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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Diplomatische Sorgen und Erwägungen.
ich den französischen Krieg niemals gehalten, ganz abgesehn von
den Bundesgenossen, die Frankreich in dem östreichischen Revanche¬
gefühl und in dem russischen Gleichgewichtsbedürfniß finden konnte.
Mein Bestreben, diesen Krieg hinauszuschieben, bis die Wirkung
unsrer Wehrgesetzgebung und militärischen Erziehung auf alle nicht
altpreußischen Landestheile sich vollständig hätte entwickeln können,
war also natürlich, und dieses mein Ziel war 1867 bei der
Luxemburger Frage nicht annähernd erreicht. Jedes Jahr Auf¬
schub des Krieges stärkte unser Heer um mehr als 100000 gelernte
Soldaten. Bei der Indemnitätsfrage dem Könige gegenüber und
bei der Verfassungsfrage im preußischen Landtage aber stand ich
unter dem Druck des Bedürfnisses, dem Auslande keine Spur von
vorhandenen oder bevorstehenden Hemmnissen durch unsre innre
Lage, sondern nur die einige nationale Stimmung zur Anschauung
zu bringen, um so mehr, als sich nicht ermessen ließ, welche Bundes¬
genossen Frankreich im Kriege gegen uns haben werde. Die Ver¬
handlungen und Annäherungsversuche zwischen Frankreich und Oest¬
reich in Salzburg und anderswo bald nach 1866, konnten unter
Leitung des Herrn von Beust erfolgreich sein, und schon die Be¬
rufung dieses verstimmten sächsischen Ministers zur Leitung der
Wiener Politik ließ darauf schließen, daß sie die Richtung der Re¬
vanche einschlagen würde.

Die Haltung Italiens war nach der Fügsamkeit gegen Na¬
poleon, die wir 1866 kennen gelernt hatten, unberechenbar, sobald
französischer Druck stattfand. Der General Govone war, als ich
in Berlin im Frühjahr 1866 mit ihm verhandelte, erschrocken,
als ich den Wunsch äußerte, er möge zu Haus anfragen, ob wir
auch gegen Napoleonische Verstimmungen auf Italiens Vertrags¬
treue rechnen dürften. Er sagte, daß eine solche Rückfrage an
demselben Tage nach Paris telegraphirt werden würde, mit der
Anfrage, "was man antworten solle?" In der öffentlichen Meinung
Italiens konnte ich auf sichern Anhalt nicht rechnen, nach der
Haltung der italienischen Politik während des Krieges, nicht blos

Diplomatiſche Sorgen und Erwägungen.
ich den franzöſiſchen Krieg niemals gehalten, ganz abgeſehn von
den Bundesgenoſſen, die Frankreich in dem öſtreichiſchen Revanche¬
gefühl und in dem ruſſiſchen Gleichgewichtsbedürfniß finden konnte.
Mein Beſtreben, dieſen Krieg hinauszuſchieben, bis die Wirkung
unſrer Wehrgeſetzgebung und militäriſchen Erziehung auf alle nicht
altpreußiſchen Landestheile ſich vollſtändig hätte entwickeln können,
war alſo natürlich, und dieſes mein Ziel war 1867 bei der
Luxemburger Frage nicht annähernd erreicht. Jedes Jahr Auf¬
ſchub des Krieges ſtärkte unſer Heer um mehr als 100000 gelernte
Soldaten. Bei der Indemnitätsfrage dem Könige gegenüber und
bei der Verfaſſungsfrage im preußiſchen Landtage aber ſtand ich
unter dem Druck des Bedürfniſſes, dem Auslande keine Spur von
vorhandenen oder bevorſtehenden Hemmniſſen durch unſre innre
Lage, ſondern nur die einige nationale Stimmung zur Anſchauung
zu bringen, um ſo mehr, als ſich nicht ermeſſen ließ, welche Bundes¬
genoſſen Frankreich im Kriege gegen uns haben werde. Die Ver¬
handlungen und Annäherungsverſuche zwiſchen Frankreich und Oeſt¬
reich in Salzburg und anderswo bald nach 1866, konnten unter
Leitung des Herrn von Beuſt erfolgreich ſein, und ſchon die Be¬
rufung dieſes verſtimmten ſächſiſchen Miniſters zur Leitung der
Wiener Politik ließ darauf ſchließen, daß ſie die Richtung der Re¬
vanche einſchlagen würde.

