Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Einundzwanzigstes Kapitel: Der Norddeutsche Bund. hundert gehoben hatte. Das Ergebniß würde der Regirung nochgünstiger gewesen sein, wenn die Wahl einige Tage nach der entscheidenden Schlacht stattgefunden hätte; aber auch so war es in Verbindung mit der schwunghaften Stimmung im Lande immer¬ hin geeignet, nicht blos conservativen, sondern auch reactionären Bestrebungen Hoffnung auf Gelingen zu geben. Für diejenigen, welche nach der Rückbildung zum Absolutismus oder doch nach einer Restauration im ständischen Sinne strebten, war durch die Vergrößerung der Monarchie, durch die parlamentarische Situation beim Ausbruch des Krieges und den ungeschickten und ehrgeizigen Eigensinn der Führer der Opposition ein Anknüpfungspunkt ge¬ geben, um die preußische Verfassung zu suspendiren und zu revi¬ diren. Sie war auf das vergrößerte Preußen nicht zugeschnitten, noch weniger aber auf die Einschichtung in die zukünftige Ver¬ fassung Deutschlands. Die Verfassungsurkunde selbst enthielt einen Artikel (118), welcher, entstanden unter dem Eindruck der nationalen Stimmung zur Zeit der Verfassungsbildung und aus dem Entwurf von 1848 entnommen, zur Unterordnung der preußischen Verfassung unter eine neu zu schaffende deutsche berechtigte. Es war also eine Gelegenheit gegeben, mit dem formalen Anstrich der Legalität die Verfassung und die Bestrebungen der Conflictsmajorität nach par¬ lamentarischer Herrschaft aus den Angeln zu heben, und dies lag im Hintergrunde des Bemühns der äußersten Rechten und ihrer nach Prag abgeordneten Mitglieder. Eine andre Gelegenheit, den innern Conflict zugleich mit der Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund. hundert gehoben hatte. Das Ergebniß würde der Regirung nochgünſtiger geweſen ſein, wenn die Wahl einige Tage nach der entſcheidenden Schlacht ſtattgefunden hätte; aber auch ſo war es in Verbindung mit der ſchwunghaften Stimmung im Lande immer¬ hin geeignet, nicht blos conſervativen, ſondern auch reactionären Beſtrebungen Hoffnung auf Gelingen zu geben. Für diejenigen, welche nach der Rückbildung zum Abſolutismus oder doch nach einer Reſtauration im ſtändiſchen Sinne ſtrebten, war durch die Vergrößerung der Monarchie, durch die parlamentariſche Situation beim Ausbruch des Krieges und den ungeſchickten und ehrgeizigen Eigenſinn der Führer der Oppoſition ein Anknüpfungspunkt ge¬ geben, um die preußiſche Verfaſſung zu ſuſpendiren und zu revi¬ diren. Sie war auf das vergrößerte Preußen nicht zugeſchnitten, noch weniger aber auf die Einſchichtung in die zukünftige Ver¬ faſſung Deutſchlands. Die Verfaſſungsurkunde ſelbſt enthielt einen Artikel (118), welcher, entſtanden unter dem Eindruck der nationalen Stimmung zur Zeit der Verfaſſungsbildung und aus dem Entwurf von 1848 entnommen, zur Unterordnung der preußiſchen Verfaſſung unter eine neu zu ſchaffende deutſche berechtigte. Es war alſo eine Gelegenheit gegeben, mit dem formalen Anſtrich der Legalität die Verfaſſung und die Beſtrebungen der Conflictsmajorität nach par¬ lamentariſcher Herrſchaft aus den Angeln zu heben, und dies lag im Hintergrunde des Bemühns der äußerſten Rechten und ihrer nach Prag abgeordneten Mitglieder. Eine andre Gelegenheit, den innern Conflict zugleich mit der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0086" n="62"/><fw place="top" type="header">Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund.