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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Einundzwanzigstes Kapitel: Der Norddeutsche Bund.
Krieges hat man sich niemals zu unsern Gunsten so weit com¬
promittirt, daß nicht die französische Freundschaft gewahrt worden
wäre; im Gegentheil.

II.

Es geschah hauptsächlich unter dem Einfluß dieser Erwägungen
auf dem Gebiete der auswärtigen Politik, daß ich mich entschloß,
jeden Schachzug im Innern danach einzurichten, ob der Eindruck
der Solidität unsrer Staatskraft dadurch gefördert oder geschädigt
werden könne. Ich sagte mir, daß das nächste Hauptziel die Selb¬
ständigkeit und Sicherheit nach Außen sei, daß zu diesem Zwecke
nicht nur die thatsächliche Beseitigung innern Zwiespaltes, sondern
auch jeder Schein davon nach dem Auslande und in Deutschland
vermieden werden müsse; daß, wenn wir erst Unabhängigkeit von
dem Auslande hätten, wir auch in unsrer innern Entwicklung uns
frei bewegen könnten, wir uns dann so liberal oder so reactionär
einrichten könnten, wie es gerecht und zweckmäßig erschiene; daß
wir alle innern Fragen vertagen könnten bis zur Sicherstellung
unsrer nationalen Ziele nach Außen. Ich zweifelte nicht an der
Möglichkeit, der königlichen Macht die nöthige Stärke zu geben,
um unsre innere Uhr richtig zu stellen, wenn wir erst nach Außen
die Freiheit erworben haben würden, als große Nation selb¬
ständig zu leben. Bis dahin war ich bereit, der Opposition nach
Bedürfniß black-mail zu zahlen, um zunächst unsre volle Kraft
und in der Diplomatie den Schein dieser einigen Kraft und die
Möglichkeit in die Wagschale werfen zu können, im Falle der Noth
auch revolutionäre Nationalbewegungen gegen unsre Feinde ent¬
fesseln zu können.

In einer Commissionssitzung des Landtags wurde ich von
der Fortschrittspartei, wohl nicht ohne Kenntniß von den Be¬
strebungen der äußersten Rechten, darüber interpellirt, ob die Re¬
girung bereit sei, die preußische Verfassung in den neuen Pro¬

Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund.
Krieges hat man ſich niemals zu unſern Gunſten ſo weit com¬
promittirt, daß nicht die franzöſiſche Freundſchaft gewahrt worden
wäre; im Gegentheil.

II.

Es geſchah hauptſächlich unter dem Einfluß dieſer Erwägungen
auf dem Gebiete der auswärtigen Politik, daß ich mich entſchloß,
jeden Schachzug im Innern danach einzurichten, ob der Eindruck
der Solidität unſrer Staatskraft dadurch gefördert oder geſchädigt
werden könne. Ich ſagte mir, daß das nächſte Hauptziel die Selb¬
ſtändigkeit und Sicherheit nach Außen ſei, daß zu dieſem Zwecke
nicht nur die thatſächliche Beſeitigung innern Zwieſpaltes, ſondern
auch jeder Schein davon nach dem Auslande und in Deutſchland
vermieden werden müſſe; daß, wenn wir erſt Unabhängigkeit von
dem Auslande hätten, wir auch in unſrer innern Entwicklung uns
frei bewegen könnten, wir uns dann ſo liberal oder ſo reactionär
einrichten könnten, wie es gerecht und zweckmäßig erſchiene; daß
wir alle innern Fragen vertagen könnten bis zur Sicherſtellung
unſrer nationalen Ziele nach Außen. Ich zweifelte nicht an der
Möglichkeit, der königlichen Macht die nöthige Stärke zu geben,
um unſre innere Uhr richtig zu ſtellen, wenn wir erſt nach Außen
die Freiheit erworben haben würden, als große Nation ſelb¬
ſtändig zu leben. Bis dahin war ich bereit, der Oppoſition nach
Bedürfniß black-mail zu zahlen, um zunächſt unſre volle Kraft
und in der Diplomatie den Schein dieſer einigen Kraft und die
Möglichkeit in die Wagſchale werfen zu können, im Falle der Noth
auch revolutionäre Nationalbewegungen gegen unſre Feinde ent¬
feſſeln zu können.

In einer Commiſſionsſitzung des Landtags wurde ich von
der Fortſchrittspartei, wohl nicht ohne Kenntniß von den Be¬
ſtrebungen der äußerſten Rechten, darüber interpellirt, ob die Re¬
girung bereit ſei, die preußiſche Verfaſſung in den neuen Pro¬

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[56/0080] Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund. Krieges hat man ſich niemals zu unſern Gunſten ſo weit com¬ promittirt, daß nicht die franzöſiſche Freundſchaft gewahrt worden wäre; im Gegentheil. II. Es geſchah hauptſächlich unter dem Einfluß dieſer Erwägungen auf dem Gebiete der auswärtigen Politik, daß ich mich entſchloß, jeden Schachzug im Innern danach einzurichten, ob der Eindruck der Solidität unſrer Staatskraft dadurch gefördert oder geſchädigt werden könne. Ich ſagte mir, daß das nächſte Hauptziel die Selb¬ ſtändigkeit und Sicherheit nach Außen ſei, daß zu dieſem Zwecke nicht nur die thatſächliche Beſeitigung innern Zwieſpaltes, ſondern auch jeder Schein davon nach dem Auslande und in Deutſchland vermieden werden müſſe; daß, wenn wir erſt Unabhängigkeit von dem Auslande hätten, wir auch in unſrer innern Entwicklung uns frei bewegen könnten, wir uns dann ſo liberal oder ſo reactionär einrichten könnten, wie es gerecht und zweckmäßig erſchiene; daß wir alle innern Fragen vertagen könnten bis zur Sicherſtellung unſrer nationalen Ziele nach Außen. Ich zweifelte nicht an der Möglichkeit, der königlichen Macht die nöthige Stärke zu geben, um unſre innere Uhr richtig zu ſtellen, wenn wir erſt nach Außen die Freiheit erworben haben würden, als große Nation ſelb¬ ſtändig zu leben. Bis dahin war ich bereit, der Oppoſition nach Bedürfniß black-mail zu zahlen, um zunächſt unſre volle Kraft und in der Diplomatie den Schein dieſer einigen Kraft und die Möglichkeit in die Wagſchale werfen zu können, im Falle der Noth auch revolutionäre Nationalbewegungen gegen unſre Feinde ent¬ feſſeln zu können. In einer Commiſſionsſitzung des Landtags wurde ich von der Fortſchrittspartei, wohl nicht ohne Kenntniß von den Be¬ ſtrebungen der äußerſten Rechten, darüber interpellirt, ob die Re¬ girung bereit ſei, die preußiſche Verfaſſung in den neuen Pro¬

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/80>, abgerufen am 25.11.2024.