Die Haltung Italiens war nach der Fügſamkeit gegen Na¬
poleon, die wir 1866 kennen gelernt hatten, unberechenbar, ſobald
franzöſiſcher Druck ſtattfand. Der General Govone war, als ich
in Berlin im Frühjahr 1866 mit ihm verhandelte, erſchrocken,
als ich den Wunſch äußerte, er möge zu Haus anfragen, ob wir
auch gegen Napoleoniſche Verſtimmungen auf Italiens Vertrags¬
treue rechnen dürften. Er ſagte, daß eine ſolche Rückfrage an
demſelben Tage nach Paris telegraphirt werden würde, mit der
Anfrage, „was man antworten ſolle?“ In der öffentlichen Meinung
Italiens konnte ich auf ſichern Anhalt nicht rechnen, nach der
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[53/0077] Diplomatiſche Sorgen und Erwägungen. ich den franzöſiſchen Krieg niemals gehalten, ganz abgeſehn von den Bundesgenoſſen, die Frankreich in dem öſtreichiſchen Revanche¬ gefühl und in dem ruſſiſchen Gleichgewichtsbedürfniß finden konnte. Mein Beſtreben, dieſen Krieg hinauszuſchieben, bis die Wirkung unſrer Wehrgeſetzgebung und militäriſchen Erziehung auf alle nicht altpreußiſchen Landestheile ſich vollſtändig hätte entwickeln können, war alſo natürlich, und dieſes mein Ziel war 1867 bei der Luxemburger Frage nicht annähernd erreicht. Jedes Jahr Auf¬ ſchub des Krieges ſtärkte unſer Heer um mehr als 100000 gelernte Soldaten. Bei der Indemnitätsfrage dem Könige gegenüber und bei der Verfaſſungsfrage im preußiſchen Landtage aber ſtand ich unter dem Druck des Bedürfniſſes, dem Auslande keine Spur von vorhandenen oder bevorſtehenden Hemmniſſen durch unſre innre Lage, ſondern nur die einige nationale Stimmung zur Anſchauung zu bringen, um ſo mehr, als ſich nicht ermeſſen ließ, welche Bundes¬ genoſſen Frankreich im Kriege gegen uns haben werde. Die Ver¬ handlungen und Annäherungsverſuche zwiſchen Frankreich und Oeſt¬ reich in Salzburg und anderswo bald nach 1866, konnten unter Leitung des Herrn von Beuſt erfolgreich ſein, und ſchon die Be¬ rufung dieſes verſtimmten ſächſiſchen Miniſters zur Leitung der Wiener Politik ließ darauf ſchließen, daß ſie die Richtung der Re¬ vanche einſchlagen würde. Die Haltung Italiens war nach der Fügſamkeit gegen Na¬ poleon, die wir 1866 kennen gelernt hatten, unberechenbar, ſobald franzöſiſcher Druck ſtattfand. Der General Govone war, als ich in Berlin im Frühjahr 1866 mit ihm verhandelte, erſchrocken, als ich den Wunſch äußerte, er möge zu Haus anfragen, ob wir auch gegen Napoleoniſche Verſtimmungen auf Italiens Vertrags¬ treue rechnen dürften. Er ſagte, daß eine ſolche Rückfrage an demſelben Tage nach Paris telegraphirt werden würde, mit der Anfrage, „was man antworten ſolle?“ In der öffentlichen Meinung Italiens konnte ich auf ſichern Anhalt nicht rechnen, nach der Haltung der italieniſchen Politik während des Krieges, nicht blos

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/77>, abgerufen am 25.11.2024.