<lb/></fw>hundert gehoben hatte. Das Ergebniß würde der Regirung noch<lb/> günſtiger geweſen ſein, wenn die Wahl einige Tage nach der<lb/> entſcheidenden Schlacht ſtattgefunden hätte; aber auch ſo war es<lb/> in Verbindung mit der ſchwunghaften Stimmung im Lande immer¬<lb/> hin geeignet, nicht blos conſervativen, ſondern auch reactionären<lb/> Beſtrebungen Hoffnung auf Gelingen zu geben. Für diejenigen,<lb/> welche nach der Rückbildung zum Abſolutismus oder doch nach<lb/> einer Reſtauration im ſtändiſchen Sinne ſtrebten, war durch die<lb/> Vergrößerung der Monarchie, durch die parlamentariſche Situation<lb/> beim Ausbruch des Krieges und den ungeſchickten und ehrgeizigen<lb/> Eigenſinn der Führer der Oppoſition ein Anknüpfungspunkt ge¬<lb/> geben, um die preußiſche Verfaſſung zu ſuſpendiren und zu revi¬<lb/> diren. Sie war auf das vergrößerte Preußen nicht zugeſchnitten,<lb/> noch weniger aber auf die Einſchichtung in die zukünftige Ver¬<lb/> faſſung Deutſchlands. Die Verfaſſungsurkunde ſelbſt enthielt einen<lb/> Artikel (118), welcher, entſtanden unter dem Eindruck der nationalen<lb/> Stimmung zur Zeit der Verfaſſungsbildung und aus dem Entwurf<lb/> von 1848 entnommen, zur Unterordnung der preußiſchen Verfaſſung<lb/> unter eine neu zu ſchaffende deutſche berechtigte. Es war alſo eine<lb/> Gelegenheit gegeben, mit dem formalen Anſtrich der Legalität die<lb/> Verfaſſung und die Beſtrebungen der Conflictsmajorität nach par¬<lb/> lamentariſcher Herrſchaft aus den Angeln zu heben, und dies lag<lb/> im Hintergrunde des Bemühns der äußerſten Rechten und ihrer<lb/> nach Prag abgeordneten Mitglieder.</p><lb/> <p>Eine andre Gelegenheit, den innern Conflict zugleich mit der<lb/> deutſchen Frage zu erledigen, hatte ſich dem Könige dargeboten,<lb/> als der Kaiſer Alexander 1863 zur Zeit des polniſchen Aufſtandes<lb/> und des Ueberrumpelungsverſuchs für den Frankfurter Fürſten¬<lb/> congreß ein preußiſch-ruſſiſches Bündniß in eigenhändiger Cor¬<lb/> reſpondenz lebhaft befürwortet hatte. Auf mehren eng geſchriebenen<lb/> Bogen in der feinen Hand des Kaiſers, weit ausgeſponnen und<lb/> mit mehr Declamation, als in <hi rendition="#g">ſeiner</hi> Feder lag, konnte der Brief<lb/> an Hamlets Wort:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [62/0086]
Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund.
hundert gehoben hatte. Das Ergebniß würde der Regirung noch
günſtiger geweſen ſein, wenn die Wahl einige Tage nach der
entſcheidenden Schlacht ſtattgefunden hätte; aber auch ſo war es
in Verbindung mit der ſchwunghaften Stimmung im Lande immer¬
hin geeignet, nicht blos conſervativen, ſondern auch reactionären
Beſtrebungen Hoffnung auf Gelingen zu geben. Für diejenigen,
welche nach der Rückbildung zum Abſolutismus oder doch nach
einer Reſtauration im ſtändiſchen Sinne ſtrebten, war durch die
Vergrößerung der Monarchie, durch die parlamentariſche Situation
beim Ausbruch des Krieges und den ungeſchickten und ehrgeizigen
Eigenſinn der Führer der Oppoſition ein Anknüpfungspunkt ge¬
geben, um die preußiſche Verfaſſung zu ſuſpendiren und zu revi¬
diren. Sie war auf das vergrößerte Preußen nicht zugeſchnitten,
noch weniger aber auf die Einſchichtung in die zukünftige Ver¬
faſſung Deutſchlands. Die Verfaſſungsurkunde ſelbſt enthielt einen
Artikel (118), welcher, entſtanden unter dem Eindruck der nationalen
Stimmung zur Zeit der Verfaſſungsbildung und aus dem Entwurf
von 1848 entnommen, zur Unterordnung der preußiſchen Verfaſſung
unter eine neu zu ſchaffende deutſche berechtigte. Es war alſo eine
Gelegenheit gegeben, mit dem formalen Anſtrich der Legalität die
Verfaſſung und die Beſtrebungen der Conflictsmajorität nach par¬
lamentariſcher Herrſchaft aus den Angeln zu heben, und dies lag
im Hintergrunde des Bemühns der äußerſten Rechten und ihrer
nach Prag abgeordneten Mitglieder.
Eine andre Gelegenheit, den innern Conflict zugleich mit der
deutſchen Frage zu erledigen, hatte ſich dem Könige dargeboten,
als der Kaiſer Alexander 1863 zur Zeit des polniſchen Aufſtandes
und des Ueberrumpelungsverſuchs für den Frankfurter Fürſten¬
congreß ein preußiſch-ruſſiſches Bündniß in eigenhändiger Cor¬
reſpondenz lebhaft befürwortet hatte. Auf mehren eng geſchriebenen
Bogen in der feinen Hand des Kaiſers, weit ausgeſponnen und
mit mehr Declamation, als in ſeiner Feder lag, konnte der Brief
an Hamlets Wort:
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |