meines öſt¬ reichiſchen Collegen und Bevorzugung meiner bewog. Jedenfalls habe ich nach 1866 die mir früher ſo gnädige Fürſtin unter den ſchärfſten Gegnern meiner in Vorausſicht des Bruches von 1870 befolgten Politik gefunden. Im Jahre 1867 wurden wir zuerſt durch amtliche franzöſiſche Kundgebungen verdächtigt, Abſichten auf Holland zu haben, namentlich in der Aeußerung des Miniſters Rouher in einer Rede gegen Thiers, 16. März 1867, daß Frank¬ reich unſer Vordringen an die „Zuider-See“ nicht dulden könne. Es iſt nicht wahrſcheinlich, daß die Zuider-See von dem Franzoſen ſelbſtändig entdeckt worden und ſogar die Orthographie des Namens in der franzöſiſchen Preſſe ohne fremde Hülfe richtig gegeben worden iſt: man darf vermuthen, daß der Gedanke an dieſes Gewäſſer von Holland aus dem franzöſiſchen Mißtrauen ſuppeditirt worden war. Auch die niederländiſche Abſtammung des Herrn Drouyn de Lhuys berechtigt mich nicht, eine ſo genaue Localkenntniß in der Geo¬ graphie außerhalb der franzöſiſchen Grenzen bei ſeinem Collegen vorauszuſetzen. Die Einſchätzung der würtembergiſchen Politik in die Rhein¬ Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 4
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Marginal des Königs. Feindliche Haltung des Stuttgarter Hofes.
Politik und gab ihre antiöſtreichiſche Geſinnung dadurch zu er¬
kennen, daß ſie im Hauſe ihres Geſandten Herrn von Scherff mich,
nicht ohne Unhöflichkeit gegen den öſtreichiſchen Präſidial-Geſandten
Baron Prokeſch, tendenziös auszeichnete, zu einer Zeit, wo Louis
Napoleon noch Hoffnung auf ein preußiſches Bündniß gegen Oeſt¬
reich hegte und den italieniſchen Krieg bereits im Sinne hatte.
Ich laſſe unentſchieden, ob ſchon damals die Vorliebe für das
Napoleoniſche Frankreich allein die Politik der Königin von Holland
beſtimmte, oder ob nur das unruhige Bedürfniß, überhaupt Politik
zu treiben, ſie zu einer Parteinahme in dem preußiſch-öſtreichiſchen
Streit und zu einer auffällig ſchlechten Behandlung meines öſt¬
reichiſchen Collegen und Bevorzugung meiner bewog. Jedenfalls
habe ich nach 1866 die mir früher ſo gnädige Fürſtin unter den
ſchärfſten Gegnern meiner in Vorausſicht des Bruches von 1870
befolgten Politik gefunden. Im Jahre 1867 wurden wir zuerſt
durch amtliche franzöſiſche Kundgebungen verdächtigt, Abſichten auf
Holland zu haben, namentlich in der Aeußerung des Miniſters
Rouher in einer Rede gegen Thiers, 16. März 1867, daß Frank¬
reich unſer Vordringen an die „Zuider-See“ nicht dulden könne.
Es iſt nicht wahrſcheinlich, daß die Zuider-See von dem Franzoſen
ſelbſtändig entdeckt worden und ſogar die Orthographie des Namens
in der franzöſiſchen Preſſe ohne fremde Hülfe richtig gegeben worden
iſt: man darf vermuthen, daß der Gedanke an dieſes Gewäſſer von
Holland aus dem franzöſiſchen Mißtrauen ſuppeditirt worden war.
Auch die niederländiſche Abſtammung des Herrn Drouyn de Lhuys
berechtigt mich nicht, eine ſo genaue Localkenntniß in der Geo¬
graphie außerhalb der franzöſiſchen Grenzen bei ſeinem Collegen
vorauszuſetzen.
Die Einſchätzung der würtembergiſchen Politik in die Rhein¬
bundkategorie beſtimmte mich, den Empfang des Herrn von Varn¬
büler in Nikolsburg zunächſt abzulehnen. Auch eine Unterredung
zwiſchen uns, die der Prinz Friedrich von Würtemberg, der
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